"Des kann er alles"Mit 28 Bomben terrorisierte eine "Bajuwarische Befreiungsarmee" fast vier Jahre lang Opfer in Österreich und Deutschland. Diese Woche neginnt der Prozeß gegen den Hauptverdächtigen Franz Fuchs. Die offizielle Deutung: Es war nix politisches, nur ein Psychopathvon Tom Schimmeck Der Wiener Hofrat Sika hat jetzt ein gutes Gefühl. Hat er es nicht immer geahnt, schon damals, als man für Austrias Bombenterror noch eine politische Erklärung suchte? Aber er ihm waren ja die Hände gebunden: Die Öffentlichkeit hätte "nicht gestattet", gegen andere als Rechtsradikale zu ermitteln. Selbst der Herr Minister habe da "in einer Zwangsjacke gesteckt". Jawohl, das war "ein vorprogrammiertes Desaster", meint Sicherheitsgeneraldirektor Michael Sika, Österreichs oberster Polizist. Zumal "ein im Haus geborenes Täterprofil der ersten Stunde" die richtige Richtung gewiesen hätte: "Ein verschrobener Einzeltäter". Den hat man längst. Im Grazer Landesgefängnis sitzt seit 16 Monaten Franz Fuchs, 48, ein Musterhäftling, immer höflich und gepflegt. Zu den bunten Bildchen, die Psychologen ihm hinhalten, läßt er sich krause Geschichten einfallen. Nur Malen kann er nicht mehr. Bei seiner Verhaftung am 1. Oktober 1997 hat sich der Mann beide Hände weggesprengt. Zwei Gendarmen wollten den Mann damals kontrollieren, weil er einer Nachbarin per Auto nachgestellt und sie mit der Lichthupe belästigt hatte. Plötzlich sprang Fuchs mit einer Rohrbombe aus seinem Fahrzeug, schrie: "Da habt ihr es" und drückte auf den Knopf. Es krachte fürchterlich. Die Beamten wurden verletzt, der Täter mit zwei verbundenen Armstümpfen abtransportiert. Der Knallauftritt von Gralla war die skurrile Krönung einer beispiellosen Serie von Pleiten, Pannen und Intrigen, die sich zur Staatskrise auszuweiten drohte. In vier Jahren hektischer Suche nach dem Bomben-Attentäter hatten über 100 Ermittler mehr als 50 000 Personen überprüft, darunter sämtliche Industrietechniker Österreichs. Politiker, Gutachter und Journalisten gerieten sich im Lauf des vierjährigen Nervenkriegs in die Haare. Ein hastig gestrickter Prozeß gegen zwei Neonazis brach zusammen. Zwei Innenminister und etliche leitende Beamte nahmen den Hut. Die Akten der Sonderkommission sind gut 600000 Blatt stark. Die Hypothesen über die BBA, die "Bajuwarische Befreiungs Armee" waren derart ins Kraut geschossen, daß die Ermittler begannen, sie wie Pflanzen zu klassifizieren. Als die Briefbomben im Sommer 1995 immer heimtückischer wurden, vermutete man dahinter gar Fraktionskämpfe unter den Bajuwaren. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren - ins Leere. Kaum eine Gruppe, die nicht unter Verdacht gekommen wäre: Neben rechten Ultras aller Schattierungen waren auch mal Zuhälter und internationale Banden, Geheimdienstler, Militärs und Polizisten en vogue. Und Rechtspopulist Jörg Haider spielte sich als das eigentliche Opfer auf. Hofrat Sika, prophezeite das BBA-Kommando "Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg" in einem Bekennerschreiben, werde sich an einem "vorgesetzten Napf festbeißen". Doch Sika ist ein Steher, "42 Jahre im Geschäft", wie er stolz brummt. Er hat zwölf Innenministern gedient. Und dabei gelernt, auch aus einem Fiasko eine Heldengeschichte zu stricken. Die Festnahme war in seinen Augen kein schlichter Dusel, sondern "ein sehr gut vorbereiteter Zufall". Die Trottel sind immer die anderen Ð die Öffentlichkeit, die Presse, die Politik, die in die falsche Richtung drängten. Schon vier Tage nach den ersten Anschlägen 1993, sagt sein Polizeipsychologe Thomas Müller, habe er an einen Einzeltäter geglaubt. Zumindest ist man sich in den Jahren verzweifelten Ermittelns näher gekommen: Müller heiratete die Leiterin der Sonderkommission Briefbomben, und Sika war Trauzeuge. Müller ist sogar in die USA gereist, um den Fall des "Unabomber" Theodore Kaczynski zu studieren. Der weist verblüffende Parallelen zu Fuchs auf: Ein nunmehr 56jähriger Mathematiker, der gestanden hat, seit 1980 mit 16 penibel konstruierten Briefbomben drei Menschen getötet und 29 verletzt zu haben. Auch Kaczynski verfaßte immer längere Traktate, sein Thema: Die fatalen Folgen moderner Technologie für die Menschheit. Anfang Mai wurde er zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilt. Als Müller aus den USA zurückkehrte, sagte er zu Sika: "Man möchte meinen, es ist ein Täter." Auch bei Fuchs fanden sich Unmengen mathematischer Berechnungen. Er ist ein Pedant: In seinem Bertelsmann-Lexikon hat er die Durchschnittstemperatur der Antarktis von 90 auf 91 Grad minus korrigiert. Und sein Bruder Gerhard sagt: "Das Besteck mußte poliert sein und auf dem Tisch genau in Linie liegen." Der Nobody aus dem südsteirschen Kaff Gralla galt schon in der Schule als Mathegenie, sein Studium aber mußte er wegen Geldmangels bald abbrechen. Später jobbte er in Deutschland bei VW und Mercedes am Band, alle Versuche, beruflich aufzusteigen, scheiterten. Nach einem Selbstmordversuch notierten die Ärzte bereits 1977 "paranoide Einengung" und "schizoide Tendenzen". Eine Behandlung unterblieb. Danach hielt sich Fuchs mit Jobs als Vermessungstechniker und Konstrukteur über Wasser. Er lebte in einem Anbau seines Elternhauses, zu dem in den letzten Jahren niemand mehr Zutritt hatte. Er soll einen Waschzwang entwickelt und tagelang Autos gezählt haben. Kann dieser Fuchs alle 25 Brief- und die drei Rohrbombenanschläge solo begangen haben? In seiner Wohnung fanden sich fünf Rohrbomben, ein Achtelliter Nitroglycerin und allerlei Bauteile. Die Pläne für die fünfte Briefbombenserie lagen unter seinem Bett. In endlosen Vernehmungen schildert er mit eitler Genauigkeit die Konstruktion der Bomben. "Der Fuchs", sagen die Beamten, "legt großen Wert darauf, daß alles sehr sorgsam gebaut wurde". Technisch bestehen kaum mehr Zweifel, daß Fuchs als Täter paßt. Ein 1700 Seiten starkes Sprengstoffgutachten, kommt zu dem Schluß, daß der bei Fuchs gefundene Lötzinn mit dem bei mehreren Briefbomben und den Sprengfallen von Klagenfurt und Oberwart übereinstimmt. Doch Fuchs behauptet, nur Helfer und "Bote" der Bajuwaren gewesen zu sein, die Nummer Drei im "steirischen Kommando", ein "untergeordnetes Mitglied". In ihren Schreiben hatte sich die BBA zur Großorganisation aufgeblasen: aufgeteilt in "Planer", "Personen aus der Szene" und den "Mob". Alles nur Show? Konnte dieser Fuchs die Opfer zwischen Lübeck und Klagenfurt auch auswählen und ausspähen? War er in der Lage, die komplizierten Bekennerschreiben zu verfassen? Die deutschtümelnd-rassistischen BBA-Texte sind gespickt mit historischen Details aus dem Mittelalter, die in dieser Präzision nur echten Spezialisten zugänglich seien. Ein linguistischer Gutachter glaubt, daß die langen, fast fehlerfreien BBA-Schreiben von mehreren Autoren geschrieben und dann einer Art Schlußredaktion unterzogen wurden. Immer wieder zeigten der oder die Autoren auch, daß sie die Ermittler genau beobachteten. Mal spottete die "BBA" über die Sprengstoffexperten, mal nahm sie ein internes Psychogutachten aufs Korn ("Herr Magister Müller, das waren KURZE Sätze!") Wie soll der Eremit Fuchs in Gralla davon gewußt haben? Auch der brachiale Ausländerhaß, der sich in den Texten wie in der Wahl der Opfer zeigt, ist mit Fuchs nicht so einfach in Einklang zu bringen. Der Mann ist nie mit einer politischen Äußerung aufgefallen. Als junger Arbeiter soll er sich gar für ausländische Kollegen ins Zeug gelegt haben. "Fuchs ist intelligent, aber nicht genial", meint Thomas Vasek vom Wiener Magazin "profil", der das Umfeld des Verdächtigen abgegrast hat. Sein Urteil: Fuchs hat "zeitlebens nie eine Initiative ergriffen" und war "nicht in der Lage, diese Briefe zu schreiben". Zweifel aber werden nun beiseite gefegt. Die Ermittler, die nicht an einen Einzeltäter glauben wollen, meint ein Beobachter, "gehen alle längst wieder Streife". Für die skeptischen Historiker, heißt es mit österreichischer Gehässigkeit bei der Grazer Justiz, sei es "halt eine Lebenschance, mal ans Tageslicht zu treten". Auch in Wien spottet man über "Wissenschaftler , die nicht zum Zuge gekommen sind". Lingustik gilt Sika ohnehin als "eine Kunst im luftleeren Raum". Die "schiziod-paranoide Persönlichkeitsstörung", gutachtet der Psychiater Reinhard Haller, "prädestinert ihn zum Einzelgängertum". Seinen Wandel zum Rechtsradikalen erklären die Ermittler mit beruflichem Scheitern. Und dann kursiert da auch noch die Story von einer Liebesbeziehung zu einer Slowenin, die Fuchs einst seiner Ersparnisse beraubt und verlassen haben soll. Jaja, die Frauen. Nach Mittätern wurde nicht mehr gesucht Ð obwohl im Zuge der Ermittlungen ein erstaunliches Netzwerk von deutschtümelnden, rechtsradikalen Aktivisten sichtbar wurde, das bis ins Wiener Kanzleramt reicht. "Für mich stellt sich diese Frage nicht mehr", sagt der Sicherheitsdirektor Sika brüsk, obwohl er einräumen muß, daß das "Bewegungsbild" seines Einzeltäters "sehr lückenhaft ist". Fuchs ist sein Mann: "Des kann er alles. Und mit zwei anständigen Geschichtsbüchern kann I des auch." Nur gestanden hat der Hauptverdächtige nicht, behauptet statt dessen, das Bombenmaterial sei ihm "von der BBA zum Entsorgen übergeben" worden. Der Fuchs, sagt der Sicherheitschef, sei eben "kein Mensch, den man einvernehmen kann wie andere". Der habe sich nie festlegen lassen. "Und wenn es ihm unangenehm war, hat er einfach den Kopf zur Seite gelegt und geschwiegen." Innenminister Karl Schlögl hat die Einzeltäter-Theorie sogar schon dem Parlament verkauft. Fuchs solo Ð das ist eine saubere Lösung, ein Freispruch für Austria. Kein brauner Sumpf, keine politische Mitverantwortung. Österreich ist an Fuchs quasi gereift. Das Volk, findet Schlögls Chefpolizist, sei "eigentlich erstaunlich gefaßt gewesen" und habe "dem Terrorismus eine Absage erteilt". Sika sieht dem Prozeß nun "relativ gelassen entgegen", hofft gar, daß Fuchs vor Gericht "all diese Spekulationen beenden wird". Nur wenn er nach vorn schaut, graust sich der Hofrat ein wenig: "Auch in Zukunft", ahnt er, "wird es solche Täter geben. Der gewöhnliche Kriminelle wird unglückseligerweise immer seltener." |