Der Laptop- Caudillo
Alberto Fujimori, Perus „Chinochet“.
wurde aus dem Nichts zum populärsten Präsidenten Lateinamerikas
1995
von Tom Schimmeck
Am Tag nach der Wahl rumpelte ein Tankwagen auf
die Plaza de Armas zu Lima. Ein Schlauch wurde ausgerollt, der alte Brunnen
vor dem Präsidentenpalast füllte sich mit Wasser. Dann stiegen
einige partiell bekleidete Gestalten hinein und begannen zu planschen.
Es war die Redaktion der kritischen Wochenzeitung „Caretas“, die hier
eine verlorene Wette beglich. Kühn hatte sie vor der Wahl angekündigt,
den Brunnen zu besteigen, sollte Präsident Alberto Fujimori schon
im ersten Durchgang den Sieg davontragen. Er gewann. „Caretas“ ging baden.
„Das Volk“, konstatiert der Präsident, sichtlich stolz auf seine
Untertanen, „hat Alberto Fujimori wiedergewählt und sich damit für
den Weg der Ordnung, der Disziplin und des Fortschritts entschieden. Dies
ist der einzige Weg, der uns voranbringen wird.“ Zuweilen spricht Fujimori
von sich in der dritten Person. Mit einem Wahlergebnis von über 60
Prozent kann er sich das leisten.
Der merkwürdig verschlossen wirkende 56jährige, seit fünf
Jahren an der Macht, hat alle Wahlrekorde Perus gebrochen – ein Freifahrschein
ins Jahr 2000. „Es ist ja nicht das erste Mal, daß sich ein Volk
einen Diktator wählt“, tröstet sich „Caretas“-Chefredakteur Enrique
Zileri.
Die Intellektuellen sind fassungslos: Fujimori paßt in kein Bild.
Ein kleiner Dozent für Mathematik und Agrarwissenschaft, der allen
Traditionen hiesiger Politik Hohn spricht: Er stammt aus keinem einflußreichen
Zirkel Perus, er hatte wenige Verbindungen und keine Freunde. Sein Spanisch
ist fehlerhaft, seine Reden sind hölzern, nach fünf Minuten muß
er einen Zettel aus der Tasche holen, um fortfahren zu können – in
Lateinamerika eine Todsünde. Obendrein ist er japanischer Abstammung,
ein „chino“, wie die Peruaner die Asiaten im Land nennen. Und denoch ist
er der Held der Stunde. Er reckt die Arme zur Siegerpose empor, umrahmt
von zwei Vizepräsidenten, die stumm sind wie Fische, und seinen beiden
etwas pummeligen Töchtern. Auf den Rängen strapazieren Claqueure
ihre Handflächen – Minister und Abgeordnete, so farblos wie sein ganzes
Gefolge. Fujimori ist König. Die großen Namen Perus hat er besiegt:
1990 den Schriftsteller Mario Vargas Llosa. Und jetzt den Ex-UN-Generalsekretär
Javier Pérez de Cuéllar.
Diese Triumphe eines Unscheinbaren deuten vor allem auf eines: Das Volk
ist nicht nur politikverdrossen, es hat jede Politik gründlich satt.
Es hat genug schöne Reden gehört, von Progressiven und Reaktionären
in Zivil wie in Uniform. Es hat sie alle erlebt: die Hau-drauf-Machos,
die wortgewaltigen Visionäre und die verrückten Revolutionäre.
Sie alle haben Peru ruiniert. Ende der 80er Jahre lag die Inflation
bei 7650 Prozent. Jedes Einkommen mußte hastig in Dollar oder Waren
umgesetzt werden. Der obskur-maoistische Leuchtende Pfad operierte mitten
in Lima. Das Militär verschlang ein Vermögen. Firmen und Privatleute
steckten ihr Geld in „Sicherheit“. Anschläge, Stromausfälle,
blutige Gemetzel, Angst waren die Zutaten des peruanischen Alltags. Da
kam ein Außenseiter gerade recht: ein nüchterner Agrarwissenschaftler,
ein Japaner dazu. Ein Antipolitiker, der mit seiner etwas schrillen, nasalen
Stimme den Ton traf: Keine weiteren Experimente, Ruhe, Arbeit, Disziplin.
Und das Volk glaubte ihm – gerade weil seine Rhetorik so ärmlich war.
Eigentlich machte er nur, was in diesen neoliberalen Zeiten alle machen:
Behörden verkleinern, Staatsbetriebe privatisieren, die Ausgaben drastisch
drücken, die Zinsen pünktlich zahlen. Auf die Kräfte des
Marktes hoffen, die durch ein Paket von 200 Gesetzen alle Freiheiten bekamen.
Heuern und Feuern ist in Peru jetzt ein Kinderspiel. In den Wandelhallen
der besseren Hotels schwärmen ausländische Geschäftsleute
von big opportunities. Dazu ein bißchen Machtpolitik: Schon vor seinem
Einzug in den Präsidentenpalast hatte Fujimori enge Kontakte zum Militär
geknüpft. Im April 1992 nutzte er sie, ließ ein paar Panzer
auffahren und putschte das Parlament und die Justiz hinfort. Das Ausland
schluckte, das Volk aber murrte kaum: Die wohlbestallten Volksvertreter
waren wenig beliebt. Kurz darauf, im August, hatte Fujimori wirklich Glück:
Carlos Abimael Guzman, Boß der Guerilla Leuchtender Pfad, wurde geschnappt.
Ein Durchbruch. Es war, sagt ein peruanischer Journalist, „als wenn man
die Bienenkönigin aus dem Stock nimmt“.
Heute ist Lima ein Geheimtip für Spekulanten. Die kleine Börse
mausert sich. Wie überall in der Dritten Welt, wo die magischen makroökonomischen
Daten gut sind, wird hier eine Handvoll Leute schnell noch reicher. Man
trifft sie in den Shoppingzentren der „guten“ Viertel, in den richtigen
Klubs, an den richtigen Tafeln und Privatstränden – stets leger, braungebrannt,
zuversichtlich. Ihre schicken Kinder gehen auf teure Privatschulen und
-universitäten. Es geht ihnen prima. Es ist ruhig, es geht aufwärts.
Fujimori ist klasse.
Und dann ist da die Mehrzahl des Volkes, die unter der Armutsgrenze
vegetiert. Irgendwo in den Anden, aber auch in der Hauptstadt – viele Millionen,
die in staubigen, engen Vierteln hausen. Tagsüber erobern sie zu Tausenden
das verslumte Zentrum Limas, putzen Schuhe, verkaufen Bonbons oder betteln.
Sie leben auf der Straße, arbeiten, handeln, essen, schlafen und
pinkeln dort. Es stinkt erbärmlich.
Und doch glauben auch die Armen an Fujimori. Er ist Ingenieur, er wird
das kaputte Land schon reparieren. Den Plan hat er gewiß in seinem
Laptop-Computer, den er meist dabei hat, wenn er wieder unterwegs ist,
um Schulen, Straßen und Staudämme ans Volk zu übergeben.
Außerdem ist Alberto Kenyo Fujimori ein Kind armer japanischer Einwanderer,
die sich mit allen möglichen Jobs durchschlugen. Vom kleinen Alberto
gibt es ein trauriges Kinderbild: das Gesicht eine verlassen wirkende Fassade,
mit schielenden, verloren blickenden Augen und einem gepreßten Mündchen,
die Winkel tief nach unten gezogen. Seine Jugend war gewiß kein Zuckerschlecken.
Fujimori, der König der Slums und des Jet-sets. Vereint stehen
sie in den Schlangen vor den Wahllokalen: die Reichen, die an ihrem Kontostand
ablesen, warum sie den „chino“ mögen. Die Armen, die auf ihn hoffen
wie auf ein High-Tech-Wunder made in Japan, das eines Tages auch ihnen
ein Quentchen Wohlstand aus dem Computer zaubern wird. Zugleich bestrafen
sie mit Fujimori, dem Exoten, Perus politische Klasse, die traditionellen
Parteien, die bei dieser Wahl alle nur Brosamen abbekommen und in Zukunft
fürchten müssen, unter fünf Prozent zu rutschen.
Der Präsident preist dies als „neue Demokratie“, er macht aus der
Krise der politischen Institutionen eine Heilsbotschaft. „Fujimori feiert
den Niedergang der Parteien“, beobachtet Chefredakteur Zileri. Er sei ein
Autokrat, ein Rechthaber, unerbittlich von sich überzeugt. Wie weit
Fujimori gehen kann, hat sein berühmt gewordener Ehekrach gezeigt.
Als seine Gattin Susanna Higuchi ihn im Juli 1994 auf den Fernsehschirmen
als „Tyrannen“ beschimpfte, entzog er ihr den Titel der First Lady, ließ
Wasser, Telefon und Fax in ihrem Palastflügel abdrehen und die Tür
zuschweißen. Ihre politischen Ambitionen machte er zunichte, indem
er ein Gesetz schuf, das Angehörigen eine Kandidatur verbietet. Ihre
Partei, „Harmonie 2000“, wurde nicht zugelassen. Keiko Sofia, die ältere
Tochter, ist nun offiziell First Lady.
Der Präsident, sagt Cesar Rodriguez Rabanal vom Demokratischen
Forum in Lima, sei eine „ganz typische autoritäre Persönlichkeit“.
Sein Aufstieg gilt dem Psychoanalytiker als Beleg für Adornos These,
daß prekäre gesellschaftliche und psychische Strukturen den
Hang zu solchen Persönlichkeiten fördern, eine verzweifelte „Hoffnung
der Massen auf die Macht dieses einzelnen“ wecken. Ihm gruselt vor dieser
„lächelnden Maske“. Fujimori, prophezeit Rabanal, werde nur „noch
arroganter und unansprechbarer werden“.
Der „chino“ ignoriert solche Analysen. Er reformiert die Wirtschaft
ˆ la Thatcher, verfährt mit dem Parlament ˆ la Jelzin und verzahnt
Politik und Militär wie Pinochet. Ob ihm „Chinochet“, sein Spitzname,
eigentlich schmeichele, wird er nach dem großen Sieg gefragt. Es
gebe schon Unterschiede, antwortet er, amüsiert. Er sei zum Beispiel
kein General.
HINTERGRUND
Peru, nach der spanischen Eroberung neben Mexiko
die reichste Kolonie der Neuen Welt, gehört heute zu den ärmsten
Staaten Südamerikas. Schuld daran sind vor allem die politischen Machtkämpfe
im drittgrößten Land des Kontinents: Seit seiner Unabhängigkeit
1821 erlebte Peru unzählige Staatsstreiche und Militärputsche.
Jede Regierung setzte neue Maßstäbe für Korruption und
Vetternwirtschaft. Das „sozialistische Experiment“ des 1985 gewählten
Präsidenten Alan Garcia stürzte Peru vollends ins Chaos. Die
indianische Mehrheit (rund 55 Prozent der 22,5 Millionen Peruaner) lebt
unterhalb des Existenzminimums. Die sozialen Gegensätze begünstigten
die Entstehung der maoistischen Guerilla-Bewegung Sendero Luminoso (Leuchtender
Pfad), die seit 1970 das Land terrorisierte. 30 000 Todesopfer forderte
der nicht erklärte Krieg, der nach der Verhaftung mehrerer Anführer
1992 abgeflaut ist. Ungebrochen bleibt aber die Macht der Drogenbarone,
die im Huallaga-Tal Koka-Anbau betreiben.
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©
Schimmeck |