Der Enthüller

Flick, Lambsdorff, Späth und jetzt auch noch Steffi Graf: Hans Leyendecker, „Spiegel“-Journalist, sägt an den Säulen der Republik

1996 
von Tom Schimmeck 

Manchmal, sagt Hans Leyendecker (47), spüre er, daß Leute von ihm enttäuscht seien. Informanten etwa, die dem „Spiegel“-Spürhund sozusagen dienstlich begegnen. Die fänden wohl, meint der Journalist, einer wie er müsse „ein paar Zentimeter größer sein und ein bißchen mehr aussehen wie im Fernsehen“. Er grinst. Da steht er drüber.

Es ist vermutlich sogar Teil seines Erfolgs, daß er nicht wie 007 daherkommt, sondern eher wie 08/15. Der nette Herr von nebenan, unspektakulär, „wie ein Buchhalter“, sagt er selbst: „Mögen spielt in dem Geschäft eine große Rolle.“

Ciao Mythos. Auch beim „Spiegel“ müssen die Pförtner nicht täglich Tonnen spontan abgelieferter Geheimakten stemmen. Bei seinem Montagsmagazin, weiß Leyendecker, wird auch nur mit Wasser gekocht – „aber mit mehr Wasser“. Will sagen – gute „Spiegel“-Geschichten sind zumeist zwei Tatsachen geschuldet: daß die Dokumentation des Hauses ein enormes Wissen bereithält. Und daß die 255 „Spiegel“-Redakteure, vor allem die in den Außenbüros, mit vielen Menschen öfter mal ein Bier trinken gehen. Kontakte zählen. Leyendeckers Kontakte sind zahlreich und gut.

Am Anfang, 1982, war Flick. Seine Lehrzeit. Seine erste und immer noch beste Affäre. Das Maß aller Enthüllungen sozusagen: „Alles, was nach Flick war, war nach Flick.“ Die brisantesten Papiere verbarg er nachts unterm Kopfkissen. „Ich dachte, das klaut mir jemand.“ Es war der Stoff für den ersten Enthüllungstitel: „Wohin flossen die Flick–Millionen?“.

Bis heute kennt ihn kaum jemand. Kein Halbweltler ergreift die Flucht, kaum ein Politiker leidet an plötzlicher Unterarmnässe, wenn Leyendecker seine Visitenkarte zückt. Und doch hat er wohl schon mehr Furchen gezogen als, Verzeihung, alle deutschen Fernsehnasen zusammengenommen. Wer das große Aktenkarussell zum Drehen bringt, das sein kleines Büro im „Spiegel“-Haus am Hamburger Dovenfleet dominiert, liest auf den Rücken: Waffen II, innere Sicherheit, Polen, Solingen, Mauss, Flick, Krause, Minen, Mafia, Parteispenden, Pakistan, USA, MBB, BGS, BND, KGB, KPÖ, BKA ...

Als die Ex-Minister Stoltenberg und Lambsdorff einst über die „linke Kampfpresse“ und „journalistische Todesschwadronen“ lamentierten, war gerade auch er gemeint. Nie aber hat er soviel böses Blut bewegt wie im Fall Graf. Erstmals riefen Leute an und drohten: „Dich bringen wir um“; ein Anwalt erklärte ihn für pervers.

Wie erklärt er sich das? „Ganz viele Leute haben sich mit Steffi Graf gefreut. Sie sagen: ,Laßt sie in Ruhe. Sie hat uns viel Spaß gemacht, sie ist gut für Deutschland.“ “ Einer der Ermittler schärfte den Beamten vor der ersten Hausdurchsuchung bei den Grafs ein: „Meine Herren, es geht um das Wohl Deutschlands.“

Der Fall Graf paßt nicht ganz in Leyendeckers Serie von Polit-Affären. Gerade deshalb fasziniert ihn diese Gechichte ganz besonders: „Politiker sind langweilig, Wirtschaftsführer sind auch nicht viel besser. Aber Steffi ist noch geheimnisvoll. Sie interessiert die Leute ungleich mehr.“ Die Graf-Affäre bescherte dem „Spiegel“ schon im letzten Jahr den bestverkauften Titel. Die Arbeit hat ihm Spaß gemacht, auch aus sportlichen Gründen: „Gut ist, wenn alle bei Null beginnen, und wir sind am Ende allein vorn. Das ist der größte Spaß. Steffi war wunderbar.“

Natürlich ist er auch eitel. Aber neben dem Streben nach Macht, Ruhm und Geld finden sich bei diesem Wühler auch noch ein paar fast schon altmodische Triebkräfte: echte Neugier, Spaß am Handwerk und der Wunsch nach ein bißchen Gerechtigkeit. Es den Heinis, die gleicher als gleich sein wollen, zu zeigen, sie für ein paar Sekunden in ein unappetitlich grelles Licht zu zerren. „Nachher“, sagt Leyendecker nüchtern, „geht’s eh wieder im alten Trott weiter.“

Dafür liebt er seinen „Spiegel“: „Das Blatt steht dafür, daß es das gegenüber jedermann machen kann. Und ich hab’ nie applaudieren wollen.“ Natürlich habe auch das Blatt mit dem roten Rand an Aura eingebüßt. Die Burschenschaft ist lange nicht mehr so homogen wie einst. Aber für ihn immer noch „das Beste, was es für meinen Beritt gibt – viele gute Leute, ein Orchester“.

Bei den Graf-Recherchen hat er es wieder einmal so richtig genossen: ein halbes Dutzend „Spiegel“-Leute, gut aufgeteilt, in harter Konkurrenz zu „Stern“, „Bunte“, TV-Sendern und Tageszeitungen. „Wunderbar“, jauchzt Leyendecker, „wir waren jede Woche in einem anderen Lager zu Hause.“

Er hat immer im Team gespielt – schon bei Flick und der Parteispendenaffäre, wo er mit Hans Werner Kilz, inzwischen Chef der „Süddeutschen Zeitung“, und Joachim Preuß, heute „Spiegel“-Vizechef, den Lorbeer teilte. Oft mit Richard Rickelmann und Georg Bönisch – auch zwei stille Hobler aus dem Düsseldorfer „Spiegel“-Büro.

Vielleicht hätte er einen guten Bullen oder Staatsanwalt abgegeben? Er meint: Nein. Obwohl ein Durchsuchungsbefehl sicherlich etwas Feines sei. Am liebsten hat er es mit Waffenhändlern zu tun: „Das hat mir von der Seele her am meisten gebracht. Nie ein Zweifel, ob man auf der richtigen Seite der Barriere steht.“ Über die deutschen Irak-Connections hat er über 30 Artikel produziert.

Solide will er sein, eine Art Enthüllungsklempner. Seine Recherche, findet er, sei besser als die Schreibkunst. Doch anders als viele „Edelfedern“ leidet er nicht beim Schreiben. Er habe sich damit abgefunden, kein Literat zu sein: „Ich hab’ früher Angst gehabt vorm Schreiben, ich schreib’ heute richtig gern. Wie’s in den Strafraum kommt, so fliegt es raus.“

Aber was ist Leyendeckers Trick? Vielleicht das Gespür für den richtigen Augenblick, eine besondere Sensibilität für den Informanten. Im besten Fall redliche Leute, die zum Beispiel in ihrer Behörde selber nicht weiterkommen. Die sagen: Das ist eine Riesensauerei, das muß raus!

Leider haben Zuträger nur selten altruistische Motive. Sie wollen wichtig sein für den Augenblick, den Vorgesetzten ärgern, den Konkurrenten anschwärzen, vom eigenen Versagen ablenken. Manchmal wollen sie auch nur Geld machen, einen Journalisten leimen oder einfach herumspinnen.

„Ein Journalist, der den Stoff besorgt, der die Dokumente und Informationen beibringt, arbeitet mit erhöhtem Risiko“, sagt Leyendecker, „er läuft ständig Gefahr, in irgendeinem Punkt widerlegt und bloßgestellt zu werden. ,Scoop“ und ,Flop“ liegen dicht beieinander.“

Auch Hans Leyendecker hat sich schon einmal eine blutige Nase geholt: im Fall Bad Kleinen. Er hatte einen Zeugen präsentiert, der aussagte, daß die Polizei dort das RAF-Mitglied Wolfgang Grams quasi hingerichtet habe. Ein Knüller, ein Titel.

Doch vor der Staatsanwaltschaft mochte der Zeuge seine Aussage nicht wiederholen. „Bei Bad Kleinen hatte ich das Gefühl, daß ich der Zeitung schade.“ Nur einen Vorteil habe diese Pleite gehabt: „Dir wird ganz klar, daß du nicht über Wasser gehen kannst.“ Dabei blickt er über die Elbe.

Hatte er das schon vergessen? „Nein, nein, nein!“ Er ist weit davon entfernt, die Macht der Medien zu überschätzen. Den Spruch von der „vierten Gewalt“ namens Presse hält er „eh für Quatsch“. Affären wie Flick waren – streng staatsanwaltschaftlich betrachtet – ein Fiasko: Die Tipgeberin erlitt zwei Herzinfarkte und wurde arbeitslos. Der mutige Steuerfahnder steckte seinen Job auf. Die, über die geschrieben wurde, riefen ‘Haltet den Dieb!“ und reüssierten. „Man ist in diesem Beruf immer in Gefahr, zynisch zu werden.“

„Für den Unfug, den wir treiben“, meint die Spürnase selbstkritisch, „ist das Wort ‘investigativ“ viel zu groß.“ Verglichen etwa mit den USA, wo Reporter wirklich ins Thema einsteigen. Gerade hat er ein Buch von Bob Woodward gelesen. Es fußt auf 400 Interviews, 40 davon mit der wichtigsten Quelle, geführt über einen Zeitraum von 27 Monaten. „Dagegen ist das, was wir machen, bescheiden“, sagt Leyendecker. In den USA, ja selbst in Schweden und Dänemark, schwärmt er, führe man eine „professionelle Diskussion über Handwerk“. In Deutschland hingegen werde das alles intuitiv betrieben, bleibe irgendwie rätselhaft. Recherche ist hier kein großes Thema, der recherchierende Journalist eher anrüchig – „der wühlt halt im Sumpf“. Geehrt werden die warm und trocken sitzenden Feuilletonisten und Leitartikler, die Dichter und Denker. Die Wühlmäuse, die Leyendecker kennengelernt hat, sind „eher langweilig und bürgerlich und wissen, daß man auf einer Beerdigung eine schwarze Krawatte trägt“. Handwerker eben.

Er behauptet, er mache keine Kerben in seinen Kuli. Zuweilen schmerzten ihn gar die Folgen: Mit einem ganz gewöhnlichen Artikel zwang er etwa den NRW-Gesundheitsminister Hermann Heinemann (SPD), den er seit 16 Jahre kannte, zum Rücktritt. Als „sportiv“ hingegen empfand Leyendecker den flotten Abgang von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Lothar Späth. Wirklich befriedigend war wohl der Abtritt von Wirtschaftsminister Lambsdorff. Der gibt ihm bis heute nicht die Hand. Das kann man ertragen.

Wie verformt sich einer, der 15 Jahre lang nur Schattenseiten ausleuchtet, stets korrupten Ministern, übermächtigen Industriellen, Steuerhinterziehern, Waffenschiebern und Sterbehelfern auf der Spur? Leyendecker wirkt seltsam unbeschadet. Damals bei Flick eröffneten ihm Staatsanwälte und ein Verteidiger, sie würden nicht mehr zur Wahl gehen. Seine persönliche Staatsverdrossenheit aber ist minimal. Das sei auch „handwerklich notwendig“, sagt er. „Wenn du das näher an dich rankommen läßt, wirst du zum Eiferer. Und wenn du zum Eiferer wirst, hast du verloren.“

Der Enthüller ist immer wählen gegangen. „Schad’ ja nix“, meint er. Und sonntags singt er in der Kirche.
 

© Schimmeck