Der Partient ist grün

Deutschlands rot-grüne Regierung steckt schon kurz nach dem Start in der Krise. Der Ton zwischen den Koalitionspartnern wird schärfer


von Tom Schimmeck 

Die Gesichter wurden immer länger, den Fans schossen Tränen in die Augen. Als am Sonntag letzter Woche die ersten Hochrechnungen zur Wahl im Bundesland Hessen über die Bildschirme flackerten, stießen Rote wie Grüne spitze Schreie des Entsetzens aus.

In Hessen, Deutschlands rot-grünem Pionierland, hatte - gegen alle Erwartungen und Prognosen - ein Nobody der totgeglaubten CDU gesiegt. Zusammen mit der siechen FDP verfügt er über eine knappe Mehrheit im Landesparlament. Und kann die rot-grüne Regierung dort in die Wüste schicken.

Der Ergebnis gilt als schwerer Warnschuß für die Bonner Regierung. CDU-Spitzenkandidat Roland Koch hatte kräftig Stimmung gegen rot-grün gemacht. Er setzte sich an die Spitze der Kampagne gegen die von der Bonner Schröder-Regierung geplante Doppel-Staatsbürgerschaft und sammelte in Hessen fleißig Unterschriften dagegen. Der Beifall Rechtsradikaler und die häßlichen ausländerfeindlichen Tiraden an den CDU-Ständen störten ihn nicht.

Die Kampagne, da sind sich die Wahlforscher einig, hatte die zuvor aussichtslose CDU nach vorn katapultiert und ihre Anhänger kräftig mobilisiert. Prompt zeigten sich Bonner Sozialdemokraten letzte Woche bereit, den Entwurf für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht zu überarbeiten. Sie fürchten nun die "Stimmung der Bevölkerung" - und weitere Wahlniederlagen in diesem Jahr.

Zudem hat der CDU-Sieg in Hessen das Machtgefüge im Deutschen Bundesrat, bislang eine sicher Bastion Schröders, durcheinandergebracht. Noch ist die CDU/CSU weit davon entfernt, in der Vertretung der 16 deutschen Ländern die Mehrheit zu haben. Doch die SPD verfügt in der 69köpfigen Länderkammer nun nur noch über 33 sichere Stimmen - aus jenen Bundesländern, in denen sie allein (vier Länder), mit den Grünen (3 Länder) oder mit der PDS (1 Land) regiert. Der CDU-Anteil ist auf 21 Stimmen gewachsen. Dazwischen steht der "neutrale Block": Die drei CDU-SPD-Regierungen in Berlin, Bremen und Thüringen und die SPD-FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz, wo im Streitfall per Los über das Stimmverhalten entschieden wird.

Die Machtverschiebung hat weitreichende Folgen für die Regierung von Kanzler Gerhard Schröder. Alle Gesetzesvorhaben, die Länderinteressen berühren - und das sind viele - müssen fortan auf Kompromiß angelegt sein. Beim Staatsbürgerrecht etwa macht nun ein Vorschlag Furore, den einst die SPD-FDP-Koaltion von Rheinland-Pfalz einbrachte. Er sieht, anders als der jetzige Regierungsentwurf, keine generelle Doppelstaatsbürgerschaft für lange in Deutschland lebende Immigranten vor, wohl aber für deren Kinder. Sie sollen sich dann mit 23 oder 25 Jahren selbst für einen Paß entscheiden. Weil die Stimmen aus Rheinland-Pfalz hinzukämen, könnte diese Variante auch im Bundesrat auf eine Mehrheit hoffen.

Gravierender noch scheint die Hessen-Pleite für die Stimmung der Regierenden in Bonn zu sein. Das rot-grüne Bündnis hat 100 Tage nach seinem Start viel Schelte für unausgegorene Reformversuche bezogen. Die Macher wirken so konfus, daß selbst die eigenen Reihen schon spotten. "Wir sind immer bereit, uns hinter die Bundesregierung zu stellen", äzte der Münchner SPD-Bürgermeister Christian Ude, "sobald wir wissen, wo sie steht."

Vor allem die Grünen, die in Hessen gut ein Drittel ihrer Wähler verloren, sind geschockt. Denn CDU gewann in Hessen 43 Prozent der Erstwähler, bei den unter 30jährigen konnte sie 10 Prozent zulegen. Das macht strukturelle Probleme der Partei deutlich: Die Grünen, einst Symbol des jungen, frechen Aufbruchs, sind in die Jahre gekommen. Ihr aktiver Kern ist die Protestgeneration der 70er und 80er Jahre, die auf dem schmalen Grat zwischen Protest und Realpolitik wandelt. Hessens grüner Noch-Justizminister Rupert von Plottnitz fürchtet, seine Partei könnte zwischen den stark divergierenden Erwartungen verschiedener Fan-Gruppen zerrieben werden. Den alten Kämpfern ist die Partei mittlerweile zu lasch, den mittelständischen Anhängern, den "Salon-Ökologen", dagegen nicht cool genug.

Nun, da die Partei vielerorts an der Macht, hat sie auch Angst bekommen, diese wieder einzubüßen. Seit die Grünen 1990 für vier Jahre aus dem Bundestag flogen, meint der Berliner "Tagesspiegel", sei ihre Wildheit "einer gefahr- und geruchlosen Bürokratensprache" gewichen. Zudem leisteten sich Grüne in Hessen eine Reihe von Skandalen und Skandälchen - die grüne Umweltministerin mußte mehrfach ausgewechselt werden. Da blieb manch grüner Aktivist der ersten Stunde der Wahlurne fern.

Den Vertrauensschwund bei der Jugend hatten Hessens Grüne durch ein Aufgebot jüngerer Abgeordnete aufzufangen. Doch das fruchtete nicht. "In den Augen Jugendlicher stehen die Grünen nicht mehr für die klassischen Zukunftsthemen", sagt der Sozialforscher Arthur Fischer. Sie sind ganz normal geworden, zu normal, als das die Jungen sie noch als etwas besonderes empfinden würden. Hessen Landesvorstand will nun geschlossen abtreten. Es sind "hausgemachte Probleme", diagnostiziert die Noch-Umweltministerin Priska Hinz bitter. Die Grünen hätten "die Meinungsführerschaft als moderne Partei" verloren. "Die Grünen", sagte eine Frankfurter Jungwählerin, "die sehen mies aus, bedienen sich selbst und blockieren die Wirtschaft".

Daß sie vom sozialdemokratischen Partner regelmäßig an die Wand gespielt werden, sehen viele Grüne als Hauptgrund für den herben Verlust. Vor allem der grüne Umweltminister Jürgen Trittin, der dem Atomausstieg meisten soll (siehe Kasten), wird von Kanzler Schröder und dessen Getreuen mit Vorliebe vorgeführt. Kaum hatte Trittin etwa ein Verbot der atomaren Wiederaufbereitung zum Jahre 2000 verkündet, pfiff ihn Schröder wieder zurück und schob das Vorhaben auf die lange Bank. Auch beim Thema Ökosteuer mußten die Grünen weitreichende Kompromisse machen.

Während der grüne Außenminister Joschka Fischer durch die Welt jettet und einen guten Eindruck macht, mausert sich Öko-Kollege Trittin daheim zum Buhmann der Nation. Karikaturisten und Karnevalisten haben ihm zum Spott-Liebling auserkoren, die Alternativen beschimpfen ihn "Müllmann der Atomkonzerne". CDU und Industrie wiederum geißeln ihn als gefährlichen Dogmatiker, und auch die Sozis fallen mit Vorliebe über den Mann zwischen allen Stühlen her. Trittin, schimpfte der Bonner SPD-Fraktionschef Peter Struck nach der Hessenwahl, sei wegen "überzogener Selbstdarstellung" schuld an dem Debakel. Und Kanzler Schröder setzte noch eins drauf: Atom und Staatsbürgerschaft, befand der Populist kühl, seien eben nur "interessante Minderheitenthemen". Die Grünen bräuchten "mehr Fischer, weniger Trittin."

Solch freche Sprüche über den eigenen Minister empören den kleinen Koalitionspartner, aber der Katzenjammer über die eigene Lage ist größer. Die Grünen, klagt Niedersachsens Obergrüne Rebecca Harms, seien zur "Lehrerpartei" verkommen. Selbst die Parteijugend, beobachtet die Berliner Grüne Renate Künast, hätte heute andere Prioritäten: "Die wollen Arbeitsplätze, eine Zukunft und den regelmäßigen Amerika-Urlaub".

Leise kommt manchem Bonner Macher da ein furchtbarer Verdacht: Daß rot-grün womöglich ein Auslaufmodell sein könnte, das zu spät an die Macht gekommen ist.

© Schimmeck