Oh! Gott!

Douglas Coupland®, Erfinder der Generation X, vermarktet sich als Guru für Geist, Seele und Körper

1995 
von Tom Schimmeck 

Die Leinwand wird dunkel, das Licht geht an. Der Kontrast könnte kaum krasser sein. Eben haben wir einen virtuellen Coupland gesehen: Flockig und fetzig und redselig, gefilmt aus allen Winkeln, zack-zack geschnitten wie ein Rap-Video. 

Und hier steht der Coupland aus Fleisch und Blut. Ganz steif. Ganz durchschnittlich. Ein harmloser amerikanischer Collegeboy, schon etwas gealtert, mit kurzem Haar, Pulli, Blue Jeans, Reeboks. Welcher mag der echte sein?

Er beginnt zu lesen, nuschelnd, die Wörter verschluckend, als wolle er sie lieber im Mund behalten. Er antwortet auf Fragen und antwortet doch nicht, popelt nur ein paar Schlagworte heraus. „Das 20. Jahrhundert ist schon vorbei“, verkündet der Autor, doch fürchtet Euch nicht. „Werden uns die Maschinen kontrollieren?“, fragt ein Fan. „Nein“, spricht Coupland, „wir kontrollieren die Computer“. Die jungen Zuhörer, wie immer zahlreich, nicken dankbar.

Womöglich ist es enorm anstrengend, andauernd „hip“ zu sein, den Finger stets genau am Puls der Zeit zu haben. Coupland ist ein widerwilliger Artist. Er wirkt nicht glücklich vor Publikum, gibt sich, als wolle er lieber allein sein und mit Lego spielen. Der Erfolg hat ihm Ruhm und Geld gebracht. Aber auch einen Ansturm von Öffentlichkeit, dem er nicht gewachsen ist. Tausend Fernsehsender, Radiostationen und Magazine klopften an, weil sie endlich definitiv wissen wollten, wie die Jugend von heute ist, selbst Parteien und das weiße Haus in Washington fragten um Rat. 

Man hat ihn überhöht als großen Deuter der Jugend, hochgejazzt zum „Kerouac seiner Generation“, verklärt als „Orakel“ und „Dalai Lama der Generation X“. Ein Label war geboren und schon kamen auch die großen Firmen, die das X auf Flaschen und chice Klamotten kleben wollten.

Nie, schwört Coupland, habe er damit gerechnet, daß Andy, Claire und Dag, seine X-Figuren, es über die Rocky Mountains schaffen und  zu solchem Weltruhm gelangen würden. Und prompt, klagt Coupland heute, seien all die „Trendmeisters“ über seine Charaktere hergefallen, um sie zu Repräsentanten einer ganzen Generation aufzublasen.

Diese überlebensgroßen Abziehbilder hätte dann Vorgängergeneration, die „Baby boomers“, als jammernde Monster und Schlaffsäcke verteufelt und ihnen „ihre kollektive Dunkelheit übergestülpt“. An diesem Punkt, sagt Coupland, habe er sich „aus dem ganzen blechernen Diskurs zurückgezogen“. Im letzten Sommer gab er seiner Schöpfung den finalen Rettungsschuß: „X is over.“ 

Wie kann sich einer entwickeln, der gleich mit einem fetten Bestseller, einem Kultbuch einsteigt? Beim zweiten Buch, „Shampoo Planet“, stand die Literaturkritik schon hellwach parat. Und schimpfte: Er erfinde Charaktere, die ihn nicht wirklich interessieren, sagten manche. Er sei zu flach, zu emotionslos, komme nicht auf den Punkt. Er tapeziere die öde Welt von jungen, weißen Mittelklässlern mit mittelgroßen Idealen. Er, fand ein Landsmann des Kanadiers Coupland, sei einfach „ein verwöhnter, unerträglicher, egoistischer kleiner Rotzbengel“.

Sicher, aber eben nicht nur. Coupland hat den guten Blick fürs Detail und eine griffige, witzige Sprache. Sein viertes Buch, „Microserfs“ (dem deutschen Publikum wird es erst spät im kommenden Jahr serviert), zeigt wieder diese Stärken: Liebevoll und doch präzise wird hier eine moderne Welt voll von Technik und Pop und Leere beschrieben. Die Geschichte ist simpel: Die „Microserfs“, eine Zweck-WG von Softwaresklaven, schuften im Imperium des allgewaltigen Bill Gates, bis sie eines Tages gen Kalifornien ziehen, ins Silicon Valley, um Erfolg und Erfüllung in der eigenen Firma zu finden.

Er sei darauf gekommen, weil seine Altersgenossen von der Kunstschule alle bei Sega, Nintendo und ähnlichen Firmen gelandet seien, sagt Coupland. Er hat auch fleißig recherchiert. Eineinhalb Monate verbrachte er auf dem „Campus“ von Microsoft in Redmond/Washington, drei in Kaliforniens Silicon Valley. Er schrieb viele Notizblöcke voll, ein minutiöser Beobachter, eine Art Kulturreporter.

Aber das reicht ihm nicht. Mit Macht drängt es ihn zu den Dichtern und Denkern. „Ich sehe mich nicht gern nur als Spiegel“, sagt er beim virtuellen Plauderstündchen auf America Online. Der Nachfahr presbyterianischer Priester ist auf der Suche nach neuer Moral, nach „unserer besseren Seite“. Er will etwas verkünden.

Viele lauschen. Im Internet sammeln seine Verehrer alle Worte, die ER (ihre Schreibweise) gesagt hat, alle Textbrocken und selbst Fotos von IHM. Er nimmt sich jetzt selbst sehr ernst – und da beginnt das Problem. Coupland ist der unbehelligte Sproß einer Mittelstandsfamilie. Er verbrachte eine heile Kindheit im Einfamilienhaus mit ewig gepflegten Beeten: Keine Katastrophen, Exzesse, Scheidungen. Vom ersten Tag im Kindergarten bis zum Ende der High School war Little Douglas mit genau den gleichen Menschen zusammen. „Es war sehr stabil“, erinnert Coupland, „die Gemeinschaft unglaublich intakt.“

Seine wichtigsten Einflüsse, sagt er selbst, waren der Fernseher, das Shoppingcenter und der Wald in der Nähe des elterlichen Hauses im Suburb von Vancouver. So konnte er, mit  28, als teilnehmender Beobachter die Bequemlichkeit und Leere und Depression von Jugendlichen beschreiben, die mitschwimmen in einem Meer von Markenprodukten. Andy, der Ich-Erzähler aus Generation X, sagt: „Ich habe das Gefühl, daß unsere Emotionen, noch während sie ganz wunderbar sind, in ein Vakuum abziehen, und ich glaube, es liegt daran, daß wir Kleinbürger sind.“ 

Zu echtem Tiefgang fehlen ihm die Tiefen. Couplands drittes Buch, „Life after God“, ist das schwächste, gerade weil es zu nah am eigenen Leben spielt. Es zeigt ein Coupland auf Sinnsuche. Seine Eltern, erklärt Coupland, ließen ihn ganz ohne Religion aufwachsen, ohne Weihnachtsgeschichte, sogar ohne Ostereisuche. Deshalb beginne er nun „von Null“ – um sich „ein auf Empirie basierendes, rationales System zu konstruieren, das allem einen Sinn gibt.“

Plötzlich begegnet uns Coupland, der Halbvegetarier, der aufgehört hat zu rauchen und zu trinken. Der Naturbursche, der die Bäume liebt und den Atomschlag fürchtet. Der ist nicht abendfüllend. Der nervt.

Nicht, daß man Alkohol, Nikotin und tote Tiere bräuchte, um gute Literatur zu schaffen. Doch in der Pose des Denkers verkrampft sich Coupland. Seine Spiritualität wirkt zu gewollt. Plötzlich kommt er ganz blaß daher, pseudoschlau, ein bißchen prüde. Und exorziert auch gleich seine feine Ironie – weil sie „der Preis ist, den wir zahlten, daß wir Gott verloren.“

Oh Gott. Vielleicht ist es die Angst vor dem Alter. Das Hirn, lehrt uns Coupland, wird schon im Alter von 10 oder 11 Jahren „zu Zement“. Mit 30 sei auch der Erinnerungstank voll und laufe mit jeder neuen Impression über. Immer wieder beschreibt er, wie die über 50jährigen von ihrem Platz gedrängt werden, sogar schon die über 40jährigen. Es schreckt ihn.

Die Schlacht der 90er Jahre, erklärt der Silikon-Philosoph, sei der Kampf ums „relevant bleiben“. Und Coupland will jetzt so richtig relevant sein, ein Botschafter, ein Prophet. 

Coupland will zu den Massen sprechen. Doch er ist ein Schrat. Menschenmengen, Tonbandgeräte, Kameras machen ihn nur noch nervöser. Eine Autogrammstunde ist für Coupland sichtlich eine Quälerei. Die Fans, hübsch in Reihe postiert, treten einzeln und schüchtern heran, der Dichter schüttelt mechanisch die Hand, fragt: „Wattsjurnäim?“, greift das zu signierende Werk und krakelt mit der Linken drauflos. Es folgen in Sekundenbruchteilen: ein verlegenes Lächeln, ein steifer Klaps auf die Schulter (nur bei Männern), ein schnelles „Neißtomietjuu“. Der Nächste bitte.

Er will alle Kontrolle über seine Darstellung behalten, bis zur letzten Kameraeinstellung. Wie erreicht man das Volk ohne lästigen persönlichen Kontakt? Multimedial. Seine Botschaften aus „Life after God“, ließ er, in winzige Soundbites zerlegt, auf MTV darbieten, garniert mit Computern, Autos, Bällen, Telefonen und viel Wasser, Licht und Wüste. Diese „spoken word spots“, wahnwitzig schnell und aufdringlich, bieten Geistersatz für Kurzatmige: eine Drive-In-Philosophie,

Seine Live-Auftritte verkürzt Coupland zugunsten eines neuen Films: „Close Personal Friends“, 24 Minuten und 50 Sekunden entschlossener, schamloser Selbstinszenierung, in seinem Auftrag und unter seiner Mitwirkung produziert. Der Streifen zeigt einen perfekt gestylten Coupland im gestellten Interview. Er thront in einem weißen Drehstuhl, in Anzug und Schlips, wie ein Abiturient der 60er Jahre. Ein Witz?

Der Meister stößt hundert Wortfetzen hervor, aufgemotzte, flachschürfende Phrasen. Sein Vortrag kreist um die Wörter mind - body - soul. Vortrag? Eher eine Art Gedanken-Hackfleisch, zerstückelt von alten Werbespots, Grafiken, Bildbrocken, aufgepoppt von zwölf hampelnden Darstellern. Es ist ein Augenschmaus für Artdirectoren, das kondensierte Nichts.

Kein Witz. Hier zelebriert sich ein Knabe als Guru. „Ich bin“, sagt er ganz ernst, „immer glücklich, wenn alle hören, was ich zu sagen habe.“
 

    DOUGLAS COUPLAND wurde am 30.12.61 auf einem NATO-Stützpunkt in Deutschland geboren. Seit dem vierten Lebensjahr lebt der Doktorensohn in Vancouver, Canada. Er studierte Kunst und Design, arbeitete als Bildhauer und Schreiber für Zeitungsmagazine. Aus dem Auftrag, eine Art Yuppiehandbuch zu schreiben, entstand 1990 sein Erstling „Generation X“, ein Welterfolg, der in 16 Sprachen übersetzt wurde. Es folgten „Shampoo Planet“, „Life after God“ und „Microserfs“, eine Studie über das Softwareimperium von Microsoft, die erst im kommenden Jahr auf deutsch erscheint. Nebenher ist Coupland auch als Autor für Trendmagazine wie „Wired“ tätig.
 

© Schimmeck