Hongkong Inc.

Das neue Hongkong versucht den Brückenschlag der Extreme. Eine Allianz der Milliardäre und Funktionäre will die Freiheit des Geldes und zugleich die Allmacht der Partei sichern

1997 
von Tom Schimmeck 

Die Fotografen sind in Stellung. Der neue Chief Executive zeigt Zähne für ein Lächeln, wie tausendmal in diesen Tagen. Alles schon Routine: Verdiente Geschäftsleute treten einzeln vor, um eine Urkunde zu erhalten. Sie tragen Blümchen am Revers. Ein Händedruck, eine kleine Drehung zur Kamera, Cheese, blitz. Fertig das Bild: Hand in Hand mit dem neuen Regenten. Das wird sich hinter dem Schreibtisch gut machen. 

Machtübergabe. Tung Chee-hwa, seit Dienstag früh offiziell eingeschworener Herrscher der neuen chinesischen Sonderregion Hongkong, läßt die neue Ära schon seit Wochen nach Kräften zelebrieren – mit Banketten und Bällen, Konzerten und Straßenfesten, Formationsflügen, Schiffsparaden und Drachenmärschen, Gymnastikshows und Massenhochzeiten. Freude zeigen, heißt die Parole. 

Der Andenkenhandel blüht. Die neue Fahne ist in allen Größen zu haben, neben den üblichen Bechern und T-Shirts gibt es auch hochpreisigen Kitsch. Besonders beliebt das Motiv der Mutter, der ein Baby an den Busen fliegt: In Öl oder als Glasfigur. Auch auf der Kehrseite einer Goldmünze mit dem neuen Chef Tung, eigens geprägt zur Feier des „freudvollen Ereignisses“ – so die offizielle, schon recht volksrepublikanisch anmutende Spachregelung 

Doch Frohsinn kommt allenfalls beim Blick zurück auf. Viele ehemalige Subjekte der Queen heben gern das Glas auf den Abschied ihrer langjährigen Kolonialmacht. Der übergroßen chinesischen Mehrheit der Ex-Kronkolonie mag auch die abstrakte Gedanke behagen, wieder Teil des Großreiches China zu sein. Mit der Erkenntnis aber, nunmehr der Machtsphäre der KP Chinas anheim zu fallen, flaut jeder Jubel jäh ab. 

Besorgt fragen sich die 6,2 Millionen neuen Untertanen Bejings vor allem, was das Rückgrat ihres neuen „Chief Executive“ taugt. Im vergangenen Dezember hat ihn ein von Peking verlesenes Hongkonger Gremium gekürt (die „Wahl“ galt Dank eines kräftigen öffentlichen Händedrucks von Präsident Jiang Zemin schon lange vorher als sicher). Die Pekinger Volkszeitung jubelte sogleich, mit Tung habe „die demokratische Einbeziehung der breiten Massen der Hongkonger“ begonnen. 

Seither ist Tung bemüht, allen zu gefallen. In einem Satz betont er die Autonomie der Sonderregion, ist nächsten verstaut er Artigkeiten für die oberste Führung. Befragt, ob die Gedenkveranstaltung zum 4. Juni – dem Tag der blutigen Niederschlagung der Studenten-Demonstration auf dem Tiananmen-Platz 1989 – auch im nächsten Jahr werde stattfinden können, sagt der Chief manchmal ja, schränkt dann ein, daß dies im „Rahmen der Gesetze“ zu geschehen habe. Um schließlich vorzuschlagen, doch „die Last von 1989 hinter sich zu lassen". 

Sein wichtigster Job: Zuversicht verströmen. Der Workaholic, der den Tag früh mit Tai Chi beginnt, ist gewiß kein roter Musterknabe. Tung ist ein Kapitalist, ein Konservativer, mit Kontakten zur amerikanischen Heritage Foundation. Der Schiffsmagnat, der schon im Küchenkabinett des britischen Gouverneurs Platz hatte, ist der Repräsentant des Status Quo. Und Pekings Botschaft an die Restwelt, daß das Geschäft in Hongkong weitergeht. Business as usual. 

Tung steht für jenen selbstbewußten Pragmatismus, mit dem die Superreichen schon lange die Geschicke der Stadt lenken. Eine Oberschicht, die es gewohnt ist, sehr viel Geld zu verdienen, wenig Steuern zu zahlen und mit dem Rest nicht behelligt zu werden. So war es Brauch unter dem britischen Gouverneur. So soll es auch unter kommunistischer Regie bleiben. 

Sie haben sich längst arrangiert. Ihre Wolkenkratzer wanken nicht. Nicht einmal die der Hongs – der alten britischen Imperien wie Swire oder Jardine. Firmengründer William Jardine begann im vergangenen Jahrhundert als Opiumhändler, das Hochhaus des Konzerns mit seinen vielen kreisrunden Fensteröffnungen heißt im Volksmund „Haus der 1000 Arschlöcher". Als der Konzern in den 80ern den Firmensitz auf die Bermudas und den Aktienstammsitz nach Singapur verlegte, reagierte Peking verschnupft. Jardine entschuldigte sich. Nun, zur Feier der Machtübergabe, ist das Jardine-Haus mit riesigen Neongebilden geschmückt. Die Bauhinia-Blume, Wahrzeichen auf Hongkongs neuer roter Fahne, strahlt über 13 Etagen. Hallo China. 

Die wahren Herrscher Hongkongs, Männer wie Lee Shau-Kee, Robert Kuok oder Li Ka-Shing, scheinen vom Einmarsch der KP ohnehin unberührt. Li, 68, ist ein lokales Fabelwesen. Seine Eltern waren, wie viele Einwohner der Stadt, einst vom Festland geflohen. Der Sohn begann mit dem Handel von Plastikblümchen und brachte es zum größten Immobilenbaron. 1979 kaufte er sich beim britisch kontrollierten Konzern Hutchinson Wampoa ein – der Startschuß für den Siegeszug chinesischen Kapitals. Er verdient heute auch an Handys und Supermärkten, an Containerumschlag und E-Werken. 

Der wendige Li, auf 17 Milliarden Mark taxiert, ist ein Musterexemplar Hongkonger Flexibiltät, ein Meister des großen Gebens und Nehmens. Während der chinesisch-britischen Verhandlungen über die Zukunft der Stadt fungierte er als Berater Deng Xiaopings. Zugleich ließ er den britischen Torys 100 000 Pfund zukommen. London beförderte ihn bald zum „Commander of the British Empire“, Peking gab ihm einen Ehrendoktorhut. Ob seiner enormen Investitionen auf dem Festland wird er von den Kommunisten als „Superman“ gepriesen. Und spendiert ihnen noch einen 20stöckigen Neubau in bester  Hongkong-Lage: die künftige Dependance des chinesischen Außenministeriums, eine der neuen Machtbasen des Mutterlandes vor Ort. Das Geschenk ist gut 200 Millionen  Mark wert – eine Investition in die Zukunft. 

Der Tycoon soll Freund Tung als Hongkonger Oberhaupt lanciert haben. So kann er selbst graue Eminenz bleiben – mit einem rotem Telefon nach Peking. 

Die erstaunliche Harmonie zwischen kapitalen Kapitalisten vom Schlage Li und Chefkadern in Peking ist nicht erst gestern ausgebrochen. Seit Beginn der Wirtschaftsreformen Ende der 70er Jahre hat die Führung um Deng systematisch Drähte nach Hongkong gespannt. 

Die Geldmaschine Hongkong, das war bald Direktive in Peking, darf nicht stehenbleiben. So wurden die reichen Onkel ins Mutterland geladen und bekamen den roten Teppich. Sie waren als Investoren gefragt. Und als Garanten dafür, daß in Hongkong weiter der Dollar rollt. Man blickte sich in die Augen und glaubte, einander im Griff zu haben. 

Hongkongs Geldgewaltige, oft Chinaflüchtlinge oder deren Kinder, trauten den Kommunisten zunächst nicht. Doch mit geübtem Blick erkannten sie das geschäftliche Potential: Ein Markt von 1,2 Milliarden Kunden, ein Riesenheer spottbillliger Arbeitskräfte und Wachstumschanchen ohne Ende. Die meisten stürzten sich in das Abenteuer. Wobei sie nicht vergaßen, auch ein paar Millionen im Westen zu deponieren und sich – für alle Fälle – ein passendes Reisedokument zu besorgen. 

Doch was soll schon groß passieren?, fragen die Optimisten. Sicher, die Selbstzensur der Presse ist schon sichtbar. Und das provisorische Pseudo-Parlament erinnert eher an eine aufgeblasene Industrie- und Handelskammer. Ansonsten aber wird Peking das Boot schon nicht versenken, den Goldesel schon nicht schlachten wollen. "Es gibt kein Weg zurück“, glaubt ein Manager. „Weil jetzt auch in China alle Geschäfte machen.“ 

Und die Pessimisten? Zwischen den himmelsstürmenden Bauten der Konzerne wirkt das niedrige Parlamentsgebäude, wie ein vergessener Maulwurfshügel. Die gesetzgebende Versammlung ist aufgelöst, Pekings Provisorium tritt jetzt an ihre Stelle. Emily Lau, gewählte Oppositionspolitikerin, ist mit dem 1. Juli arbeitslos. Sie verschwendet keine Energie mehr darauf, ihren Zorn im Zaum zu halten. Was will die neue Elite um Tung? „Geld, was sonst?“, raunzt sie. Wie wird sie Hongkong formen? „So, daß sie mehr Geld machen können.“ Frau Lau verachtet all die potenten Wirtschaftskapitäne, die nun auch offiziell die Macht übernehmen. „Politisch sind sie Chinas Schöpfungen. Keiner wagt öffentlich zu widersprechen. Sie wollen Geld machen. Und wenn es schief läuft, gehen sie. Sie liefern sich nicht aus.“ Die gelernte Journalistin scheint das als eine Art Strafe für mangelnde Zivilcourage zu begreifen. Immer wieder sagt sie: „Wir bekommen die Regierung, die wir verdienen." 

In den obersten Stockwerken  der Bürotürme ringsum mag man solch störende Stimmen nicht hören. Man hat sich dort nie um Politik geschert. Und betrachtet sie nun als Geschäft. Welch wunderbare Interessenkoalition: Weder Chinas Parteiführung noch Hongkongs Geldadel sehnen sich nach einem demokratischen Frühling. An Großbritanniens Last-Minute-Demokratie haben sie kein Interesse. Das rot-goldene Bündnis von Peking und Großkapitalisten wie Chief Tung bevorzugt eher ein autoritäres Modell à la Singapur. 

 „Nach 1984 waren die Hongkonger Geschäftsleute das Hauptziel der chinesischen Einheitsfront (Volksfront? engl: United Front)“, sagt der Politiologe Joseph Cheng, „es galt, sie in Hongkong zu halten, sie zu überzeugen, ihr Vertrauen zu erlangen. Die Pekinger Führung hat sie aktiv und behutsam kultiviert.“ 

Die Kronkolonie, einst eine asiatische Billigfabrik, hat sich seiterher radikal verändert: Die Produktion ist ins Hinterland abgewandert – an die fünf Millionen Festlandchinesen schwitzen inzwischen für Hongkong. Die Stadt ist heute ein gewaltiges Dienstleistungszentrum, der Kopf, der die Geld- und Warenströme lenkt, der weiß, wo die billigsten Arbeiter und die willigsten Kunden sind. 

Bislang konnte die Volksrepublik nur mit politischen Sanktionen oder - im Extremfall - der Armee drohen. Inzwischen aber ist ihr ein ökonomischer Muskel gewachsen. Kapital fließt längst nicht mehr von Hongkong nach China, sondern auch in die umgekehrte Richtung. 

Vor 30 Jahren krächzten aus Lautsprechern am Gebäude der Bank of China in der Hongkonger Innenstadt Revolutionsaufrufe an die Bevölkerung. So lange, bis die Briten mit chinesischer Opernmusik konterten. 

Heute sitzt die Bank in einem riesigen Hochhaus und macht gewaltige Geschäfte. Zwischen 40 und 100  Milliarden Mark pro Jahr investiert soll China derzeit in Hongkong. Festlandsfirmen, hinter denen oft Pekinger Ministerien oder Provinzregierungen stehen, drängen massiv auf den Markt. Über 2000 sollen hier schon aktiv sein. Das Festland-Business kontrolliert 25 Prozent aller Bankeinlagen, 22 Prozent allen Außenhandels, 20 Prozent der Versicherungs- und 12 der Baubranche. 

China goes shopping. Selbst das britische Kapital macht Konzessionen an die neuen Machthaber. Die Swire Group verkaufte Anteile der Fluggesellschaften Cathay Pacific und DragonAir – nachdem China drohte, eine Konkurrenzlinie aufzumachen. Festlandsfirmen haben sich bei der Hongkong Telecom, bei China Light & Power und mehreren Banken eingekauft. 

Oft bekommen die Staatsfirmen sogar Sonderpreise – offenbar in der Absicht, die neuen Machthaber milde zu stimmen und leichter Zugang zum chinesischen Markt zu bekommen. „Da geht es nicht um Qualität, sondern um  Connections“, sagt ein Investmentbanker. 

Der Handel mit den „red chips“ – den Aktien von Festlandsfirmen an der Hongkonger Börse – ist explosionsartig gestiegen. Ständig werden neue Tagesrekorde gemeldet. Am 2. Juni betrug das Volumen 26 Milliarden HK$. Und die alteingesessenen Blue Chips machten nur noch 30 Prozent des Umsates aus. Der bloße Verdacht, das Festland könnte sich einkaufen, treibt die Werte jeder Hongkonger Firma hoch. Die Börsianer finden am „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ Gefallen. 

An der Börse werden so exotische Firmen wie Continental Mariner Investment gehandelt, eine Tochter der Pekinger Poly Group  - der Konzern der Volksbefreiunsarmee. Die Poly Group handelt nicht nur mit Waffen, sondern ist auch im Hotelgewerbe und der Landwirtschaft aktiv. 

Skeptischen Investoren wird ganz schwindlig ob des roten Booms. Denn Firmen wie China Resources oder Shanghai Industrial sind nicht nur enorm hoch bewertet. Durch ihre enge Verknüpfung mit dem Staats- und Parteiapparat tun sich auch neue Gefahrenquellen auf – wenn sie plötzlich zum Zankapfel interner politischer Kämpfe werden. Als unlängst der Parteisekretär und Bürgermeister von Peking in Ungnade fielen, gab es Gerüchte, daß dadurch auch Hongkonger Geschäftsleute in große Bedrängnis gekommen seien. 

Für das Hongkonger Business ist das eine ungemütliche Konstellation. „Beziehungen werden zum gefragtesten Rohstoff“, meint ein Broker am Exchange Square. Einheimische Fachleute sind inzwischen teurer als Ausländer - weil sie die Sprache sprechen und Kontakte mitbringen. 

China, meint die Zeitschrift „Asian Business“ handele nach der gleiche Maxime wie einst die Briten: Man muß Hongkong nicht besitzen, sondern kontrollieren. Durch den Ankauf von Schlüsselunternehmen schaffe sich Peking Spielraum, den politischen und wirtschaftlichen Status Hongkongs zu verändern, ohne das Abkommen mit London zu verletzen. Mit der Machtübernahme, meinen Beobachter, würde sich der chinesische Einkaufsbummel noch intensivieren. Man spricht bereits von „marktwirtschaftlicher Verstaatlichung“. „Was den britischen Hongs passiert ist“, prophezeit Politologe Cheng, „wird auch den heutigen chinesischen Imperien passieren.“ „Es gibt keine emotionale Anziehung zwischen chinesischen Kommunisten und Hongkonger Kapitalisten“, meint auch der Soziologe Lau Siu-Kai. „Die genießen nur so lange Ansehen, wie sie Peking nützlich sind.“ 

Mit dem roten Kapital zieht auch ein neuer Typ Geschäftsmann in Hongkong ein: Der Staatsfirmenlenker. Das prominenteste, wiewohl untypische Exemplar ist Larry Yung, Chef von Citic Pacific und Sohn des chinesischen Vizepräsidenten Rong Yiren. Yung, Inhaber eines britischen Passes und eines Golfplatzes, Liebhaber von Pferden und guten Zigarren, hat die höchste soziale Stufe Hongkongs erklommen: Er ist Oberhaupt des Hong Kong Jockey Clubs, jener legendären Nebenregierung, die als eigentliches Machtzentrum der Stadt gilt. 

„Larry Baby“ , findet ein Bekannter, sei „typisch Shanghai, man könnte auch sagen: typisch amerikanisch“. Gewiß ist er nicht der typische Festlandsmanager. Er soll 1995 über 40 Millionen Mark bekommen haben. 

Hongkong ist teuer. Die Mieten liegen über New Yorker Niveau, die Schweiz ist Aldi dagegen. Die Mainland-Bosse können bei der großen Hongkonger Glitzershow, wo teurste Markenprodukte in den neuesten Wagen – oder im goldenen Rolls Royce – spazierengefahren  werden, meist nicht mithalten. Sie haben ein karges Gehalt und bestenfalls ein dickes Spesenkonto. Und weil Hongkongs Geschäftsleute dies inzwischen wissen, verzichten sie darauf, sie zu einem Mah Jong Spiel mit hohen Einsätzen oder zum Skilaufen in den Alpen verleiten. 

„Sie sind überall, wir müssen sie willkommen heißen. Aber sie sind anders“, sagt ein Banker. „Die haben in China 40 Jahre auf ihren ersten Fernseher gespart“ 

Ambrose Chung, 46, ein geläuterter Kapitalist, steht in seinem mit Antiquitäten vollgestopften Büro und blickt auf das Baugewimmel für die neue Flughafenbahn zu seinen Füssen. Er ist müde, hat über Nacht einen großen Deal abgeschlossen: die Übernahme eines Hotel im Zentrum. „Das ist eine geldgetriebene Stadt.“, sagt er mit gezähmtem Ekel. „Die Regierung zuviel für die Geschäftsleute getan.“ 

Mister Chung hat die Vision einer langsamen, evolutionären Entwicklung: „Entlang der chinesichen Küste werden eine Reihe neuer Finanzzentren entstehen und Wohlstand bringen. Und der könnte eine allmähliche Demokratisierung nach sich ziehen.“ Wollen die neuen Machthaber das? „Wir wollen, daß sie das verstehen. Aber wir dürfen keine Konfrontation suchen.“ Ein typischer Satz. Viele in Hongkong reden so merkwürdig vorsichtig über China. Wie über einen leicht debilen Muskelmann. 


    Interview 

    Der Investmentberater William Overholt über die Chancen Honkongs nach der Übergabe an China

Herr Overholt, wie nervös macht Sie die Machtübergabe in Hongkong? 

William Overholt Letztes Jahr bat mich der US-Kongress um eine Stellungnahme. Die Congressmen waren sehr besorgt, daß die Kommunisten hierher kommen, das Finanzsystem zugrunde richten und den amerikanischen Banken so sehr schaden, daß es den USA schadet. Ich habe alle Chefs in den Filialen der größeren amerikanischen Banken hier angerufen und sie gefragt, welche  Änderungen in ihrer  Geschäftsplanung sie wegen Übergabe 1997 planen. Die Antwort war völlig einhellig: Keine. 

Stehen die Ängste Washingtons für ein allgemeines Unbehagen wegen des Machtwechsels in Hongkong? 

Overholt Es gibt all diese verrückten Vorstellungen von Panzern, die hier über die Grenze rollen. Wenn die Leute hierher kommen, sehen sie die Dinge hinterher meist ganz anders. Obwohl einige der lokalen Politiker nicht gerade behilflich dabei sind, mehr Realismus aufkommen zu lassen. Martin Lee etwa malt das Bild eines sterbenden Hongkong, in dem alle Garantien nichtig sind und die Menschenrechte ständig mit Füßen getreten werden. 

Martin Lee, Hongkongs führender Oppositionspolitiker, ist gewiß kein Hitzkopf. Was macht Sie so sicher, daß seine Befürchtungen nicht wahr werden? 

Overholt Sicher gibt es berechtigte Sorgen. Die Liste war vor einigen Jahren vermutlich länger, als sie heute ist. Aber diese Angst, daß all die großen Firmen und ihre Chefs flüchten und all das Kapital mitnehmen ist absoluter Nonsens. 

Lee sorgt sich weniger um die Chefs als um das Volk - zu einem erheblichen Teil Menschen, die einst aus der Volksrepublik geflohen sind? 

Overholt Natürlich sind Sorgen berechtigt. Aber es ist absurd, wenn Martin  Lee so tut, als ob er am 1. Juli umgebracht oder zumindest verhaftet wird. 

Hongkong wird gewiß nicht über Nacht umgekrempelt, aber es wird sich doch stark verändern... 

Overholt Ja. Und es gibt sichtbaren Wandel. Doch der geschieht nicht am 1.Juli 1997. Die meisten Veränderungen haben längst stattgefunden - etwa die Verlagerung des Großteils der Arbeiterschaft in die Provinz Guangdong. Dort wohnen soviele Menschen wie in Frankreich. Fünf von sechs Angestellten Hongkonger Firmen arbeiten in China. Die Bank of China ist längst hier - und zu einer der drei größten Banken aufgestiegen. Die britischen Banken - Standard Chartered oder die Hongkong und Shanghai Bank - haben keinerlei Klagen über das Verhalten der Bank of China. Die amerikanischen und japanischen Banken kamen zur gleichen Zeit. Das hat die Qualität des Banking in Hongkong verbessert, vorher gab es hier ein britisches Monopol. Alles zusammen hat Hongkong auf den Weltmärkten einen enormen Auftrieb gegeben. 

Weil alle auf den chinesichen Markt drängen und Hongkong dafür das Einfallstor ist..

Overholt Der China-Faktor ist beileibe nicht der einzige Grund dafür, daß Hongkong alle Konkurrenten der Region übertrumpft. Jede Woche verlegt wieder irgendein Konzern Teile seiner Aktivitären von Tokio nach Hongkong. Allein im letzten Jahr haben hier 287 amerikanische Firmen neue regionale Büros aufgemacht. Das gibt nirgendwo sonst auf der Welt. Doch darüber wird kaum geschrieben. 

Was außer dem Zugang zu China macht Hongkong so attraktiv? 

Overholt Hongkong sitzt an der Schnittstelle zweier Trends. Der eine: China ist die am schnellsten wachsende Wirtschaft in der Welt und Hongkong seine internationale Wirtschaftshauptstadt. Der zweite: Der am schnellsten wachsende Sektor der Welt ist der Servicesektor der kleineren asiatischen Staaten - und auch hier dominiert Hongkong. Als ich vor zwölf Jahren herkamen, war die Stadt in mancher Hinsicht eine Dritte-Welt-Gesellschaft. 1983 lag das Einkommen der Briten 70 Prozent über dem der Hongkonger. Doch dieses Verhältnis dreht sich um. 1994 war das Hongkonger Einkommen schon 24 Prozent höher als das britische, seit her ist es noch deutlich gestiegen. 1997 ist das letzte Jahr, wo die Kaufkraft des durchschnittlichen US-Amerikaners noch über der hiesigen liegt. In ein paar Jahren könnte Hongkong die reichste Stadt der Welt sein. Das ist nicht das Hongkong, das Martin Lee oder die New York Times zeigen. 

Das klingt enorm optimistisch. Doch was wird mit dieser Boomtown geschehen, wenn China wirtschaftlicher Erfolg nicht anhält? 

Overholt Das ist genau die Frage. Doch weil Hongkong eben weit mehr als nur ein wirtschaftliches Anhängsel von Chinas ist, geht seine Bedeutung viel weiter. Diese Stadt war schon zu Zeiten der Kulturrevolution, als China selbst noch völlig abgeriegelt war, ein fabelhafter Erfolg. 

Aber da war Hongkong auch eine britische Kronkolonie. 

Overholt Sicher. Ich glaube, die wichtigste Frage für die Beziehung mit China ist keine wirtschaftliche, sondern eine politische. Solange das Land so aufwärtsstrebend und selbstbewußt wie heute ist, können Chinas Führer relativ tolerant sein, wenn es Demonstrationen in Hongkong gibt oder die Presse hier schlechtes über sie sagt. Das ist auch tatsächlich der Fall - weil die Führer nicht bedroht sind. Diese Leute schreiben gerade die größte wirtschaftliche Erfolgsstory der Weltgeschichte. Es gibt keine effektive Opposition. Sie könnten sogar bedeutend generöser sein, als sie es momentan sind. Aber wenn etwas ganz schiefläuft, wenn die Wirtschaft nicht mehr so viel leistet, wenn es zu schrecklichen internen Kämpfen kommt, wird die Führung sehr unsicher werden und auf die Bremse steigen und den poltischen Druck verstärken. Die Grenzen für Rede-, Presse- und andere Freiheiten könnten dann bedeutend enger werden. 

Und das sehen sie nicht als reale Gefahr? 

Overholt Wir haben gewaltiges Glück gehabt. Nie in der chinesischen Geschichte hat es solch ökonomischen Erfolg und eine solche ruhige politische Lage gegeben wie ausgerechnet in diesem Jahr. Das hätte man 1984, als die gemeinsame Erklärung von China und Großbritannien unterschrieben wurde, unmöglich vorhersagen können. Es ist ein Schwung dahinter, der einige Jahre tragen könnte. Ich denke, in drei bis fünf Jahren wird die Lage hier stabil sein, institutionalisiert. 

Bis dahin möge es in der Volksrepublik bitte, bitte aufwärts gehen...  

Overholt Sicher wird die derzeit so günstige Lage nicht ewig andauern. Die Frage ist: Wieviel Zeit haben wir für die Konsolidierung? Es ist besonders schwer, langfristige Aussagen über China zu machen. Es sieht ziemlich gut aus. Aber wenn es eine 1999 eine Katastrophe in China gibt, wird man sich ganz andere Szenarien für Hongkong ausmalen müssen. 

Ist Hongkong jetzt nicht sehr viel stärker an den Wirtschaftszyklus Chinas gekettet? 

Overholt In China herrschte von 1993 bis zum ersten Quartal 1996 ein ziemlich strenges Austeritäsprogramm . Die großen Firmen traf das hart. Die Inflation kam von über 20 Prozent auf herunter auf drei Prozent heute. Das war ein harter Tritt auf die Bremse. Und Hongkong ging es trotzdem wunderbar. 

Aber die Verflechtung mit der chinesischen Wirtschaft wird immer stärker. Und Hongkong ist jetzt ein Teil der Volksrepublik... 

Overholt Hongkong hat einen sehr hohen Anteil an Geschäften mit China, also ist es stärker betroffen. Aber es hat eine sehr diversifizierte und geradezu unverwüstliche Wirtschaft. 

Sehen sie eine neue Rolle, neue Funktionen für die chinesische Sonderzone Hongkong in Asien?  

Overholt Hongkong wird alles das tun, was es schon jetzt tut, aber in viel größerem Umfang. 

Trotz allem Optimismus warnen Sie beharrlich vor einem Kalten Krieg mit China. Warum?  

Overholt In China, besonders aber in den USA, wird die jeweils andere  Seite immer häufiger als Feind dargestellt. In Washington gibt es eine Koalition der antikommunistischen Rechten, des linken Flügels der Menschenrechtler und der sogenannten ãchristlichen KoalitionÒ, die gemeinsam an der Dämonisierung Chinas arbeiten. Und die Chinesen sagen: Herrje, die wollen Tibet und Taiwan unabhängig machen, die verhindern, daß wir die Olympiade bekommen und wollen den Handel einschränken. 

Reicht das für einen kalten Krieg?  

Overholt Ja - in Kombination mit einer großen Zahl mächtiger Politiker. Die sehen chinesische Raketenmübungen vor Taiwan und denken: Gefährliche Militärmacht. So werden auf beiden Seiten Emotionen mobilisiert. Das ist sehr, sehr gefährlich. 

Wird Hongkong China verändern? 

Overholt China verändert sich rapide. Zuerst herrschten die die Revolutionsgeneräle. Jetzt sind die sowjetisch ausgebildeten Ingenieure dran - vier der fünf der heutigen Führer Chinas sind Elektroingenieure. Danach kommt die technokratische Generation der 40jährigen, völlig desillusioniert von der Kulturrevolution. Sie wurden aufs Land geschickt und haben die Katastrophe gesehen. Und dann kommen die Enkel der Generäle, zumeist in den USA ausgebildet. Das ist die Generation der Investmentbanker, die Chinas Finanzen umkrempeln und die Wirtschaft globalisieren werden. 

Ihre Kollegen sozusagen ?  

Overholt Oh ja. Wobei ich als Investmentbanker nicht sicher bin, wie gut sie ein Land regieren können. Aber zumindest verstehen sie die Wirtschaft besser. 
 

© Schimmeck