Ein Volk am Ball
In Kamerun ist ohne Fußball alles
nichts: das Geschäft, die Politik und die Liebe
1991
von Tom Schimmeck
Tor", kreischt Junior und fischt, bereit zum nächsten
Tritt, den murmelgroßen Ball aus dem Netz. Der Siebenjährige
hockt neben einer grasgrünen Matte mit den unverkennbaren weißen
Linien. Andächtig verteilt er seine kleinen Spieler auf dem handtuchgroßen
Fußballfeld. Bolz, bolz und: "Tor!" Da hat die gegnerische Mannschaft
in Gestalt des Nachbarjungen keine Chance.
Ab und zu wirft Junior Milla dem weißen Herrn, der nun schon seit
fünf Stunden alle denkbaren Körperhaltungen auf der Couchgarnitur
seiner Eltern durchprobiert, einen ziemlich skeptischen Blick zu. Der weiße
Herr lächelt zurück. Der weiße Herr wartet auf Vati. Der
weiße Herr, das bin ich.
Es war verblüffend einfach gewesen, den Star, der die letzte Fußballweltmeisterschaft
mit seinem Hüftschwung verzückt hatte, in Yaoundé, der
Hauptstadt von Kamerun, aufzutreiben. Abends angekommen schickte mich der
erstbeste Mensch, den ich um Auskunft bat, in den Stadtteil Cité
Verte. Zwischen den kleinen Hochhäusern im schmuddeligsten französischen
Banlieu-Stil hatte tatsächlich noch ein kleiner Laden offen. Ob jemand
wisse, wo Roger Milla wohne, fragte ich auf gut Glück. "Oui", rief
ein kleiner Knirps ganz stolz, zerrte mich durch ein paar Gassen und da
war er, der verrückteste Fußballer der Welt. Aber der Held von
Kamerun sah so müde aus, daß ich vorschlug, alles weitere auf
den nächsten Tag zu verschieben.
Am nächsten Morgen war ich zur verabredeten Zeit den Sandweg zum
Haus der Millas hinabgeschritten. Und nun sitze ich in diesem westafrikanischen
Wohnzimmer hier, starre auf den goldenen Löwen unter dem Rauchglastisch,
fingere an den künstlichen Blumen herum und lese die vielen Artikel
über Vati, ordentlich in Mappen eingeklebt, aufgebahrt in einem güldenen
Zeitungsständer. Sogar Huldigungen in Norwegisch sind dabei.
Der halbe Milla-Clan ist im Laufe des Vormittags durch den überladenen
Salon defiliert: Der gestrenge Onkel im weißen Tropenanzug, der sich
flugs mit der Cognac-Flasche verzog. Die vornehme Tante, diverse fachsimpelnde
Vettern und Madame Marie-Evelyne Milla mit fesch-zerwühltem Haar,
noch ermattet von einer nächtlichen Sonderschicht mit Tochter Sandy,
9 Monate alt, die Husten hat und deshalb jetzt mit einer bedenklichen Menge
von Medikamenten vollgestopft wird. Ein Freund des Hauses nimmt kurz Platz,
um dem Besucher in breitem Französisch die Großartigkeit seines
Landsmanns "Bäckenbauärrr" darzulegen. Und Cousine Colette erzählt
- immer noch ganz ergriffen - vom gemeinsamen Shopping auf den Pariser
Champs Elys‚es nach der Fußballweltmeisterschaft. Mit treuherzigem
Augenaufschlag versichert sie: "Roger ist ein Patriot."
Alles schön und gut, nur der Hauptdarsteller fehlt: "Le bon Roger",
der Stolz Afrikas, unbezähmbarster Kameruner Kicker-Löwe, Tänzer
auf dem Fußballfeld. Der "Goaléador" (ein Wortspiel, etwas
ungelenk übersetzbar mit "Tor-rero"), der bei der letzten Fußballweltmeisterschaft
die Rumänen, die Kolumbianer und zum endgültigen Entsetzen der
Fachwelt selbst die Argentinier vom Platz putzte - er ist nicht da. Vor
Stunden hatte er kurz mal in den Salon gelinst und ein "Komme gleich" gebrummt.
Weg war er.
Am Nachmittag tauchte er wieder auf. In der Küche klapperte Geschirr,
vom Hof ertönte Kindergeschrei. Roger enterte mit zum Gruß ausgestreckter
Hand den Salon und kam sofort zur Sache: "Fußball, das ist der Sport,
der das Land beherrscht. Und, ja, es sei mehr als nur ein Sport.
In Kamerun, in ganz Afrika ist Fußball so etwas wie eine Religion.
Hier sind die meisten Amateure, die Sonntags spielen und dabei einfach
das Kicken genießen. Amusement," sagt Roger, "damit sind die Leute
zufrieden. In Europa ist es ein Beruf, eine absolut professionelle Angelegenheit.
Arbeit."
Als Kind hat er wie alle Kinder Kameruns auf zusammengeknotete Lappen
eingetreten. Seine eigentliche Fußballerkarriere ist ein Vierteljahrhundert
alt. Milla startete 1965 bei Eclair (Blitz) de Douala, ging dann zu den
Leoparden und danach zu Tonnerre (Donner) in Yaoundé. Er war dabei,
als die Nationalmannschaft nach einer fürchterlichen Pleite neu formiert
wurde und den Namen "lions indomptables" (unbezähmbare Löwen)
erhielt. Später, als es daheim mehr Ruhm nicht zu holen gab, spielte
er als Profi bei diversen französischen Clubs: Valenciennes, Monaco,
Bastia, Montpellier, Saint-Etienne. Die Franzosen tauften ihn "d‚fi africain"
- die afrikanische Herausforderung.
Roger Milla wurde berühmt in Frankreich, aber er blieb lange der
Import aus der Dritten Welt: unterschätzt, unterbezahlt, oft nur als
Ersatz verwendet. Als er sich vor drei Jahren auf die Insel R‚union zurückzog,
geschah das auch, um die vielen kleinen Entwürdigungen, die ihm im
Reich der einstigen Kolonialherren zugefügt worden waren, vom Indischen
Ozean fortspülen zu lassen. Dem Staatspräsidenten von Kamerun
hatte Roger sein Löwen-Trikot in die Hand gedrückt und sich damit
auch vom vaterländischen Dienst am Ball verabschiedet.
Warum er trotzdem noch einmal gerufen wurde? "Ich vermute mal, man brauchte
noch jemanden", sagt der Veteran tiefstapelnd und grinst durch die Zahnlücke.
"Und natürlich bin ich Patriot." Sein Comeback geschah gegen den Willen
der Politiker, Clubpräsidenten, Trainer, gegen den Rat der Funktionäre,
Journalisten und anderer selbsternannter Experten. "Mit 38 Jahren?" fragten
sie alle spöttisch. Die Macht, die ihren Helden aus dem insularen
Vorruhestand noch einmal ins Weltmeisterschafts-Team zwang, war das Volk,
das an ein Wunder glaubte und es bekam.
Und jetzt? "Ich glaube, ich werde aufhören mit dem Fußball."
Warum? "Ich muß." Und dann? "Keine Ahnung, irgendetwas machen." Es
geht das Gerücht, der dankbare Staat wolle ihn zum Boß einer
neuen Firma machen, die sich der Reinigung der Hauptstadt Yaoundé
verschreiben soll. Er spielt immer noch vier, fünf Stunden Tennis
pro Tag, um fit zu bleiben. Aber die eigentliche Botschaft des Albert Roger
Milla lautet: "Man muß sich entspannen." Er flegelt sich quer über
seinen Ledersessel. "Es gibt einen Haufen Spannung, in der Welt, guck dir
Kuwait an", sagt er, "da hilft nur, sich zu entspannen. Es ist sehr schade,
wenn man das nicht kann."
Rogers Lebenswandel mag ein bißchen untypisch sein für einem
Kameruner; er raucht nicht, trinkt nicht, er geht am Abend vor einem Spiel
um acht ins Bett. Aber sie lieben ihn alle. Er hat gut elf Millionen Freunde,
ob im dürren Norden oder im tropischen Süden, vom Baka-Pygmäen
im Dschungel bis zu Staatspräsident Paul Biya. Kamerun ist eine wilde
Mixtur, Paradebeispiel eines von den einstigen Kolonialherren - den Deutschen,
später den Franzosen und Engländern - geschneiderten afrikanischen
Reißbrett-Staates. Es gibt unzählige Stämme, über
200 Sprachen, und Glauben querbeet; Moslems, Christen und jede Menge Naturreligionen.
Nur eines ist allen gemein: Sie lieben Fußball und Roger Milla.
"Fußball ist das einzige, was uns eint", meint Gaston Tchantchou.
Er steht auf dem kleinen Balkon vor den Redaktionsräumen der Zeitschrift
"Le Mont Cameroun", einer Zwei-Zimmer-Bude, wo Gaston gelegentlich einen
Artikel vorbeibringt. Der kleine Mann hat noch mindestens drei andere Berufe,
aber im Augenblick kann er keinen von ihnen ausüben, weil er auf sein
einziges Paar Schuhe wartet, das gerade mal schnell in Reparatur ist. Rauchend
verfolgt Gaston von seinem Logenplatz aus das Fußballspiel, das gerade
unten auf dem Platz stattfindet. Zwischendurch blickt er nachdenklich auf
seine Socken und murmelt: "Ja,ja, so ist das hier."
Das Quartier Congo, zweites Arrondissement der Hafenstadt Douala, ist
eine quirlige Gegend, der Platz an der Pharmacie de la mosquée ihr
Mittelpunkt. Der reinste Basar. Straßenhändler mit Bonbons und
Zigaretten, Erdnüssen und Getränken, Verkaufsstände, Frauen
mit Schüsseln, in denen sich Eßwaren stapeln. Überall werden
einem Uhren und andere Schmuggelware entgegenstreckt. Geschäfte bieten
Koffer, Bücher, Ventilatoren und Kleidung feil, die Kneipen sind voll.
Ein atemraubender Geruch schwebt über der Menge, der Duft von geröstetem
Mais und gebratenen Hühnern, gemischt mit dem Gestank der überall
modernden Mülls. Musik dröhnt. Trauben von Menschen drängeln
sich um einen Platz in den verbeulten gelben Sammeltaxis, die hupend um
den Platz kurven.
Inmitten dieses Getümmels stehen an die 200 Menschen, die aufgeregt
dem Match Lions Coiffeur gegen Makombe folgen. Sogar Stühle gibt es,
doch die meisten sind leer - sie kosten Eintritt, den man stehend sparen
kann. Am Spielfeldrand werben handgemalte Schilder für Pepsi und Motorroller,
eine Gerberei und die Sekretärinnenschule nebenan. Die "Lion Coiffeur"
sind nach dem Friseursalon auf dem Platz benannt. Beide Mannschaften bestehen
nur aus sechs Spielern, denn der Platz, der sich hochtrabend "Stade Mairie
de la IIème" nennt, ist nicht nur uneben und klein, sondern obendrein
auch dreieckig. Das fordert die artistischen Fähigkeiten der jungen
Kicker nur umso mehr heraus. Saltos vorwärts wie rückwärts
sind sehr beliebt. Andauernd fliegt der Ball im hohen Bogen in den Verkehr,
ein zweiter liegt als Ersatz bereit, bis sich der andere angefunden hat.
Wenn beide futsch sind, ist Pause.
Gaston schleppt mich, seine Schuhe sind repariert, zu einem der Organisatoren
des Tourniers. "Wir müssen die moralische Bedeutung unseres Welterfolges
ausschlachten, das ist bedeutsam für das kamerunesische Selbstbewußtsein",
doziert Xavier, ein junger Bursche, der sich als Vorsitzender des Kinoclubs
Anti-Gang vorstellt. Seine Kumpels sind alle um die Lautsprecheranlage
versammelt, die immer genau so lange funktioniert, wie kein Auto zu schnell
über die quer auf der Straße liegende Verlängerungsschnur
braust. Die Organisatoren schwören Stein und Bein, mindestens fünf
Spieler von Kameruns unbezähmbaren Löwen seien auf diesem Platz
entdeckt worden. Unter ihnen Kessak Maboang, einer der Stars von Italien,
der nun in Deutschland spielt. In Französisch und Englisch, der zweiten
offiziellen Landessprache, die kaum jemand spricht, bellen sie ihre Kommentare
zum Spiel ins Mikrophon. "Ja, ja, jetzt kommen die Löwen über
die Flanke und, ja, ja, Foul!!!!".
Der Schiedsrichter in kurzen Hosen und Plastiksandalen trillert sich
beinahe die Lunge aus dem Hals; das enge, dreieckige Spielfeld verlangt
permanent sein Eingreifen. Es hagelt gelbe und rote Karten, empört
reißt sich ein Spieler das Trikot vom Leib. Das "Mini-Championnat
Ciné-Foot Milla" ist eine todernste Angelegenheit. Rauh pöbeln
die Zuschauer ihre Favoriten an ("Macht hin, ihr Arschlöcher"). Der
Torwart der Löwen, ein massiger Kerl, ist beim dritten Tor in seinem
Viereck nur mit Mühe davon abzuhalten, seine eigenen Abwehrspieler,
diese Versager, unter lautem Gebrüll zusammenzuschlagen. Dann fällt
ein Tor auf der anderen Seite und der Zorn weicht schlagartig der Ekstase:
"Jaaa, da ist gut."
Die Schulferien sind drei Monate lang, eine ideale Zeit für ausschweifende
Fußball-Tourniere. In jedem Stadtteil, in jedem Dorf finden sie statt
und sind stets das am heißesten debattierte Thema. Selbst Debundscha
an der Westküste, mit zehn Metern Niederschlag pro Jahr angeblich
der zweitnassestete Ort der Erde, hat einen Fußballplatz. Es geht
um die Ehre. Bei Spielen zwischen den Stadtteilen werden selbst Fußballer
der ersten Liga einberufen, um für das Viertel zu kämpfen. "Da
kann keiner etwas gegen tun", sagte mir der demoralisierte Trainer eines
solchen Erstliga-Clubs. "Bei den Jungs klopft schon frühmorgens der
halbe Stadtteil an die Tür und macht Druck. Dann schleichen sie sich
mittags vom Training weg, um irgendwo den Ruf ihres Quartiers zu verteidigen."
Den ersten Fußball brachten nicht etwa die kaiser-deutschen Kolonialherren
ins Land. Ein Wanderarbeiter aus Sierra Leone, der 1922 im Hafen von Douala
kam, hatte den ersten Kautschuk-Ball, den Kamerun je sah, im Gepäck.
Der Mann hieß George Goethe. "Großvater war ein sehr gebildeter
Mensch. Am Tag der Geburt seines Sohnes hatte er ein Gedicht von Goethe
gelesen und seinem Sproß umgehend den Namen gegeben", erzählt
Cyrille Goethe. Der 55jährige Nachfahr hat alles gesammelt. In einer
Seitengasse im Zentrum von Douala betreibt er Georges Fotostudio weiter,
ganz nebenbei ist er noch Parlamentsabgeordneter, ein bedeutender Mann.
"Fußball", sagt Monsieur Goethe, "ist sehr wichtig für dieses
Land. Früher gab es hier nur Clan-Wirtschaft. Die Einheit Kameruns
hat mit dem Fußball begonnen."
Vater George, damals noch Angestellter einer Exportfirma, hatte den
Ball mitgebracht, um in seiner Freizeit ein wenig mit Cousin Roumain zu
kicken. Die Kinder aus der Nachbarschaft fanden das neue Spiel ganz wunderbar
und nach zwei Jahren war die erste Mannschaft entstanden, der CAC - Club
Athl‚tique du Cameroun. (Mit ihren breit gestreiften Trikots sahen die
Spieler ein wenig wie Sträflinge aus.) Ein halbes Jahrzehnt spielten
alle mit dem einen Ball, der zum Aufblasen von Mund zu Mund gereicht wurde.
Dann weihte der französische Gouverneur von Kamerun die Eisenbahnlinie
zwischen Douala und Yaoundé ein und der Fußballsport machte
einen großen gesellschaftlichen Sprung nach vorn: Zur feierlichen
Eröffnung spielte eine Équipe aus Europa gegen die Einheimischen.
Die Europäer gewannen. Die Revanche kam schon zwei Jahre später,
im Jahre 1929: Die siegesgewissen Weißen wurden 3:1 bezwungen.
Seit 30 Jahren ist das Land unabhängig. doch im lange als Musterländle
gepriesenen Staat ist längst nicht alles Sonnenschein. Vor ein paar
Jahren purzelten auf dem Weltmarkt plötzlich die Preise für alles,
was bislang Geld gebracht hatte: Erdöl, Kaffee, Kakao und Baumwolle.
Seither geht es steil bergab. Arbeiter werden massenhaft entlassen, viele
andere warten seit langem auf ihr Geld. Die Bauern bekommen nichts für
ihre Ernte, weil die Vermarktungsorganisationen plötzlich schwere
Verluste einfahren. Kameruns Banken sind beinahe pleite. Die Elendsquartiere
werden immer größer und enger, und die Gewalt in ihnen nimmt
ständig zu. Viele Jugendliche in den Slums der Großstädte
sind ohne jede Chance auf einen Job.
Der Sport ist in einem Land, wo sonst nicht sonderlich viel geschieht,
die Hauptattraktion. Die Menschen identifizieren sich mit den Aufs und
Abs ihrer Clubs, und reden oft über nichts anderes. Fußball
ist das Leben. Man wettet selbst auf Spiele in Frankreich, England und
Ergebnisse der Deutschen Bundesliga, die es, reichlich verspätet,
sogar im Fernsehen zu bewundern gibt. Vor ein paar Jahren gab es sogar
eine Gangsterbande, die sich "Nationalmannschaft der bewaffneten Räuber"
nannte und ihrerseits eine "Jugend-Nationalmannschaft der Diebe" hervorbracht.
Als die Gangster schließlich geschnappt wurden, posierten sie auf
einem Foto auf der Titelseite der nationalen Tageszeitung stolz lächelnd
mit den Polizisten vor ihrem Diebesgut. Am nächsten Tag wurden sie
zum Tode durch Erschießen verurteilt.
Doch Fußball löst nicht alle Probleme. "Wenn du sie nicht
zuhause findest, brauchst du nicht auf den Fußballplatz zu gehen.
Sie sind nicht da. Sie haben überhaupt keine Lust, wie Milla, Nkono
oder Abega zu werden", klagt der Kolumnist der Zeitschrift "Le Combattant"
in seiner Spalte "Stunde der Wahrheit" über die Jugend, deren Trunksucht
durch "Müßiggang und Arbeitslosigkeit" gefördert wird.
Ihr Sport ist ein anderer. Sie sitzen in den kleinen Kneipen der Quartiers
und bilden regelrechte "Saufmannschaften", trinken bis zu 10 Liter Bier
pro Tag und Nase, dazu "Kingkong", eine Art Kameruner Whisky.
Kameruns Grundstimmung ist eher grimmig, geprägt von ängstlichem
Mißtrauen. Viele haben immer weniger und werden gleichzeitig der
sagenhaften Korruption gewahr, die vielen Staatsdienern den schönen
Zweit- und Drittverdienst verschafft. Wie in vielen afrikanischen Staaten
versucht man sich spät in ein bißchen Perestroika. Die ersten
Oppositionsparteien entstehen, private Zeitungen machen erstmals vorsichtig
den Mund auf. Die Atmosphäre wird dadurch nicht besser. Mehr und mehr
Skandale werden publik: Obskure Importgeschäfte mit ministeriellem
Segen, leergeräuberte Rentenkassen, eine nur auf der Basis von Bestechung
operierende Polizei. Polizisten heißen in Kamerun nur "Mange-mille",
Tausender-Fresser. Einen Tausender, etwa sechs Mark, stecken die Beamten
bei jeder Gelegenheit ein. Die Hälfte geht an den Vorgesetzten.
Der Triumph von Italien hat kurze Zeit Luft geschaffen. Als die afrikanischen
Underdogs, belächelt von der sogenannten Fachwelt, gleich beim ersten
Spiel Argentinien und den in aller Welt vergötterten Diego Maradona
vom Thron holten, flippte die ganze Nation aus. Die Weltmeisterschaft war
Party landesweit. Der Sieg über Rumänien, danach über Kolumbien,
das legendäre, wenn auch letztlich verlorene Spiel gegen England im
Viertelfinale. Eine ganze Nation delirierte tagelang. Noch nie ist ein
Volk so vom sportiven Stolz übermannt worden. Alles tanzte auf den
Straßen, die Zeitungen druckten verzückte Jubelgedichte übersprudelnder
Fans. Traditionelle Künstler schnitzten plötzlich Figuren mit
Milla-Köpfen. Ein "Platz der unbezähmbaren Löwen", eine
"Milla-Allee" und jede Menge Denkmäler mußten dringend her.
Als die "Helden" heimkehrten, wurden sie mit 14 Militärjeeps in
einem Triumphzug durch das Gedränge Hunderttausender in der Hauptstadt
chauffiert. Der Staatspräsident, dessen Couchgarnitur jeden Abend
in den Fernsehnachrichten zu bewundern ist, schmückte alle mit den
schönsten Orden. "Sie haben den Stil des afrikanischen Fußballs
durchgesetzt - freizügig und verführerisch. Ihren Stil", schwärmte
er. Und war so froh über die Ablenkung. Seine Ordnungshüter hatten
ein paar Wochen vorher sechs junge Anhänger der neuen Sozialdemokratischen
Front erschossen. Amnesty International klopfte schon laut an die Tür.
Selbst als das Volk vernahm, was die Helden für ihre Großtat
einstecken, gab es kein Murren. Jeder Löwe bekam, inclusive Sonderprämien,
privater Zuschüsse und einer Zugabe vom Staatspräsidenten rund
30 Millionen westafrikanische Franc (etwa 180 000 Mark), plus Peugeot und
Farbfernseher. Für Kamerun ein gigantischer Betrag. Ein Schafhirt
im äußersten Norden bräuchte laut Statistik ziemlich genau
1500 Jahre, um diese Summe zusammenzubekommen. Aber alle sagten: "Sie verdienen
es."
Doch kaum war der erste große Jubel verklungen, erklang wieder
die große Kameruner Kakophonie. Der ewige Stammeshader brach wieder
los. Bassa gegen Baya, Douala gegen Bamilik‚. Vor allem aber die anglophone
Minderheit aus dem Gebiet westlich des Mungo-Flusses gegen die frankophone
Übermacht, von der sich die Westler notorisch betrogen und verraten
fühlen. Und auch das schlägt sich im Fußball nieder. Vor
zehn Jahren schon, erzählen die Leute aus dem Westen, seien ihre Mannschaften
durch fiese Tricks herausgedrängt, ja sogar buchstäblich vergiftet
worden. Nun sind die drei letzten "englischen" Clubs in der ersten Liga,
PWD Kumba, Cammark Bamenda und Electsport Limbe, vom Abstieg bedroht. "Wenn
wir aus der Liga fliegen", verrät mir todernst eine englischsprachige
Dame, "beginnt der Bürgerkrieg."
Kein Witz. "Die Revolution in Kamerun ist durch die Weltmeisterschaft
nur um zwei Jahre verzögert worden", verkünden ausländische
Beobachter unisono. Viele frönen der Theorie, daß der Fußball
in Kamerun die im Verlauf der Kolonisation nur mühsam gebändigten
Stammeskämpfe ersetzt hat. In der zweiten Liga, wo es nur noch Dorf
gegen Dorf geht, fühlen sich auch Einheimische zuweilen an ein "Zusammentreffen
verfeindeter Staaten kurz vor Kriegsausbruch" erinnert. Die Fans sind in
der Provinz oft der Lynchjustiz nahe. Daß jeder Beamte bis hinunter
zum letzten Gefängniswärter wie selbstverständlich Anspruch
auf einen kostenlosen Ehrenplatz erhebt, macht sie auch nicht fröhlicher.
Am meisten Spaß scheint Fußball den Frauen zu bringen. Eine
Überraschung zunächst, daß in einem westafrikanischen Land,
wo der Machismo noch in voller Blüte steht, Frauen überhaupt
Fußball spielen. Sie tun es, mit Leidenschaft. Seit einem Jahr gibt
es sogar eine nationale Frauenliga. Der kleine Unterschied ist hörbar.
Die Männer ächzen und stöhnen verbissener beim Spiel, die
Frauen lachen beim Treten - laut und begeistert. "Für mich ist es
eine Passion", sagt die kräftige Julienne, knapp 18 Jahre alte Stürmerin
des FC Stella in Yaoundé, "ich spiele seit sechs Jahren Fußball
und ich liebe es." Pitschnaß steht sie da, durchgeschwitzt vom Spiel,
zusätzlich aufgeweicht von einem Wolkenbruch, der das Spielfeld gerade
endgültig ruiniert. Die Spielerinnen haben sich unter ein Dach geflüchtet,
einige duschen unter einem Wasserschwall, der aus einer gebrochenen Regenrinne
fließt. Ob die Jungs nicht blödeln? "Jaja, das ist total normal,
wir blödeln ja auch über sie", sagt sie selbstbewußt. "Man
bleibt trotzdem eine Frau, da ändert ein Ball nichts dran."
Wir stehen unter der Betonkonstruktion des Stade Omnisport, dem großen
Stadion von Yaoundé. Der Schimmelpilz hat auch hier das Zepter übernommen.
Auf der großen Anzeigetafel ist nichts mehr zu lesen und die Uhr
zeigt schon sehr lange 21 Minuten vor fünf. Ein paar Arbeiter ruhen
sich unter einem Transparent aus, dessen hölzerner Slogan diesen ganz
speziellen Charme des Ein-Parteien-Staates versprüht: "Sportler Kameruns,
nur ein Wort: Weiter so!"
Ein Stockwerk tiefer fällt der Besucher allenthalben über
verbeulte Aktenschränke und verrostete Gestelle unklarer Herkunft
- in den Tropen nagt der Zahn der Zeit besonders flink. Hier eine alte
Waage, dort eine zerfallende Telefonanlage, und dazwischen die Büros
der Fecafoot, des nationalen Fußballverbands.
Im Vorzimmer von Verbandspräsident Epoun‚ Albert Etotok‚ turnen
zwei Herren auf dem Schreibtisch der Sekretärin und mühen sich
mit einem Stock, die Neonröhre zu neuem Leben zu erwecken. Die rundliche
Empfangsdame im rosa Rüschenkleid kichert über die erfolglosen
Krampf und reicht dem Gast ein "Audienzersuchen", das er auszufüllen
hat. In der Ecke lernt jemand das Telefonbuch von Kamerun auswendig.
Das Büro des Fußballpräsidenten, ein Hauch von getäfeltem
Glanz in den muffigen Katakomben. Das obligatorische Bild des Staatspräsidenten
hinterm Schreibtisch ist gülden gerahmt. "Fußball verlangt Intelligenz
der Füsse", spricht Herr Etotok‚, läßt den Blick über
Papierberge, Wimpel und Pokale schweifen und schaut an seinem taubenblauen
Anzug hinunter. "Wir sind gut mit den Füssen." Im Grunde hat er nicht
viel zu melden im verstaatlichten Fußballwesen. Im entscheidenen
Augenblick hat das Ministerium für Jugend und Sport das Wort, oder
sogar der Staatspräsident. Dann ist ein Fußballpräsident
von Kamerun nur noch ausführendes Organ.
Es ist ohnehin drängenderes zu tun als schöne Sätze zu
drechseln. Schon in Italien hatten die Spieler aus Kamerun ihren Funktionären
Dampf gemacht und klare Abmachungen verlangt. Und nun kommen die häßlichen
Details ans Licht. Millionen sollen unterschlagen, weiteres Geld verpraßt
worden sein. Von Einschüchterung, Erpressung, Inkompetenz ist die
Rede. Die agressive Fußballpresse tut, was in der Politik noch nicht
erlaubt ist. Sie fragt, klagt an, nennt Funktionäre korrupt und Politiker
dumm, und spielt so eine Vorreiterrolle bei der zaghaften Demokratisierung.
Der Sportminister ("Despot", sagt die Presse) und Präsident Etotok‚
("Tyrann", sagt die Presse) haben akuten Bedarf nach Sündenböcken.
Nach dem italienischen Erfolgsrausch ist der Alltag wieder da: Geldmangel,
Kompetenzgerangel, Schiebung, Krach. Alten Hasen wie Milla und Emmanuel
Kund‚ haben mit der WM ihren endgültigen Abschied gegeben. Das Gros
der wirklich guten Profis kickt in Europa, irgendwo zwischen Barcelona
und Dortmund. Solche Importe aus Afrika haben schon Tradition. Der legendäre
Eusebio aus Mocambique verhalf den Portugiesen bereits in den 60er Jahren
zu Siegen, Frankreich holt sie sich von überall her, aus Marocco und
Mali, aus Guinea, Senegal, dem Tschad und von der Elfenbeinküste.
Ein halbes Hundert Afrikaner spielen derzeit in französischen Clubs,
mindestens acht davon sind aus Kamerun. Die Ausscheidungsspiele für
den Afrika-Cup, der 1992 im Senegal stattfindet, sind in vollem Gange.
Und Kamerun, ohne Profis, verliert in einer Tour, kann selbst gegen Mali
und Sierra Leone nichts ausrichten, Schon spottet man über Kameruns
"leicht bezähmbare Löwen".
Aber Katastrophen sind Routine hier. Alle regen sich gewaltig auf und
nichts geschieht. Oder doch: General Pierre Semengu‚ zum Beispiel, Oberkommandierender
von Kameruns Streitkräften, hat als "provisorischer Präsident"
die Macht bei Tonnere Yaoundé übernommen. Der Glanz von Roger
Millas altem Club ist ein bißchen verschrammt, da kommt ein General
mit einem Schlachtplan gerade recht. In der Stunde der Not befahl er als
erste Amtshandlung schriftlich "absolute moralische Integrität" und
"glühende Liebe zum Verein".
Es gibt viele Wege aus der Krise. In der Cité Verte, Rogers Viertel,
wo schon seit Wochen eines jener Stadtteiltourniere tobt, lerne ich am
nächsten Tag die simpelste Methode kennen, eine Niederlage abzuwenden.
Auf dem roten Matschplatz kämpft Choc de Meyong aus der Nachbargemeinde
gegen Pharaon, den lokalen Favoriten. Choc ist 0:1 im Rückstand und
anscheinend nicht in Bestform. Da schnappt sich einer der Spieler den Ball
und türmt. "Der Ball ist entführt worden, wir haben keinen mehr",
verkündet der Ansager. Nach kurzer Beratung mit dem Schiedsrichter
muß das Spiel abgebrochen werden.
Die Gelegenheit ins günstig, ein Geheimnis zu erforschen: Fußball
und Magie. Eine vorsichtige Frage startet ein langes Gespräch. Emmanuel
erzählt, er sei einmal zu einem Zauberer gegangen, als sein Team in
Gefahr war, aus einem Tournier auszuscheiden. "Der Magier gab mir einen
Metallring und sagte, alle würden mich respektieren. Und so war es.
Wir haben 1:0 gewonnen. Ich mußte ihm dafür ein Huhn bringen."
"Wenn ich keinen Schutz habe, kann ich mir während des Spiels die
Knochen brechen und die Sehnen zerren, ich kann Blähungen kriegen",
sagt ein anderer Junge. Fast alle finden das selbstverständlich. "Bevor
ich spielen gehe, besorge ich mir einen Beschützer, keiner darf wissen,
wer das ist."
"Hört auf zu quatschen!", ruft ein junger Spieler, der ganz außer
Atem, vom Spielfeld herausgerannt kommt. "Wenn wir etwas verraten, verlieren
wir unsere Kraft." Pierre, wie er sich später vorstellt, ist wahrhaftig
entsetzt, daß seine Freunde mit einem fremden Weißen angeregt
über Magie beim Fußballspiel plaudern. Eine halbe Stunde später
bietet er selbst an, mich in alle Geheimnisse einzuweihen, falls ich schwören
würde, es in Europa nicht weiterzusagen. Ich halte es für fairer,
ihm nichts zu versprechen.
Daß Zauberer beim Fußballglück nachhelfen, ist in vielen
Ländern Afrikas gang und gäbe. In Mali rasiert man sich den Schädel
und hantiert mit Fetischen; in Gabun müssen Spieler in der Nacht vor
dem Match, zur Freude der Moskitos, nackt im Busch schlafen, Eier auf dem
Spielfeld zerbrechen und Zitronen in die gegnerische Hälfte werfen.
Hafia, der berühmteste Club Guineas, pflegte in seinen besten Tagen
vor bedeutenden Spielen alle seine Bälle und Netze in ein abgelegenes
Dorf zu bringen, wo sie zwei Wochen lang in verzaubertem Wasser eingeweicht
wurden. Und auch in Ghana wird tüchtig "JuJu" betrieben. Spieler pinkeln
dort auf den Ball und stecken sich Blümchen hinters Ohr. Unvergessen
ist jenes internationale Match im Dezember 1977, zu dem alle Ghana-Fans
im Stadion von Accra mit einer Maniokstaude antreten mußten.
Der Magier, der "Guèrisseur", sagt man in Kamerun, sei vor allem
zum Schutz vor Hexereien der Gegenmannschaft da. Wenn der Torhüter
etwa berichtet, es seien etliche Bälle auf ihn zugeflogen und leider
habe er nach dem falschen gegriffen, ist ein Eingreifen dringend angezeigt.
Meist muß der Clubpräsident persönlich die Verhandlungen
ums Honorar führen. Guèrisseure haben die unterschiedlichsten
Methoden. Sie befragen Spiegel und mit Muscheln gefüllte Hörner,
oder träumen den Spielablauf. Spieler müssen speziell präparierte
Bälle berühren, Puder, Öle und allerlei Kräuter auftragen
und Amulette umlegen. Manche machen Zeremonien am Abend vor dem Anpfiff,
oder verordnen mysteriöse nächtliche Aufenthalte der Spieler
auf Friedhöfen.
Überall in Kamerun weiß man auch die Erklärung zu präsentieren,
warum Kamerun in Italien gegen alle Prophezeiungen der großen Zauberer
des Landes beim Viertelfinale gegen England verloren hat: Mitten im Spiel,
das haben auf dem Fernsehschirm alle ganz genau gesehen, sei der Ball ausgetauscht
worden, weil ein ins Publikum gepfeffertes Leder nicht zurückkam.
Dadurch war alle Magie dahin.
Doch die Ausrede sticht nicht. Nur für einen Augenblick war ein
anderer Ball im Spiel gewesen, kontert Jules Nyonga in seinem lichtlosen
kleinen Büro im Stadionkeller, gleich gegenüber von Präsident
Etotoke. Der Zeuge ist über jeden Zweifel erhaben. Er war einer der
vier Trainer der Kamerun-Mannschaft für Italien und saß auf
dem Feld dabei. Als der eigentliche Ball im Publikum verschwand, ließ
der Schiedsrichter kurz mit dem Aufwärmball der Kameruner weiterspielen.
Was weltweit Millionen als Austausch des Balles sahen, war der Rücktausch
wenige Minuten später, nachdem der richtige Ball wieder aufgetaucht,
das Mißverständnis aufgeklärt war.
"Die Zauberer sind sehr intelligente Leute und gute Psychologen", lacht
Jules Nyonga, Trainer der Jugend-Nationalmannschaft und des Erstligisten
Prévoyance. Immer würden sie irgendwelche Fallen aufstellen,
um eine Ausflucht zu haben. Sie befehlen den Spielern zum Beispiel, daß
Stadion rückwärts zu betreten. Dreht sich ein Spieler kurz um,
ist er an allem folgenden Übel schuld. "Für mich", sagt der Ungläubige,
"ist Training das einzig wichtige."
Grinsend erinnert sich Trainer Jules, wie der Spieler Jules vor 20 Jahren
mit seiner Mannschaft nach Douala kam. Damals gab es zwei große Rivalen
in der Stadt und wer von außerhalb kam, erhielt automatisch Hilfe
vom Magier der einen gegen die andere Mannschaft. "Man packte uns in einen
Saal mit Matratzen. Um Mitternacht kam der Zauberer, zündete überall
Holzscheite an und begann, irgendwelche Essenzen zu verbrennen. Es qualmte
und stank und wir husteten etwa eine Stunde, dann verschwand er. Um drei
Uhr morgens flog die Tür auf und die ganze Zeremonie ging nochmal
von vorne los. Morgens waren wir todmüde und völlig kaputt. Beim
Spiel konnten wir kaum die Füsse heben und haben haushoch verloren."
Noch eine Treppe tiefer, im muffigen Stadionkeller, ziehen sich kurz
darauf Jules Erstliga-Spieler um und kicken sich warm. In allen Ecken werden
Muskeln gelockert, wird gehüpft und sich gestreckt. Allmählich
gewinnt der Geruch von Salben und Cremes die Oberhand. Der winzige Schiedsrichter,
im Hauptberuf Professor der Ökonomie, pfeift und prüft Schuhe
und Wadenschutz. Dann traben alle durch einen Tunnel aufs Feld, wo ihnen
zwei abgekämpfte Mannschaften entgegenkommen, die ihr Match gerade
hinter sich haben. Kameruns erste Liga ist ein bißchen in Zeitdruck,
deshalb wird auch Mittwochs gespielt, und immer zweimal hintereinander.
Es ist schon nach acht Uhr abends, als Jules' Prévoyance, die
gut plazierte Mannschaft der staatlichen Sozialversicherungs-gesellschaft,
auf ihren Gegner trifft. Die Luft ist schwül; große, bunte Falter
taumeln im Flutlicht auf und ab. Plötzlich geht mit Donner und Blitz
ein tropischer Gewitterregen nieder. Binnen weniger Minuten verwandelt
sich der Rasen in einen See, Fontänen spritzen bei jedem Schritt,
doch der Schiedsrichter läßt gnadenlos weiterspielen. Zuschauer
machen unter der Tribüne ein Feuerchen, um sich zu wärmen. Unaufhörlich
pladdert der Regen. Es ist eine Wasserschlacht, in der mehr Spieler liegen
als stehen. Und Prévoyance verliert.
Den technischen Direktor, der auf der Reservebank neben mir unter seinem
Schirm kauert, frage ich, warum Prévoyance keinen Zauberer hat.
"Wir sind eine Staatsfirma", antwortet er charmant, "Zauberer geben keine
Quittungen."
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Schimmeck |