Der blaue Prinz

Der rechte Rebell Jörg Haider hat die Volksparteien geschröpft. Nun will seine FPÖ die Macht in Österreich.


von Tom Schimmeck 

Ein Mann am Ziel. Sein kühles Bergsportler-Lächeln breiter noch als üblich. Er weiß: Millionen stehen hinter ihm, genauer: 1,191 Millionen Österreicher. Er hat jetzt 53 Abgeordnete im Wiener Parlament. Und seine Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist, wenn nicht noch ein paar Spätausgezählte dazwischenkommen, die zweitstärkste Kraft im Land, in den Bundesländern Kärnten und Salzburg gar die erste. Das, sagt er zufrieden, sei das Ende von "dreissig Jahren Sozialismus".

Jörg Haider, 49, hat es immer verstanden, wie ein Sieger auszusehen. Nun hat er allen Grund dazu: Die Roten sind geprügelt, die Schwarzen freuen sich schon, nicht noch übler dazustehen als erwartet. Die Liberalen sind hinweggefegt. Und seine FPÖ, die in Königsblau daherkommt, triumphiert. Die blaue Lawine rollt.

Sie alle wollten ihn verhindern. Sie haben es nicht geschafft. "Die Zeit der Oberausgrenzer ist abgelaufen", befindet Europas erfolgreichster Rechtsradikaler. Ein Polittalent, das dazugelernt hat. Er weiß, wie man in Bierzelten brüllt und in Salons säuselt. Er hat Erfahrung darin, selbst aus Fehlern einen Vorteil zu ziehen.

Haider muß sich beinahe unverwundbar fühlen. Einst hat der Mann, der nun als "echter Österreicher" in den Wahlkampf zog, sein Land als "Mißgeburt" bezeichnet. Und den Präsidenten, der ihm jetzt zum Mitregieren verhelfen soll, als "Hampelmann". Er hat SS-Veteranen als "anständige Menschen" hofiert. Sein Sprüchlein von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik" des Dritten Reiches fehlt in keinem Haider-Portait. Was hat es ihm geschadet? Nichts.

Seit Jörg Haider sich 1986 an die Spitze der FPÖ putschte Vorgänger Steger nannte seine Truppe "Kellernazis"), hatte er ein klares Ziel: die Macht. Für den Führer der damals unter 5 Prozent liegenden Partei mag dies vermessen gewesen sein. Er selbst aber glaubte daran, gemeinsam mit einer kleinen, aber entschlossenen Gruppe von Getreuen, die einen Plan hatten: die Etablieretn aufeinander zu hetzen, und eine Strategie: Zähigkeit und stete Provokation.

Er fand sich schnell bestätigt. Sein Putsch löste Neuwahlen aus, denndie FPÖ war damals Koalitionspartner der Sozialdemokraten. Haider führte zum Bruch. Die Wahlen bescherten ihm einen Blitzsieg: Der neue Mann konnte die Stimmenzahl der FPÖ prompt verdoppeln.

Seither hat Haider ein Siegerimage, das alle in seinen Bann zieht. Die Volksparteien schlossen sich zur der bis heute bestehenden Grossen Koalition zusammen, auf die einzudreschen ihm eine Freude war. Er war der Jäger, er verkörperte die Opposition - nicht eingebunden, unberechenbar, gefährlich. Bald war die Grundmelodie gefunden: Nach oben spucken - gegen Postenschacher und Pfründe in Politik, Verwaltung, den Kammern und der Staatswirtschaft. Nach unten schlagen - vor allem gegen Ausländer.

Das Marketing ist perfekt: Der vitale Haider hat sich stets als Frischzellenkur für eine müde, erstarrte Demokratie verkauft, immer joggend, bergsteigend, vollkommen fit. Er folgt seinem Instinkt. Will er Hysterie schüren, stellt er sich auf die Plätze und wettert gegen Drogendealer, Kinderschänder und Asylbewerber, läßt den Ostblock und den Balkan in Österreich einfallen. Will er Vernunft verströmen, reist er nach Harvard, um gepflegt über die Zukunft der Welt zu parlieren. Haider, meint das Wiener Magazin "profil", "war schon immer in der Lage, mehrere Rollen gleichzeitig zu spielen, ohne die Übersicht zu verlieren".

Sein Kampfmaschine hat sich in 13 Jahren Dauerwahlkampf perfektioniert. Die Werbefirma, die früher unter dem Namen "1998" operierte (das anvisierte Jahr für die Kanzlerschaft Haiders) und sich heute "blue connection" nennt, spielt schamlos mit Farben, Formen, Worten und Klängen. Sie verklebt freche Sprüche wie: "Wir haben die Lösung". Und nackte Babys mit dem Ausruf: "Danke Jörg". Vor allem hat sie Haider zum Popstar der Politik aufgebaut.

In diesem Jahr rückte die Haider-Crew mit einem gewaltigen Großbildschirm plus Regiewagen auf den grossen Plätzen des Landes an. Bevor der Parteiobmann auf die effektvoll beleuchtete Bühne sprang, zeigte ein Videoclip ihn in tausend Posen. Zu seiner Rede über den "tiefblauen, freiheitlichen Zukunftshimmel" wurden Kernsätze eingespielt. Am Schluß, wenn die Massen um ein Autogramm anstanden, folgte eine Livekamera dem Führer ins Volk, die Bilder erschienen überlebensgroß hinter ihm, abgemischt mit Wahlkampfslogans ("Einer, dessen Wort zählt", "Einer, dem wir vertrauen"). Dazu erscholl Musik aus "Rocky I": "Final countdown".

Der blaue Star versteht nicht nur das Volk zu bewegen und die Etablierten vor sich herzutreiben, auch die Intelligenz zieht er in seinen Bann. Angeödet von den Wiener Verhältnissen schaut schaut sie seit Jahren fasziniert in seine stahlblaue Augen, um den narzisstischen Streber, den biederen Rebell, den charmanten Zocker zu deuten.

Auch aus der Konfrontation mit seinen Kritikern ist der Blaumann oft als Sieger hervorgegangen. Schon weil er sie zwingt, eine absurde Volte zu schlagen. Das Problem sei, erkannte der Schriftsteller Robert Menasse schon 1995, "dass Haider exakt das alles frontal angreift, was die kritische Intelligenz selbst immer schon kritisiert hat, zum Beispiel die Sozialpartnerschaft oder die historischen Mythen der Republik".

Haider hat Fehler gemacht. Immer wieder mußte der Mann, der nach eigenem Bekenntnis nur seiner Frau und seinen Eltern traut, seinen Apparat von Konkurrenten und peinlichen Gestalten säubern. Manche Kampagne geriet zum Debakel. Sein Anti-Ausländer-Volksbegehren 1993 ("Österreich zuerst") polarisierte das Land derart zu seinen Ungunsten, dass am Ende nur 7,37 Prozent der Wahlberechtigten unterschrieben. Es führte zum Auszug der letzten Liberalen aus der Partei und zum Bruch mit der Liberalen Internationalen. Ein Anti-Euro-Volksbegehren geriet ähnlich kümmerlich.

Nach jeder Pleite aber wußte der Millionär aus dem Kärntner Bärental neue Siege zu inszenieren. Jede Entgleisung führte nach der ersten Empörung zu Abstumpfung, ließ die Angst vor ihm ein bißchen kleiner werden. Auf der Zustimmungskurve wurde jedes Mal eine kleine Delle sichtbar, der bald ein noch steilerer Anstieg folgte. Selbst nach dem Spruch über Hitlers gute Beschäftigungspolitik hatte die FPÖ schnell wieder große Wahlsiege. Haider weiß: "Mit jeder Verwundung wird man routinierter".

Im Land Kärnten, seiner Basis, nahm er der ÖVP schon vor zehn Jahren den zweiten Platz ab und wurde für zwei Jahre Landeshauptmann (Ministerpräsident). Seit einem 42-Prozent-Sieg im letzten März hat er den Posten wieder. Und verstand es blitzschnell, wichtige Staatsfunktionen und Aufsichtsräte mit seinen Leuten zu besetzen. Haider senkte Mieten und Strompreise, versprach allen Familien den "Kinderscheck" - eine Garantie für Betreuung und finanzielle Unterstützung. Als Beleg für eine bessere blaue Zukunft kam ihm dies im Wahlkampf sehr zupaß.

Mit seinen Kampagnen und Attacken, ja selbst mit seinen Skandalen und Pannen hat Haider es stets verstanden, im Mittelpunkt zu bleiben. Er zelebriert die ewige Wiederauferstehung, er ist der Nabel der österreichischen Politik. Egal, ob die anderen Parteien ihn bekämpfen oder nach seiner Pfeife tanzen, sie fürchten ihn. Zu Recht. Denn Haider ist der Vampir der Volksparteien.

Zuerst hat er die SPÖ ausgesogen: Die FPÖ hat jetzt eine höheren Arbeiteranteil als die Sozialdemokraten und feierte am Sonntag in den Industriestädten besondere Triumphe. Den einfachen Leuten liefert er Haß als Ventil für ihre Angst. Er füttert sie mit Austrofaschismus: verquer national, provinziell, xenophobisch, intolerant, autoritär. Nun hat er, mit Hilfe befreundeter Geschäftsleuten, Grafen und Gynäkologen, auch das Bürgertum angezapft. Längst punktet Haider auch bei Frauen, bei der Jugend, beim Mittelstand. Hätte sich die konservative ÖVP nicht in einen letzten Verzweifelungskampf gestürzt, wäre der Abstand zur FPÖ viel drastischer ausgefallen. In Umfragen lagen die Schwarzen schon bis zu sechs Prozent hinter den Blauen.

Da mutet es fast als Treppenwitz an, dass ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel nun Kanzler von Haiders Gnaden werden könnte. Die SPÖ, seit 30 Jahren an der Macht, wird nicht mit dem blauen Prinzen regieren. Ihr Dauerpartner ÖVP aber fürchtet bei einer Fortsetzung der Grossen Koalition die völlige Vernichtung. Das freut den Haider. "Wir", sagt der Sieger, wölfisch lächelnd, "sehen unsere Zukunft nicht in der Opposition."

© Schimmeck