"Ich war immer knackig"

Hans-Olaf Henkel, Lautsprecher der deutschen Industrie, kämpft für eine Radikalreform der Republik. Sein „völlig neuer Verteilungskampf" hat gerade erst begonnen

1996 
von Tom Schimmeck 

Es ist Montag früh, und schon ist wieder ein gutes Dutzend Linsen auf ihn gerichtet. Er schiebt das Kinn vor, pappt schnell noch ein widerspenstiges Haar an den Schädel. „Hab keinen Kamm dabei. Geht das so?"

Gleich geht die Henkel-Orgel los, immer volles Feuer aus allen Rohren. Hans-Olaf Henkel fordert: Runter mit den Steuern und Abgaben, weg mit dem „wuchernden Wohlfahrtsstaat". Bund, Länder und Gemeinden sollen noch viel deftiger sparen. Und die Gewerkschaften aufhören zu spinnen.

Er macht das immer so. Dabei ist er heute gar nicht voll in Form. Sonst hätte er gewiß auch noch die Öko-Steuer verdammt, den lächerlichen Ladenschluß attackiert und eine Lanze für neue Atomkraftwerke gebrochen. 

Seit anderthalb Jahren ist der kantige Kerl nun Boß des BDI, Dachorganisation des wuchernden Verbandswesens der deutschen Industrie. Zu Henkel schauen 36 Fach- und über 500 Unterverbände auf - für jede Schraubengröße einer.

 Längst eilt dem Ex-IBM-Manager der Ruf voraus ein kalter Fisch zu sein, ein ganz harter Hund, dem die menschlichen Folgen egal sind. „Quatsch", sagt Henkel auf der Überholspur zwischen Bonn und Köln, „ich kann keiner Fliege was zuleide tun." Nur: „Was gesagt werden muß, muß gesagt werden. Niemand tut so viel wie die Arbeitslosen wie wir."

Berührt es ihn, wenn in Bonn 350 000 Leute gegen eine Sparpolitik protestieren, die ihm noch viel zu lax ist? „Das war ein Sommerfest." Keine Angst vor heißen Zeiten? „Ach", meint Henkel cool, „heiß wird es für die Leute am Strand von Mallorca."

Bumm bumm Henkel. Keine Chance läßt er ungenutzt, seine „Fakten" an die Wand zu nageln: Deutschland ist auf dem absteigenden Ast, zu langsam, zu teuer, nicht mehr gut genug. Deutschland muß anders, ganz anders werden.

Ein Triebtäter? Ja, sagt Henkel, da sei „schon was missionarisches bei". ein leises Kichern. „Irgend etwas treibt mich hier." 

Dabei äußerten sich selbst Sozialdemokraten verzückt, als Henkel den BDI-Job übernahm. Manchem ist da Vorab-Lob wohl inzwischen im Halse steckengeblieben.

Henkel ist das schnuppe, er knuspert sich so durch. Endlich kann er Themen anpacken, die ihn schon in der Zeit als deutscher IBM-Chef gewurmt hatten. Damals erzwang er zur flotteren Chip-Produktion in Sindelfingen Sonntagsarbeit. Gegen den heftigen Protest der Pastores und Teilen der Christenunion, der Sozis und Gewerkschafter sowieso. Er führte Heimarbeit am Bildschirm ein - wieder gab es Krach mit der Gewerkschaft. Dann trat er aus dem Arbeitgeberverband aus, auf daß über IBM nicht die 35-Stunden-Woche hereinbrechen möge. „Ich war schon immer knackig", resümiert Henkel.

Im BDI-Apparat rollen manche mit den Augen. Die meisten Vorgänger waren Teilzeitkräfte, sie hatten ja noch einen Großbetrieb zu führen und schauten nur gelegentlich mal in der Kölner Zentrale rein. Henkel aber ist voll da, quasi ein Fulltime-Präsident. Seine paar Aufsichtsratsposten erledigt er en passant. Wenn sich „HOH", wie er hausintern heißt, sich so richtig reinhängt, knirscht das Getriebe, ist Nachtarbeit angesagt

„Jeder Mensch muß einen Boß haben", verkündet Henkel auf vielen Treppen zum neunten Stock - welcher Weichling wird denn den Aufzug benutzen? „Und ein Vorstandsvorsitzender braucht einen Aufsichtsrat." Er habe fast immer gute Bose gehabt. „Ich mußte nie rumschleimen."

Schnellen Schrittes entert er das Arbeitszimmer, mit knappen Bewegungen geht er die vorbereiteten Mappen durch, zeichnet Briefe ab, telefoniert dabei, checkt seine Email, schaut in den Entwurf einer neuen Broschüre: „Das ist aber harmlos." Dann strebt der Präsident in eine Konferenz, um sich die konjunkturelle Lage erläutern zu lassen. Die ™konomin trägt vor. Er unterbricht, fragt nach der Quelle: „Kommt das von irgendeinem Verbandsheini, der den Finger in die Luft gestreckt hat?" Am Schluß dankt er, faßt das Ergebnis zusammen. Und seufzt plötzlich: „Kinder, ich bin irgendwie groggy."

Der knochige Hanseat hat einen asketischen Zug. „Man muß ja auf Draht sein", meint er, auf seine schlanke Erscheinung angesprochen, geschmeichelt.  Lean management.

Gewiß, ein Steinbeißer, schroff, steif,  zuweilen ein bißchen hölzern. Aber kein schmauchender, fetter Klischee-Kapitalist. George-Grosz-Bilder passen nicht auf diesen Industrieführer. Henkel ist ein sperriger Typ, der sich schwer in eine Schublade zwängen läßt. Kein Simpel.

Politisch etwa liegt der Fall Henkel kompliziert. Außer grün hat er „schon alles gewählt" - will sagen: rot, gelb, schwarz. Damals zum Beispiel Willy Brandt. Tatsächlich.   

Oft hört er sich an wie Lambsdorff pur. Aber Romano Prodi, der strahlende Sieger von Italiens neuer Linkskoalition, ist ein alter, hoch geschätzter Kumpel von ihm. Er schätzt Schäuble. Aber es würde ihm gefallen, wenn die SPD mal wieder einen echten Plan hätte, ein Programm, das begeistert. Wohl auch deshalb hat er diese Woche den britischen Labour Boß Tony Blair nach Bonn eingeladen, um vor dem BDI zu sprechen: Um den deutschen Sozis heimzuleuchten. 

Vergangenen Dienstag, auf der Jahrestagung des BDI, trietzt er Kohls CDU-Regierung, weil sie in 14 Jahren Herrschaft weniger Verve gezeigt hat als Thatcher&Co in Großbritannien, will wieder alles privatisiern, vom Friedhofsgärtner bis zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. „Der Staat ist das Übel und die Lösung", verkündet Henkel. Will er die Gewerkschaften abschaffen? „Nein" sagt Henkel. Und fügt hinzu: „Es wäre ja auch politisch total inkorrekt zu sagen: Ja." 

Der Mann ist festen Glaubens. Er hat sein Weltbild, stark geprägt durch 17 Jahre Auslandserfahrung. Er ist überzeugt, sehr nah an der Wahrheit zu sein. Er liebt Ordnung im Kopf - und auch sonst. „Ein Segler", sagt Henkel, der oft auf dem Bodensee unterwegs ist, muß immer für Ordnung an Bord sorgen, sonst kann es nicht nur ungemütlich werden, sondern gefährlich. Er muß auch nachts wissen, wo die Schot oder die Schwimmweste ist."

Und wo der Hammer hängt: Klassisches Verbands-Lobbying hinter verschlossenen Saaltüren ist nicht Henkels Ding. Seine Devise lautet: Raus in die ™ffentlichkeit. Es habe ja keinen Zweck, räsonniert er, wenn er volkswirtschaftliche Sprüche von sich gebe, die in den Masenmedien nicht gebracht werden. Also muß eine Sprache her, die auch „Bild" versteht. Das erklärte Ziel: Die Politik über die öffentliche Meinung beeinflussen. Auch wenn der Kanzler manchmal beleidigt ist. „Die müssen doch begreifen, daß man ihnen hilft, wenn man mehr fordert, als sie durchsetzen können."

Der BDI-Boß schlägt viele Schlachten, er muß sich zügeln, um die Zahl der Fronten zu begrenzen. Am liebsten, gesteht er am Abend des hektischen Tages bei einem Pils und eienr Monte Christo, würde er auch noch eine Dabatte über die „Langzeitfolgen der Mitbestimmung".

Würde auch nichts mehr schaden. Schließlich ist der Streit um den Wert der Sozialpartnerschaft im Unternehmerlager längst voll entbrannt. Er hat Tradition. Schon der erste BDI-Chef Fritz Berg hielt dem BDA, dem Arbeitgeberverband, für die Tarifpartnerschaft zuständig, vor, „allerlei dummes Zeug" zu treiben. Henkel klingt ähnlich rigoros: „Die Sozialpartnerschaft hat uns Frieden und eine Menge Produktivität gebracht. Aber inzwischen sind ja andere Länder auch befriedet. Also ist dieser Vorteil", so seine kühle Rechnung, „kaum noch da, nur die Kosten sind noch da." Ist die deutsche Harmonie ihm zu teuer? „Derzeit ist der Preis zu hoch, wir kriegen sie auch billiger."

Da erscheint es, zu später Stunde, an der Zeit, mal ein Schreckenswort einzuwerfen: Weimar. Henkel schaut von dem Redemanuskript hoch, in dem er nebenher mit dem Füller agiert. Deutschland sei schon fast wieder bei den Arbeitslosenzahlen von damals, sagt er nachdenklich, tatsächlich seien es ja wohl schon rund sechs Millionen. Wie steht es da um die Verantwortung seiner Unternehmer? Warum investieren sie nicht hier, sondern anderswo? „Als Unternehmerfürst", kontert Henkel, „ist ihnen ja völlig egal, wo ihre Leute leben." Von seiner Klientel höre erzuweilen: „Laß das Gequatsche vom Standort Deutschland, laß mich ins Ausland gehen."

Ein Widerspruch: Ist es doch dieMission des BDI, möglichst viele Industriearbeitsplätze in Deutschland zu halten. Die Logik mancher Unternehmen dagegen lautet: Raus hier. „Das", sagt Henkel, ist betriebswirtschaftlich richtig, nur die Summe ist volkswirtschaftlich falsch." 

Wie düster sieht er die Zukunft? Das System, mein Henkel, sei da „teuflisch perfekt": Wenn nichts geschehe, würden immer mehr Arbeitsplätze verlagert, Steuern und Abgaben würden weiter steigen, die Währung fallen, die Löhne sinken - „weil die Gewerkschaften angesichts der Arbeitslosenmassen nicht mehr zu sagen. Und irgendwann kommen die Amerikaner wieder und investieren hier, weil es so billig ist."

Henkel gibt es zu: „Für das Arbeitsplatzproblem hab ich keine Lösung." Es sieht ja so aus, als könne die Wirtschaft nicht einmal ihr Lehrstellen-Versprechen halten. Das sei, murmelt er, wohl „falsch gewesen", einfach „systemfremd"

Beim Frühstück bastelt er schon wieder an seiner Rede, nibbelt nur ein bißchen Obst. Der Auftritt soll perfekt sein. Was treibt ihn heute? Der Kitzel. „Ich stell' mir vor: Da sitzen 1400 BDI-Präsidenten, die alle denken, sie können den Job besser als ich." 
 

    Hans-Olaf Henkel, wurde am 14. März 1940 in Hamburg geboren. Nach der Mittleren Reife machte er eine Lehre und studierte später an der gewerkschaftlich geprägten Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik. 1962 ging er zu IBM und machte dort Karriere. Nach Jahren in Colombo, Kalkutta und den USA kam er 1982 als Vizepräsident  nach Europa zurück. 1985 wurde er Chef von IBM Deutschland, 1994 Generaldirektor von IBM Europa in Paris .  Seit Januar 1995 ist der Manager Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), nebenher auch Vorsitzender der Aufsichtsräte von IBM und - noch - der Berliner Flughafen AG sowie Aufsichtsratsmitglied von Conti, Audi, Dasa, der Industriekreditbank und der KfW. 

© Schimmeck