Die blaue Karawane
Österreichs Jörg Haider ist mehr als ein Rechtspopulist. Er ist ein Gesamtkunstwerk modernen Polit-Marketings, von einem engen Kreis guter Kumpanen immer wieder neu ins Rampenlicht gerückt
1996
von Tom Schimmeck
I mog ihn“, sagt der vierschrötige Typ, der
am Tor herumsteht. „Der ist ehrlich, der setzt sich ein.“ Sicher, früher
hat er immer „die Roten“ gewählt. Schließlich sind wir hier
im Karl-Marx-Hof, einem berühmten Wiener Gemeindebau. „Aber diesmal“,
glaubt der Mann mit dem Goldkettchen, „werden die meisten hier wohl den
Haider wählen.“
Diesmal – damit ist der 13. Oktober gemeint. An dieem Sonntag bestimmt
Österreich seine Europaabgeordneten und Wien auch sein Landesparlament.
Zudem findet in Tirol eine Nachwahl für den Nationalrat statt, weil
sich bei der Wahl im Dezember eine ehemalige Ministerin in falsche Lokal
verirrt hatte. Wird Jörg Haider seinen Siegeszug fortsetzen können?
Die Stimmung für seine FPÖ gilt wieder einmal als günstig.
Das Ziel ist klar: 1998 will er Kanzler werden.
Österreich feiert seinen tausendsten Geburtstag. Jörg Haider
hat auf einem Schloß unlängst 10 Jahre Haider-FPÖ zelebriert.
Er hat allen Grund zur Party: 1986 putschte er sich an die Spitze, modelte
die Partei mit der Grundfarbe Blau zu seiner persönlichen Kampftruppe
um. Seither geht es bergauf: Noch im gleichen Jahr steigerte sich die FPÖ
von 4,98 auf 9,72 Prozent. Jeder sechste Wähler war plötzlich
einein Haider-Fan, dann jeder achte, jeder fünfte. In Wien will nach
letzten Umfragen nun jeder vierte FPÖ wählen. 37 Prozent der
Österreicher können sich inzwischen zumindest vorstellen, für
Haider zu stimmen. „Wahltag“, plakatiert die FPÖ triumphierend, „ist
Zahltag.“
Haider hat die Siegeraura, er treibt die Etablierten vor sich her.
Zunächst hat er die konservative Volkspartei, die ÖVP, nahezu
halbiert. Sie ist heute mancherorts nur noch dritte Kraft, nennt sich verzweifelt
schon die „neue ÖVP“. Dann nahm sich der Bergbub die Sozialdemokraten
vor, die Austria seit einem Vierteljahrhundert regieren. Die erfolgreichste
Arbeiterpartei heißt heute: FPÖ.
Er fängt die Menschen mit ihrer Angst – vor Ausländern und
„Sozialschmarotzern“, vor der Zukunft, der Kriminalität und den Tücken
des Lebens schlechthin. Er versichert ihnen, wie tüchtig und anständig
sie sind. Er tritt als Lichtgestalt aus diesem Nebel von Furcht, Überdruß
und Selbsthaß. „Naa“, es gehe ihm nicht sonderlich schlecht, meint
der Arbeiter im Wiener Gemeindebau. Doch auf die Frage, was ihn denn ärgere,
antwortet er vergräzt: „Alles“.
Haider ist nicht einfach nur ein rechter Populist. Den ultrarechten
Flügel, der ihm mit zur Macht verholf, hofiert und düpiert er
nach taktischem Belieben. Einst bezeichnete er die österreichische
Nation als „Mißgeburt“, dann wier brach er öffentlich mit der
„Deutschtümelei“ in der Partei. Er ist flexibel bis zum Opportunismus,
oszilliert irgendwo zwischen Adolf und James Dean. Seine FPÖ hat der
Chef zur „Bewegung“ umformiert – neben der normalen Parteimitgliedschaft
wurde so Raum für andere Formen sympathisierender Mitarbeit geschaffen.
Vieles ist möglich. Solange sich um eine Sonne dreht: Jörg Haider.
Ein Gesamtkunstwerk modernen Polit-Marketings, von einem engen Kreis
guter Kumpanen immer wieder neu ins Rampenlicht gerückt. Sie spielen
mit Farben und Formen. Sie schaffen die simplen, kräftigen Slogans
(„Einfach ehrlich, einfach Jörg“), sie vergolden seine Worte,
sein Lächeln und seinen Schweiß. Eine Riesenportion Narzißmus
gehört dazu: Der lockige Jörg, wiewohl 45, zeigt sich gern mit
behaarter Brust und Goldkettchen, stets knackig braun und geradezu krankmachend
fit. Er läuft Marathon, skatet, taucht, hängt an Bungee-Seilen
und fährt natürlich Porsche. Steile Felswände erklimmt er
in nullkommanix.
Es ist ein großes Spiel um die Macht. Dabei werde vieles, sagt
Haider selbst, von ihm und seiner Crew ganz spontan probiert. Manchmal
sei es „super“, manchmal gehe es „total in die Hose“. Sein letzter Streich
war die Präsentation der neuen Nummer 2 auf der FPÖ-Europaliste:
Peter Sichrovsky – ein jüdischer Journalist, der durch Interviews
mit den Kindern der Naziopfer und -täter bekannt wurde. Und wieder
waren Österreich verblüfft, allen voran die „Intelligenz“, wie
sie sich hier genre nennt. In Wiens Kaffeehäusern wackelten die Tassen.
Ein Punktsieg für Haider, den Psychokrieger. Seine Taktik heißt
Verunsicherung und Angriff. Ständig sucht er nach einer Ritze, um
seine Brechstange anzusetzen. Er ist brutal – aber auch wendig. Als er
unlängst dem Wiener Alternativblatt „Falter“ ein Interview gab, überraschte
er die redlich kämpfenden Redakteure mit der Idee des US-Rechten Pat
Buchanan, rechts und links zu versöhnen „und gemeinsam den Moloch
der Konzernherrschaft“ anzugehen. Zugleich bewies der „minimo líder“
(„Falter“) einen klaren Blick für die eigene Wirkung: „Ich interessiere,
weil ich ein absolut polarisierender Politiker bin“, konstatiert Haider.
„Ich habe 150prozentige Anhänger und 150prozentige Gegner. Dazwischen
ist nichts.“
Wenn die blaue Karawane dieser Tage auf den Marktplätzen auftaucht,
ist wieder jener wohlige Gleichklang zu bestaunen, der das Volk mit seinem
Rädelsführer vereint. Er spricht mehr die Männer an, doch
auch Frauen stehen auf Haider. Die Alten sind schneller zu kriegen, aber
auch viele junge Leute empfinden ihn als einen „guten Typen“. Der fesche
Jörg schmeichelt und prügelt, er witzelt und rattert. Er lockt
ihren Neid heraus und ihren Zorn. Doch letztlich sagt er den Zuhörern
immer nur eines: Ihr seid die Rechtschaffenden, die Guten. Und die anderen
– die Fremden, die Politiker und Ganoven, die Nichtstuer und Bonzen und
Künstler – sind es, die eurem Glück im Wege stehen.
Sein Resonanzboden ist der Frust mit dem verkarsteten österreichischen
Proporzsystem, in dem alle Macht fest verteilt ist. Die FPÖ ist unter
Haider zur dynamischsten Opposition Österreichs geworden. Sie hat
viele Fälle von Privilegienwirtschaft aufgedeckt, die Übermacht
der Volksparteien und Kammern angeprangert. Haider, sagt sein Kritiker
Armin Thurnher, ist „der Ersatzrebell für die Untertanen“.
In dieser Heldenrolle stürzt Haider SPÖ wie ÖVP in ein
fundamentales Dilemma. Seit er im Anmarsch ist, sind sie in einer Großen
Koalition aneinandergekettet, die sie mehr und mehr Attraktivität
einbüßen läßt. Ein beliebter österreichischer
Witz sagt, die Regierung könne nur deshalb nicht zurücktreten,
weil Haider so dicht hinter ihnen steht.
Wie gebannt starren das Establishment auf den politischen Libero,
der sie so beständig treten kann, ohne sich selbst mit unpopulären
Entscheidungen entlarven zu müssen. Seine politischen Pläne sind
verschwommen bis verheerend. Mit seiner Kritik am System aber, raunen auch
entschiedene Haider-Gegner, liege der Blaumann oft erschreckend richtig.
Das ist das perverse am Phänomen Haider: Das gerade die kritische
Intelligenz so gefesselt von ihm ist. Mit der Faszination der Haider-Kritiker
wwächstihre Hilflosigkeit. Der Aufstieg des Jörg Haider ist die
spannendste Story, die Österreichs Medien in den letzten Jahren untergekommen
ist. Ein halbes Regal voller Bücher ist darüber geschrieben worden.
Es scheint ihn nicht zu kratzen: Normalerweise brauchen Politiker nach
echten Pannen Jahre, um wieder an Popularität zu gewinnen. Nicht so
Jörg Haider. Der war selbst 1991, als er die „ordentliche Beschäftigungspolitik“
des Dritten Reiches lobte, binnen kürzester Frist wieder demoskopisch
obenauf.
Haiders Einfluß auf die politische Rhetorik ist unverkennbar.
Immer öfter hat seine Partei Gelegenheit, genüßlich darauf
zu verweisen, daß die anderen ihr nur nachplappern. Als die SPÖ
unlängst im Wiener Bezirk Favoriten eine Anzeige mit barschen Tönen
zum Thema Ausländerzuwanderung veröffentliche, brachte die FPÖ
den Text flugs als Antrag in den Bezirksrat ein. Die Sozialdemokraten,
peinlich berührt, waren gezwungen, ihre eigenen Tiraden niederzustimmen.
Haider, folgert der Wiener Schriftsteller Robert Menasse, sei längst
an der Macht: „Ein denkender Österreicher weiß, daß Haider
bereits regiert – unter vielfältigen Pseudonymen“. Die immer rabiatere
Ausländerpolitik, die sozial unausgewogenen Sparmaßnahmen, der
Ausverkauf der Staatsfirmen und der schroffe Umgang mit Minderheiten wie
Behinderten und Künstlern sind in seinen Augen klare Haider-Politik.
„Wär es nicht gescheiter“, fragt Menasse provozierend, „es regiert
der, der diese Ideen hat? Und löst so wenigstens Massendemonstrationen
aus? Was soll er denn schlimmer machen? Den Genickschuß an der Grenze?“
Was tun gegen Haider? Die Ohnnmacht von Politik und Öffentlichkeit
ist offenkundig. In Wien hört man beredte Klage über abgestumpfte
Eliten und das „verrottete“ intellektuelle Kilma. Das Problem Austrias,
schreibt der Publizist Claus Leggewie, seien nicht die 20 bis 30
Prozent der Wähler, die auf Haider hereinfallen, „sondern die 70 bis
80 Prozent, denen zu Haider nichts einfällt“.
Wird er es zum Kanzler schaffen? Jörg Haider zeigt bei dieser Frage
gern sein charmantestes Lächeln. Helmut Kohl, sagt er, habe es auch
17 Jahre lang probiert, sei verkannt und verhöhnt worden – und heute
ein großer Staatsmann. Sein Fazit: „Man muß nur einen langen
Atem haben.“
Jörg Haider wurde am 26.1.1950
in Bad Goisern/Oberrösterreich als Sohn eines ehemaligen SA-Mannes
und einer Bannmädchenführerin geboren. 1973 promovierte er als
Jurist in Wien. Als Student baute er den „Ring Freiheitlicher Jugend“ auf.
1977 war er Landesskretär der Freiheitlichen Partei (FPÖ) in
Kärnten, 1979 Abgeordneter im Nationalrat. Mit 33 wurde Haider Parteichef
in Kärnten, bei den dortigen Landtagswahlenerreichte die FPÖ
16 Prozent. Per Putsch wurde Haider 1986 Österreich-Chef der Partei,
die SPÖ/FPÖ-Koalition zerbrach. Im Mai 1989 stieg Haider mit
Hilfe der ÖVP zum Landeshauptmann in Kärnten auf. Er stürzte
1991 über sein Lob für die „ordentliche Beschäftigungspolitik“
des Dritten Reiches. Dennoch steigerte sich die FPÖ bei den Wahlen
1994 auf 22,04 Prozent. Nach dem Anti-Ausländer-Volksbegehren Anfang
1993, Haiders einzigem Mißerfolg, verließen die letzten Liberalen
die Partei und gründetn das „Liberale Forum“. Haider ist durch ein
Erbe – das Kärtner Bärentals – vermögender Großgrundbesitzer.
Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
©
Schimmeck |