Der mit dem Volk tanzt

Jörg Haider, Österreichs forscher Rechtsausleger, will es bis 1998 zum Herrscher der Alpenrepublik bringen. Bislang läuft alles nach Plan – fast eine Million stehen schon hinter ihm

1994
von Tom Schimmeck 

Der nette Jörg? Der ist doch kein Faschist. Ein Faschist kommt mit Reitstiefeln daher, in Uniform, und sabbert während brüllender Rede. Gar ein Neonazi? So ein ewiggestriger Greis, ein Auschwitz-Leugner, halb zackig, halb zittrig?

Nein, Jörg Haider ist sauber und immer adrett. Trotz ein paar grauer Haare wirkt er jugendlich, fröhlich, freundlich, frisch und fit. Der Bergsteiger hat diesen Schulbuben-Charme, mit dem er sich geradeaus in die Herzen der Schwiegermütter lächelt. Der wirkt ganz so, wie es auf Feuerzeugen, Kugelschreibern und seinen kitschigen Autogrammkarten geschrieben steht: „Einfach ehrlich, einfach Jörg“.

Wieder hat er einen großen Sprung gemacht. Als Jörg Haider 1986 die alte FPÖ-Führung beiseite fegte, stand die Partei bei 4,98 Prozent. Noch im Jahr seiner Machtübernahme kam sie auf 9,72, 1990 schon auf 16,63 Prozent. Nun sind es 22,64 Prozent, fast eine Million Österreicher Haiderianer, 42 Haider-Leute im Parlament.

Am Wahlabend hat der FPÖ-Chef allen Grund, cool zu lächeln. Unaufhaltsam erscheint der Aufstieg des Jörg H. Während SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky etwas von „bitteren, ernsten Lehren“ murmelt, sein ÖVP-Partner Busek ratlos Konsequenzen ankündigt, funkelt Haider frech in die Kamera. Die Zeit für eine „nichtsozialistische“, sprich schwarz-blaue Koalition, rechnerisch nun durchaus drin, sei noch nicht reif, befindet er knapp. In der Opposition soll die FPÖ zur „Bürgerbewegung“ erstarken. „Wenn wir glauben, daß der Zeitpunkt gekommen ist, werden wir das auch dem Wähler sagen.“

Seine Devise: Alles oder nichts. Die Rolle des Juniorpartners ist ihm zu klein. Wenn ich Geduld habe, beharrlich weiter Verdruß schüre, rechnet Haider, fallen mir größere Früchte in den Schoß. Erst dann ist es an der Zeit, aus der Rolle des Anklägers in die des Retters zu schlüpfen.

Sein enormes Talent als Bauchredner des Volkes hat er wie nie zuvor gezeigt. Im oberösterreichischen Ried, nahe Braunau, Führer-Quellgebiet sozusagen, drängt sich viel Volk auf dem Hauptplatz. Bier wird ausgeschenkt, die Musikkapelle hat schon tüchtig geblasen. Ein Moderator „talkt“ mit Lokalgrößen der FPÖ auf einem Lastwagen der örtlichen Brauerei, der praktischerweise blau ist – die Farbe der Partei.

Plötzlich braust ein BMW heran, der Star federt heraus. Der Kapellmeister treibt seinen Klangkörper zum Begrüßungstusch, Applaus ertönt. Jörg Haider ergreift das Mikro und legt sofort los, wettert gegen Postenschacher und Doppelpensionen, Proporz und Privilegien, gegen Mißwirtschaft und Verschwendung in der verstaatlichten Industrie, in den Institutionen der Sozialpartner. Mit schneidender Stimme entleert er seinen Kübel, verhöhnt Beamte und Bonzen, die „akzeptieren müssen, daß für sie der Fasching aus ist“.

Er ist nicht brillant, aber agil, volkstümlich und kompromißlos. Im Stakkato hechelt Haider vermeintliche und echte Skandale durch, rattert Zahlen und Namen herunter, Jörg, der „Anwalt der Fleißigen und Tüchtigen“, der „die Sümpfe trockenlegen“ will und „den Menschen zeigen, wo’s lang geht“. Es ist immer die gleiche Platte, das gleiche Muster: dort die raffgierigen Spesenritter, die fiesen Funktionäre und auch – da gibt es immer Beifall – die kriminellen Ausländer, die schnurstracks abgeschoben gehören. Hier das Volk, die „Menschen, die hart arbeiten müssen“, „die tüchtigen, fleißigen Leute“, die „anständigen Oberösterreicher (Kärntner, Vorarlberger É), die was leisten“, „deren Geschäft und Familie in Ordnung sind“. Lange hat sich keiner mehr so schamlos ins Herz der kleinen Leute gedrängt. „Die Bürger“, jubelt Haider, „wachen auf.“

George Grosz hätte bei ihrem Anblick seine helle Freude: rotgesichtige Männer mit stumpfem Blick, die Arme gefaltet, die Beine im Pflaster verwurzelt; Frauen mit grimmigem Mund, bepackt mit Einkaufstaschen. Einige beginnen, im Rhythmus der Haiderschen Suada zu nicken. Aber auch junge Leute sind gekommen, Paare mit kleinen Kindern, die blaue FPÖ-Ballons schwenken. Skurrile Transparente tauchen auf, alle mit der gleichen Schrifttype: „Innviertler Bauern für Jörg“, „Jugend auf dem Weg mit Jörg“, „Jörg! Wir Arbeiter stehen hinter Dir!“, „Schützt unsere Pensionen“. Wahlhelfer verteilen Kochlöffel („Wir rühren um – FPÖ“), Haider-Videos und die Haider-CD „Liebe Freunde“ – Wortfetzen des Vorsitzenden, mit Jodel-Pop oder als „Dance Mix“.

Haiders Kampagne ist hochmodern. Seit Anfang September hat er, per Flugzeug und Auto unterwegs, pro Tag oft mehr als ein halbes Dutzend Auftritte absolviert, Zigtausende Autogrammkärtchen signiert, eine Unzahl von Zwiebeltürmen und blumengeschmückten Balkons abgeschritten, um überall die simple Botschaft zu verbreiten: Haider will „keine Revolution machen, gor nix, nur Ordnung schaffen“.

Wenn es Nacht wurde, drehte die Haider-Maschine richtig auf: Jeden Abend hatte eine 30köpfige Crew irgendwo in Österreich eine gigantische Bühne aufgestellt, mit computergesteuerten Lichteffekten, Dias, Videoclips und sattem Sound, verstaut auf vier LKWs. Höhepunkt jeder Show: Wie bei einem Fernsehquiz öffnet sich eine elektrische Schiebetür. Haider, beschützt von zwei Bodyguards, stürmt mit Musikuntermalung ins aufwendige Bühnenbild, treibt lustvoll den nächsten Keil zwischen Volk und Staat. Rundum hantieren smarte Boys eifrig mit ihren Funktelefonen – die „Haider-Yuppies“ („profil“), seine „Leibstandarte“ („Kurier“).

Was treibt den Großbauern und Waldbesitzer? Er agiert wie ein fröhlicher Brandstifter, kalkuliert Emotionen, appelliert an Instinkte, serviert supersimple Logik mit einem Schuß Brutalität. Seine Propaganda profitiert von der Erstarrung der Alpen-Republik, der Schwäche und Verfilzung ihres politischen Establishments, der Wucht ihrer prallen Skandale. Unermüdlich attackiert er die „Systemparteien“ und ihren Staat. Er geifert gegen „die Nichtstuer, die Sozialschmarotzer und Tagträumer“, ist anti-EU, anti-Ausländer und betont anti-68. Das Ziel: die „soziale Volksgemeinschaft“.

Sein Vater war in der HJ, in der SA und Gaujugendverwalter der Deutschen Arbeitsfront, seine Mutter war Bannjugendführerin. Sohn Jörg distanziert sich stets eifrig von Hitler, seine Rhetorik aber weist verblüffende Parallelen auf. Er provoziere heftige Reaktionen, analysiert der Sprachwissenschaftler Franz Januschek, um sich sodann distanzieren zu können. Am Ende stehe er als einer da, der „teilweise richtige Dinge sagt und die Judenvernichtung ohnehin nicht im Programm hat“.

Ein Typ, nach dem sich Rechte in ganz Europa die Finger lecken: Schlau genug, nicht als dumpfer Antisemit daherzukommen, zeigt er demonstrativ Abscheu vor dem Holocaust, hat gar das Holocaust-Museum in Washington besucht und sich von einigen allzu offensichtlich Rechtsradikalen getrennt. Haider lege sich, beobachtet die „Jüdische Rundschau“, „jetzt offensichtlich ein Reservoir an nicht anzweifelbaren Begegnungen und Stellungnahmen zu“.

Sein Instinkt sagt ihm, ob er Weichzeichner oder Dampframme braucht. Bis 1998, glaubt Haider, hat er Österreichs blutarme Demokratie sturmreif gelabert. Beziehungsreich nennt sich die FPÖ-eigene Werbeagentur, die seine „Kulturrevolution“ designt, “1998“. „Gute Autodidakten“, lobt Haider, die eine „Negativ- in eine Super-Stimmung umgewandelt“ hätten. „Wir“, sagt er stolz, „machen alles selber.“

Nicht immer war ihm das Glück hold: 1991 verlor er im Bundesland Kärnten, Machtbasis und Labor des Jörg Haider, den Posten des Landeshauptmanns – nachdem er die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ des Dritten Reiches gelobt hatte. Sein Anti-Ausländer-Volksbegehren 1993 endete mit einer Niederlage und der Abspaltung der Liberalen um Heide Schmidt. Das Europa-Referendum (66 Prozent pro) im Juni 1994 geriet ihm zum Desaster.

Auf Spritztouren in einem schwarzen Porsche-Cabrio suchte Haider hernach neue Inspiration. Nun hat er die spitze Nase wieder im Wind, mit einer „völlig neuen Selbstdarstellung“. Vranitzky und Busek, höhnt er – „das geht schon biologisch nicht, daß die mich überleben“.

Im oberösterreichischen Kirchdorf haben ihm Anhänger eine prophetische Zeichnung gemalt: Haider als blauer Hecht, der die roten und schwarzen Karpfen jagt. Ist Berlusconi ein Vorbild? „Ich war schon vorher da“, sagt Haider stolz, schwingt sich ins Auto und braust davon.
 

© Schimmeck