Ein Schnitt, ein Schrei

Der Fall Bobbitt läßt manchen Mann auf dem Bauch schlafen

1994
von Tom Schimmeck 

Ich plädiere 1994 für einen Waffenstillstand. Wir Männer hatten ein schreckliches Jahr, und ihr Frauen hattet eine schreckliche Geschichte. Können wir das alles hinter uns lassen? 
T J Edwards, Dramatiker

Einige Beobachter wurden schon Wochen vor dem Prozeß gegen Lorena Leonor Bobbitt, 24,wirklich nervös. "Etwas elementares passiert hier", notierte die Washington Post zu Jahresbeginn aufgeregt, "und die Männer haben Angst."

Anderen fiel allenthalben dieses unheimliche Glitzern in den Augen der Frauen auf, sobald das Thema, Lorena & Co." zur Sprache kommt. Etwa dem Urologen Jim Sehn, 48: Bei einer Party kurz nach der spektakulären neuneinhalb-Stunden-OP, in der Sehn und sein Kollege das abgetrennte Genital des B. wieder anfügten, bemerkte der Arzt, daß sich alle Frauen sehr begierig zeigten, die "kleinste grausige Einzelheit" aus ihm herauszupressen, während sich die Männer in die entgegengestzten Ecke des Raumes verkrochen, entsetzt an ihrem Hosenschlitz nestelnd.

    Verhärtete Fronten im Prozeß um abgeschnittenen Penis - Deutsche Presse Agentur

Als letzte Woche in Manassas/Florida, einer sonst verschlafene 28 000 Seelen-Gemeinde etwa 30 km südwestlich von Washington, die Flotte der Satelliten-Übertragungswagen zum zweiten Prozeß - gegen Frau Bobbitt - vor Anker gehen, erreicht das Bobbitt-Fieber ein neuen Höhepunkt: 200 Journalisten berichten von der derzeit heißesten Front im Geschlechterkampf. Zwei US-Fernsehsender übertragen das Verfahren live. CNN beamt die Tränen der Frau Bobbitt um den Globus. Das Ereignis scheint dem Sender so herausragend, daß zeitweilig alles restliche Weltgeschehen auf zwei Zeilen unter dem live-Bild der Bobbitt-Aussage zusammenschnurrt - Clinton in Moskau, Michael Jackson, Basketball. Synchron greift Lorena immer wieder zum Taschentuch: "Ich weiß es nicht, ja, nein, buhuhu..." Und die Welt sieht fassungslos zu.

    Freunde von mir sagen: "Sie hätte ihn töten sollen.' Aber wenn sie ihn einfach umgebracht hätte, wäre lange nicht soviel Aufmerksamkeit dagewesen - Evelyn Smith, Mörderin ihres Ehemanns

Erstmals hat die New York Times das Wörtchen Penis in eine Schlagzeile eingerückt. Der "New Yorker" fühlt sich durch die Saga gar an eine Oper erinnert. Beide Bobbitts beschäftigen Medienberater, die mit Exclusivrechten und Fernsehminuten dealen. John Bobbitt liegt vorn: Im Herbst mußte er einen Offenbarungseid geleistet, nun hat er beim Show-Tingeln schon an die 300 000 Dollar gemacht. Er brauche das Geld, sagt er, für seine Arzt- und Anwaltskosten. Vor dem Gerichtsgebäude versuchen Kleinhändler, Schokoladenschwänze und Erinnerungs-T-Shirts verkaufen: "Lorena hat recht!", "Rache ist süß", "Liebe tut weh", "Manassas - a cut above the rest".

    Ich schlafe seither auf dem Bauch - Paul B. Ebert, Staatsanwalt in beiden Bobbitt-Verfahren

Drinnen schildert die Kosmetikerin Lorena, geboren in Ecuador, aufgewachsen in Caracas, Venezuela, derweil das traurige, banale ,Schreckensregime" des Gatten John: Wie er ihr an den Haaren zog und ihr die Arme verdrehte, sie schlug und würgte und zum Analverkehr zwang. Wie er sie zu einer Abtreibung drängte und dann verhöhnte. Das erste Mal habe er sie geschlagen, als sie ihn bat, langsamer zu fahren - kurz nach er Heirat vor fünf Jahren..

    Man könnte vielleicht sagen: Diese beiden verdienen einander - Staatsanwalt Paul B. Ebert, Manassas

Was John Wayne Bobbitt, 26, der Ex-Marineinfanterist, der sich als Türsteher und mit anderen Jobs durchschlug, am Morgen jenes 23. Juni 1993, tat, ist umstritten. Sie sagt: Er sei gegen drei Uhr betunken nach Hause gekommen, habe sich auf sie gelegt und sie vergewaltigt. Er behauptet, für Sex viel zu müde gewesen und stattdessen Schlafen gegangen zu sein. (Als Vergewaltiger ist er vor zwei Monaten mangels Beweisen freigesprochen worden.) Lorena ging in die Küche, um Wasser zu trinken, sah das Filetiermesser, griff danach, ging ins Schlafzimmer, hob die Decke und schnitt den Penis ab. Dann rannte sie, Messer in der Rechten, Genital in der Linken, aus dem Hausund fuhr mit dem Auto davon.

    Ich konnte nicht abbiegen, weil ich, meine Hände waren, ich versuchte abzubiegen aber dann sah ich, ich, daß ich es in der Hand hatte - Lorena Bobitt in der Fernsehshow ,20/20"

Ecke Maplewood Drive/Old Centreville Road warf sie den Penis aus dem Autofenster. Eine Freundin erklärte der Polizei, wo das Organ zu finden sei. Polizisten orteten es im Gras, ließen es bei ,Seven Eleven" in eine Lunchtüte mit Eis packen und brausten zum Krankenhaus.

    Oh, yes! - Marilyn Biro, Johns Tante, bei dessen Freispruch

Lorena B. ist 1,58 Meter klein, wiegt etwa 45 Kilo. Er bringt etwa das doppelte auf die Waage. Ihre Anwälte stellen sie als Opfer des derben, dummen John hin, eine Frau, die, in die Unzurechnungsfähigkeit getrieben - aus einem "unwiderstehlichen Impuls" handelte. John habe es gern, sagt ein Kumpel im Zeugenstand, wenn Mädchen schreien und bluten. 

    Es war ein intakter Penis, sehr sauber abgeschnitten. Er war nicht zerdrückt und nicht sichtbar verschmutzt - Jim Sehn, Urologe

John trifft im Hospital ein und sagt: ,Meine Frau hat mich geschnitten". Als der Urologe begreift, was er vor sich hat, ruft er den Gefäßchirurgen David Berman an, ihm nur vom Hörensagen bekannt. Der Penis wird angeliefert, Sehn reinigt das Organ und packt es in einen Edelstahl-Eiskübel. Das war, erinnert er sich, ,eine Art außerkörperliches Erlebnis".

    Das ist der schlimmste Alptraum jedes Mannes und die gelegentliche Wunschvorstellung vieler Frauen - Susan Estrich, Autorin (,Real Rape")

In den USA sind seit 1985 nur rund 50 solcher Operationen durchgeührt worden, meist bei gestörten Menschen, die sich selbst verletzt hatten. Die Literatur kennt eine Häufung abgeschnittener Penisse nur aus Thailand, wo zwischen 1973 und 1980 etwa 100 Fälle bekannt wurden. Dort war es unter Ehefrauen Mode geworden, untreuen Männern das Genital mit dem Küchenmesser abzutrennen und aus dem Fenster in den Hof werfen.

    Ich gehe besser nach Hause, sonst bekommen die Enten noch etwas zu essen -Thailändisches Sprichwort

Die beiden Ärzte operierten neuneinhalb Stunden. Am Schluß fließt wieder Blut im Penis. Bobbitt kann  urinieren, angeblich auch etwas spüren. ,Wir sind Klempner", findet Sehn, aber wenn es so richtig gut laufe, habe Chirurgie doch ,etwas künstlerisches". John B. hatte Glück: Seine Gefäße verklebten durch Gerinnung so schnell, er verlor nicht allzuviel Blut. Krankenversichert war er nicht. 

    Es sagt ja keiner: ,Mensch, ich klebe mir diese Telefonnumer auf meinen Kühlschrank, nur für den Fall, daß mein Penis abgeschnitten wird' - David Berman, Chirurg

Hinter dem Zirkuszelt wird erregt debattiert: Immigrantinnen wie Lorena treffe es besonders hart, erklären Sozialforscher: 77% der Einwanderinnen, besagt eine kürzliche fertiggestellte Studie im Großraum Washington würden von ihren US-Männern geschlagen.

    In den USA wird alle 15 Sekunden eine Frau geschlagen. Vier Frauen werden jeden Tag von ihrem Mann oder Freund ermordet. Dies ist ein Krieg gegen Frauen. Lorena Bobitt hat zurückgeschlagen -Flugblatt aus Frisco

Oh nein, Männer werden genauso leicht Opfer häuslicher Gewalt, belehrt uns da ein großer Artikel in der Washington Post, Gewalt von Frauen gegen Männer nehme sogar zu, in 86 Prozent der Fälle mit Waffen. Da gab es denFall, wo eine Frau einen Schwanz mit Benzin übergoß und ansteckte. Eine andere, in Texas,  wählte Schwefelsäure.

    Größe und Stärke des durchschnittliches Mannes werden durch Pistolen und Messer, kochendes Wasser, Steine und Feuerhalen neutralisiert - Forscherduo McNeely und Mann

Was ist geschehen? Sie war selbstsüchtig und eifersüchtig, behauptet Johns Anwalt. Von fehlgelenktem Penisneid ist die Rede. Die anderen sagen: Das ist kosmische Gerechtigkeit, gekonnte Rache am dumpfen Vergewaltiger John und dem Patriarchat. ,Es war größte Medienereignis in Manassas seit dem amerikanischen Bürgerkrieg", spottet ein Beobachter. Auch diesmal habe sich die Nation gespalten. Und alle waren hungig auf Nachrichten von der Front." 

© Schimmeck