Im Land der verblaßten
Parolen
Irgendwann mag es hier um irgendetwas
gegangen sein - heute ist Mocambique nur noch ein Schlachthaus
1990
von Tom Schimmeck
Der barfüßige Greis mit Shorts und Maschinengewehr
wartet am Rand der Sandpiste. Als unsere kleine Maschine aufsetzt, hebt
er die Hand zum Gruße. Willkommen in Namarroi, umzingelter Feste
im Feindesland. Nur noch aus der Luft ist dieser Ort tief im Landesinnern
zu erreichen, die Berge und Savannen kontrolliert die Renamo.
Fünf Kilometer Fußweg liegen zwischen Piste und Ortschaft.
Auf halbem Wege kommen uns die Lokalgrößen von Namarroi entgegen.
Der Militärkommandant ist ein alerter Bursche im knallroten Trainingsanzug,
auf dem Kopf eine Baseballmütze mit der Inschrift "A luta continua,
venceremos". Sein Begleiter im Ringelhemd stellt sich als Direktor des
Krankenhauses vor, der Mann im "Tears for Fears"-Shirt als Polizeichef.
Nur der lokale Frelimo-Sekretär begrüßt uns als Vertreter
der Staatspartei in ordentlicher Spendenkleidung. Wenn er redet,
sticht er mit seinem Stöckchen in die Luft.
Das letzte Flugzeug mit Nahrung ist vor einem halben Jahr gelandet,
der letzte Lkw-Konvoi hat sich vor zwei Monaten durchgekämpft. Seitdem
ist selbst die Hoffnung auf Hilfe erloschen. Regengüsse haben die
Straßen unpassierbar gemacht, und die Renamo-Angriffe häufen
sich. Keiner der vier sagt "Renamo", wenn er von den Guerilleros spricht.
Wie die meisten Mocambiquaner nennt er sie "bandidos armados", bewaffnete
Banditen.
Ein Jahr lang hat die Renamo in Namarroi geherrscht, in einer Geisterstadt,
deren Bewohner rechtzeitig in die Berge gefl1üchtet waren. Die bandidos
haben die Stadt zerlegt. Möbel und Geschirr, Türen und Ackergeräte,
selbst Stromkabel demontierten sie, ließen anschließend ihre
Beute von Gefangenen über die Grenze nach Malawi tragen und verkauften
sie dort. Heute weht die rote Flagge der Frelimo über einem Ort, in
dem alles, was einst aus Stein errichtet wurde, in Trümmern liegt.
Einzig ein wuchtiges, graues Kastell an der Hauptstraße hat der Verwüstung
widerstanden: das Gefängnis, errichtet noch von den portugiesischen
Kolonialherren.
Ein Ring aus Elendshütten umschließt die Stadt, in der jetzt
bald 90 000 Menschen leben, und täglich kommen neue, hungrige Flüchtlinge.
Jeder freie Fleck Erde ist mit Cassava, Mais, Reis und Bohnen bepflanzt.
Namarroi erwartet eine gute Ernte, doch der Hunger wird bleiben in dem
Hüttenmeer. Ihre Äcker können die beharrlich schuftenden
Bauern nicht mehr vergrößern, denn schon hinter der übernächsten
Hügelkette wartet die Renamo.
Es ist ein wunderschönes Land. 2 500 Kilometer Strand am Indischen
Ozean, Lagunen, tiefgrüner Urwald. Aus der Luft sind Fischerboote
in kleinen Buchten auszumachen, ausgedehnte Palmenplantagen und Nilpferdherden,
die durch endlose Sümpfe ziehen. Sanft steigen die weiten Ebenen von
der Küste im Osten zu den Bergketten im Westen empor. Rund 25 größere
Flüsse durchströmen Mocambique. Dies könnte ein fruchtbares,
wohlhabenes Land sein.JAber es sind die Killing Fields von Afrika, Schauplatz
eines unablässigen Gemetzels, das keiner mehr versteht.
"Nein", sagt uns achselzuckend ein alter Portugiese, den die Renamo
vor Jahren von seiner Farm vertrieb, "ich begreife diesen Krieg nicht.
Er hat überhaupt keinen Sinn mehr. Ich habe keine Ahnung, wofür
die seit 15 Jahren kämpfen."
1975 war aus einer portugiesischen Kolonie der unabhängige Staat
Mocambique geworden. Als treuherzige Revolutionäre schlossen sich
die regierenden Frelimo-Führer sogleich dem internationalen Boykott
gegen das benachbarte Rhodesien an. Ihre Solidarität bezahlten sie
mit einem hohen Preis: Der Geheimdienst der weißen Herren von Rhodesien
gründete die Renamo. Diese Kampfeinheit aus Polizisten und Soldaten,
aus Frelimo-Gegnern und allerlei sinistren Gestalten sollte verhindern,
daß Mocambique den schwarzen rhodesischen Freiheitskämpfern
eine Basis bot.
Fünf Jahre später war aus Weiß-Rhodesien Schwarz-Simbabwe
geworden, und Mocambique hoffte auf ein Ende der Renamo-Attacken. Doch
nach dem Verlust des letzten weißen Nachbarn sprang die Burenrepublik
Südafrika als neuer Renamo-Förderer ein. Sie wollte verhindern,
daß der ANC, die südafrikanische Guerilla, von Mocambique aus
operierte. 1984 beendete Südafrika offiziell seine Unterstützung
der Renamo. Bis heute hält sich jedoch der Verdacht, daß südafrikanische
Militärs immer noch, gemeinsam mit portugiesischen Ex-Kolonialherren,
den bandidos Waffen und Nahrung liefern. Über rund 25 000 Kämpfer
soll die Renamo verfügen. Plündernd und brandschatzend ziehen
sie durch das Land, weltweit verschrien als die "schwarzen Khmer".
Während unserer einmonatigen Reise quer durch Mocambique haben
wir überall die gleichen Bilder gesehen: zerschossene Dörfer
und überfüllte Spitäler, Flüchtlingslager, hungernde
Menschen. Der Krieg hat die Lebensgrundlage der meisten Menschen zerstört,
er treibt sie umher und hat die Angst tief in ihre Seelen gepflanzt.
Der Krieg hat seinen Anlaß längst überlebt, er führt
ein perverses Eigenleben ohne Ende. Irgendjemand hat einmal den Kampf der
Frelimo gegen die Renamo mit dem Versuch verglichen, eine Pfütze auf
einer Plastiktischdecke durch Draufschlagen zu beseitigen. "Das Spiel",
sagt mir ein junger Frelimo-Funktionär, ein smarter Herr mit Goldkettchen
und Drei-Tage-Bart, "das Spiel hört nicht auf. Die Armee erobert ein
Gebiet, Renamo weicht in die Nachbarregion aus. Die Armee setzt nach, und
die Renamo verschwindet. Irgendwann taucht sie plötzlich wieder vor
dem ersten Dorf auf."
Naburi ist ein Ort im Norden von Sambesia, der bevölkerungsreichsten
Provinz des Landes. Erst vor einigen Wochen haben Regierungstruppen das
Dorf zurückerobert, davor war es dreieinhalb Jahre in der Hand der
Renamo. Spannung und Nervosität hängen in der feuchtschwülen
Luft. Die rote Erde ist von frischen Schützengräben durchzogen,
junge Soldaten fuchteln mit ihren Maschinengewehren. Jeder weiß,
daß die Renamo noch nahe ist, im Busch rund um das Dorf.
Wir haben Marcos Mulevale gefragt, einen alten Mann, den wir auf der
Straße trafen. Nein, sagt Marcos, ein Programm hat die Renamo nicht
gehabt: "Die wachten irgendwann morgens auf und begannen, Kommandos zu
schreien. Wir mußten auf die Äcker gehen, um ihnen etwas zu
essen zu bringen, das war unsere wichtigste Aufgabe. Oft haben sie Leute
völlig grundlos umgebracht. Zwei Brüder und ein Neffe von mir
sind getötet worden. Nachts haben sie unsere Frauen gerufen und sie
geschändet." Zweimal pro Woche, erzählt Marcos, wurden
alle zur Versammlung befohlen, auf der die Renamo-Krieger verkündeten,
sie beherrschten das Land schon bis Maputo. Wen sie verdächtigten,
mit der Frelimo zu sympathisieren, "den haben sie gegrillt. Sie haben einen
Ofen gebaut, wie man ihn für Fische benutzt und den Mann darauf festgebunden.
Sie sagten einfach 'Wir werden jetzt dein Leben beenden' und zündeten
das Feuer an".
Es gibt viele Kriege in Afrika. Doch keinen vergleichen schockierte
Beobachter so oft mit dem Dreißigjährigem Krieg in Deutschland
wie den mocambiquanischen Irrsinn. Anderswo sind inmitten der Greuel zumindest
noch ein paar hehre Motive zu entdecken: die Abschüttelung eines Despoten
etwa, den Kampf um Macht, den Hass zwischen Volksgruppen. In Mocambique
scheint der Krieg nur noch von Räubern und Marodeuren beherrscht zu
werden.
Meine erste Begegnung mit der Renamo hatte ich vor etwa fünf Jahren
in Las Vegas. Auf Einladung ultrarechter US-Gruppen waren Contras aus Nicaragua
und Mudschahidin aus Afghanistan in der Spieler-Stadt eingetroffen, angolanische
Uni-Kämpfer, Vietnam-Veteranen und auch Renamo-Abgesandte. Auf dem
Dach der Tiefgarage des Sahara-Hotels erörterten sie den weltweiten
Kampf gegen den Kommunismus. "Wir werden niemals aufgeben", verkündete
der US-Repräsentant der Renamo von seinem Platz auf der Ehrentribüne.
"Wir haben den Kommunisten in Mocambique die Beine abgeschnitten, jetzt
brauchen wir nur noch mehr Waffen, um ihnen die Köpfe abzutrennen."
Regiert der Kommunismus in Mocambique? Regiert da überhaupt noch
jemand ? Am Ende unserer Reise haben wir den Eindruck, daß es bestenfalls
die ausländischen Nothelfer sind, die diesen Staat noch funktionieren
lassen. Etwa 150 Hilfsorganisationen aus aller Welt sind im Einsatz, sie
bauen auf und bilden aus, sie füttern und reparieren. Nur sie bemühen
sich noch, entlegene Regionen mit Nahrung, Medikamenten und Saatgut zu
versorgen. Und wenn gerade Pilot, Kapitän oder Fahrer und auch Benzin
und Reifen und der militärische Schutz vorhanden sind, dann erreicht
mancher Transport sogar sein Ziel.
Es gibt jedoch Kritiker in der Hauptstadt, die diese Entwicklungshelfer,
die dogooders aus aller Welt als die neuen Kolonialherren anprangern: Sie
leben gemeinsam mit Diplomaten, ein paar privilegierten Ministern und Geschäftsleuten
in Maputos schönsten Villenvierteln, sie fahren die einzigen Neuwagen,
sie verdienen für afrikanische Verhältnisse astronomisch hohe
Devisen-Gehälter, mit denen sich in den Spezial-Supermärkten,
die nur noch Dollars und südafrikanische Rand akzeptieren, fast alles
kaufen läßt.
Doch ohne die Hilfsprofis ginge nichts mehr. Etwa jeder dritte der 16
Millionen Mocambiquaner ist direkt vom Einsatz der Ausländer abhängig.
Und viele der dogooders bleiben nur deshalb in der Hauptstadt Maputo hängen,
weil sie ihr Leben riskierten, würden sie draußen im Land Bahnlinien
reparieren, Fabriken aufbauen, Patienten behandeln. Keines der Flugzeuge,
in die wir uns gezwängt haben, war ohne Einschußlöcher.
"Mindestens einmal pro Monat wird auf uns geballert", erzählen uns
eines frühen Morgens zwei Piloten auf einem Flughafen. Sie kommen
aus Österreich und den USA und sind müde und unrasiert - zwei
Söldnertypen, die für harte Dollars und nur noch mit einer Stahlplatte
unterm Hintern ihre Hilfstransporte fliegen. In uralten Dakotas, von denen
eine bereits Francos Piloten im Spanischen Bürgerkrieg diente.
In den Augen der Renamo ist, wer helfen will, ein Kollaborateur der
Regierung und deshalb besonders gefährdet: Vorzugsweise Techniker,
Priester und Ärzte nimmt die Guerilla ins Visier. Etliche Projekte
der vergangenen Jahre mußten abgebrochen werden, weil bandidos die
ausländische Experten bedrohten, verjagten, töteten. In Moma,
einem malerischen Dorf am Indischen Ozean, stoßen wir auf den letzten
Standhaften einer Gruppe französischer Ärzte. Aus der Luft eine
Idylle - blaues Meer, weißer Sandstrand, Palmen und hübsche
Strohhütten entlang der sanft geschwungenen Bucht. Doch Moma ist umzingelt.
Regelmäßig attackiert die Renamo den Ort. Das ehemalige Verwaltungsgebäude
der Kokosplantage haben sie bereits in die Luft sprengen können. Ein
paar junge, recht hilflos wirkende Soldaten patrouillieren entlang eines
Stacheldrahtzauns, den sie rund um das Dorf gespannt haben.
Die französischen Ärzte hatten vor einigen Wochen mit einer
Impfkampagne begonnen. Doch regelmäßig wurden ihnen Medikamente
und Material in den umliegenden Orten gestohlen. Statt dessen fanden sie
kleine Mitteilungen, anonym verfaßte Aufforderungen, schleunigst
zu verschwinden. Eines Morgens entdeckten sie neben einer verbrannten Instrumenten-Kiste
einen Zettel: "Wenn Ihr sterben wollt, dann macht nur weiter." Da beschlossen
sie, die Schnitzeljagd zu beenden und gingen. Nur ein Kollege blieb zurück
-Jund für ihn liegt in dem kleinen Hafen ständig ein startbereites
Motorboot.
Moma ist ein Dorf wie viele andere in Sambesia. Wo immer wir in dieser
Provinz auf kurzen Pisten aufsetzten, trafen wir Menschen, die direkt neben
der Landebahn kauerten, ihre Bündel geschnürt und auf eine Chance
zum Mitreisen wartend. All diese abgelegenen Dörfer und Städte
sind überschwemmt von Flüchtlingen. Manchmal laufen sie tagsüber
bis zu 15 Kilometer weit, um einen kleinen Flecken Land irgendwo verborgen
im Busch zu bestellen. Vor Anbruch der Dunkelheit müssen sie zurück
sein, denn dann kommen die bandidos. Mehr als zweieinhalb Millionen Mocambiquaner
sind auf der Flucht. In den Orten, selbst in den hastig errichteten Lagern
fühlen sie sich "sicherer", sagen sie. Sicherer, das ist ein typisch
mocamiquanischer Komparativ. Wenn die Wahrscheinlichkeit des Todes zum
Maßstab wird, ist das Elend nur noch relativ.
Quelimane ist die Hauptstadt der Provinz Sambesia und besitzt sogar
ein öffentliches Schwimmbad mit einem kleinen Cafe. Dort sitzt ein
britischer Nothelfer vor einer Tasse Kaffee und blickt in das leere Bassin.
Die Umwälzpumpe funktioniert schon seit langem nicht mehr. Die Luft
ist feucht und schwer. Merkwürdig, welchen Trübsinn der Anblick
eines leeren Schwimmbeckens hervorrufen kann. Der hagere Brite verrührt
seine Milch und setzt jenes sardonische Grinsen auf, das diese Profis immer
parat haben, wenn sie die Katastrophe detailliert ausmalen dürfen.
"Diese Stadt hier", sagt er, "hatte vor fünf Jahren 75 000 Einwohner.
Jetzt sind es plötzlich doppelt so viele. Wie sollen wir die ernähren
Auf dem Flughafen gab es kürzlich drei Wochen lang kein Benzin.
Die Lkw-Konvois werden dauernd überfallen. Und wenn die Hafenarbeiter
nicht streiken, stehlen sie einen Teil der Ladung, weil sie nur 40 Dollar
im Monat erhalten und davon ihre Familien nicht ernähren können".
Sambesia war einmal der Brotkorb von Mocambique. Inzwischen sind nicht
nur die meisten Felder zerstört, sondern ist auch die Überzeugung
ramponiert, daß Leistung sich lohnen könnte. "Das Land wird
immer korrupter. Und weißt du, warum ?" fragt grinsend der Brite,
"Weil hier immer mehr Leute erkennen, daß das Banditentum die effektivste
Form des Wirtschaftens ist. Wenn ich ein Gewehr habe, aber nichts zu essen,
und Du hast zu essen, aber kein Gewehr - wer wird dann wohl satt ?"
Es gibt viele Gewehre in Mocambique. Die Renamo besitzt welche und die
Armee, die hastig ausgebildeten Bürgerwehren in den Flüchtlingslagern
tragen sie und auch die Simbabwe-Soldaten. Etwa 10 000 Armee-Angehörige
aus dem Nachbarland kämpfen in Mocambique auf Seiten der Regierung.
In Tete, der Provinzhaupstadt im Nordosten, haben wir sie getroffen: gut
ausgebildeten Soldaten in gepanzerten Transportwagen, adrett anzuschauen
mit Sonnenbrille, gebügelter Uniform und schwarzem Barett. Sie sind
nicht nur aus Solidarität mit den mocambiquanischen Genossen hier
stationiert. Simbabwe braucht für seine Exporte den schnellen Zugang
zum Meer, der Umweg über Südafrika ist teuer, und deshalb sichern
seine Soldaten die Transitwege im Nachbarland..
Jeden Mittag treffen zwei Lkw-Konvois aus entgegengesetzter Richtung
in Tete ein. Der eine ist am Morgen in Zimbabwe aufgebrochen, der andere
naht aus Nordosten, aus Malawi. Oft sind es über 100 schwere Fernlaster,
die dann gemeinsam Richtung Indischer Ozean donnern. Gut zweieinhalb Millionen
Dollar ist ein Tete-Troß wert, ein lohnenswertes Angriffsziel für
die Renamo.
Die Fahrer der Konvois haben gelernt, bei Schießereien sofort
ihre Lastzüge zu stoppen und sich hinter die großen Reifen zu
werfen. In Tete selbst bleibt nur ein Bruchteil der Transitwaren hängen,
ein paar Dinge, die sich in öden Schaufenstern zu Zufallskunstwerken
gruppieren: Streichhölzer, zwei Kinderhemden, ein Kamm, eine Mausefalle.
Oder: eine Rolle Garn, eine Dose Cola, Insektenvernichtungsmittel und ein
Fußball. Und dann stehen sie davor und starren durch die Scheibe,
Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Sambia oder Simbabwe sind oder vielleicht
nach Malawi, wo schon 600 000 Mocambiquanern in Lagern hausen. Andere sind
gerade aus den Nachbarstaaten zurückgekehrt, weil irgend jemand ihnen
erzählte, daß ihre Region wieder bewohnbar sei. Dies ist eine
ständige Völkerwanderung, ein gigantisches, tödliches Reise-nach-Jerusalem-Spiel,
in dem die Renamo jeden Monat Tausende von Stühlen wegzieht.
Wo wir auch hinkamen, haben wir zerstörte Schulen und gesprengte
Krankenhäuser gesehen, haben die immer gleichen Geschichten von den
bandidos, von Barbarei und Tod gehört. Doch nur selten klagten oder
weinten die Menschen. Vielleicht ist der Krieg in Mocambique schon zu alt,
als daß sie noch Empörung, Leid und Entsetzen herausschreien
könnten. Die Jugendlichen kennen den Frieden ohnehin nur aus Geschichten.
Nach anderthalb Jahrzehnten Krieg ist der Schrecken geworden.
Im Krankenhaus von Vilankulo, einem Ort an der Küste, treffen wir
auf Menschen, die von Schüssen verletzt, von Minen verstümmelt
sind. Vor einem Bett mit einem älteren Mann bleibt der begleitende
Arzt stehen und schlägt die Decke zurück. Zwischen den dürren
Beinen erblicken wir einen weiß eingewickelten Stummel, aus dem ein
Plastikschlauch ragt. Mit zwei Freunden sei er vom Feld gekommen, sagt
der Patient, als plötzlich die bandidos auftauchten. Sie hätten
seine Freunde erschossen und ihm den Penis abgeschnitten. "Und dann haben
sie mir befohlen, ins Dorf zu gehen und das der Frelimo zu zeigen." Der
Mann verstummt, und der Arzt reicht ihm eine Zigarette.
Selbst Diplomaten verlieren beim Gespräch über Mocambiques
Guerilla ihre professionelle Verbindlichkeit. "Das ist nichts weiter als
eine Mörderbande", entfuhr es einem europäischen Botschaftsmitglied
in der Hauptstadt Maputo. Die Renamo existiere nur deshalb noch, weil die
Frelimo-Soldaten alles Dilettanten seien. Der Diplomat lacht kurz auf:
"Vergessen Sie die Armee. Die besitzt kein Benzin und keine Techniker,
und ihre sowjetischen Waffen haben Ausfallquoten von 90 Prozent."
Der langjährige Afrika-Experte des US-Außenministeriums,
Chester Crocker, bezeichnet die Renamo in einer Studie als "killing machine".
Sie sei verantwortlich für den Tod von vermutlich einer Million Menschen,
habe einen Sachschaden von etwa 15 Milliarden Dollar angerichtet. Crocker
und all diejenigen, die das Land kennen, reden immer wieder über die
Kinder. Zwar gehören Kinder in jedem Krieg zu den hilflosesten
Opfern. Doch dem Krieg in Mocambique werden sie sogar als Täter geopfert.
Rund 90 Prozent der Renamo-Kämpfer sollen zwangsrekrutierte Bauernburschen
sind. Das ist weltweit wohl der höchste Anteil an Kinderinfanteristen
in einer Guerilla, oder besser: an Killerkindern.
Auf Renamo-Gruppen sind wir nicht gestoßen, und wir haben uns
auch davor gehütet. Aber einige der Jungen, die zu Mördern wurden
und irgendwann abhauten aus den Camps der Renamo, die haben wir in Chimoio
getroffen, einer kleinen Stadt an der Grenze nach Simbabwe. Wir saßen
im Gras und plauderten. Die Jungen hatten Zeit, sie warten auf die Chance,
eines Tages das Rehabilitations-Heim verlassen zu können, ihre Eltern,
Verwandten und Freunde wiederzusehen. Falls diese noch lebten.
"Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich umgebracht habe," sagt
Mitiasse, ein stämmiger 18jähriger Junge in Gummistiefeln. Als
er 15 war, hat die Renamo ihn von einer Farm entführt und als Guerillo
ausgebildet. "Wenn sie es mir sagten, habe ich meine Waffe genommen und
gekillt. Ich habe auf alles geschossen, was sich bewegt." Warum? Mitiasse
zuckt die Achseln. Seine Anführer hatten immer behauptet, die Armeesoldaten
würden ihn erschießen, wenn er in ihre Hände fiele. Und
davor hatte er Angst. Weshalb ist er nach zwei Jahren geflohen? "Ich bin
weggelaufen, weil ich müde war."
Francisco ist etwas älter als sein Freund Mitiasse und hat schon
sechs Jahre in verschiedenen Renamo-Lagern zugebracht. Eines Tages waren
bandidos in das Haus der Eltern eingedrungen. Sie hatten Hühner gestohlen
und befahlen Francisco, die Tiere zu ihrer Basis zu tragen. Dort erklärten
sie ihm: "Du bleibst jetzt hier. Du wirst ausgebildet und dann gegen die
Frelimo kämpfen." Mehrere Monate haben sie ihm das Schießen,
Marschieren und Legen von Hinterhalten beigebracht. Einmal hat er, mitten
in der Nacht, den Renamo-Chef persönlich getroffen, Afonso Dhlakama.
"Ein Flugzeug hatte Waffen, Munition und Uniformen abgeworfen", sagt Francisco.
"Dann befahl uns Dhlakama, Dörfer im Gorongosa Nationalpark zu zerstören.
Die Beute haben wir in das Hauptquartier Casa Banana gebracht. Kurz darauf
schickten sie mich nach Catandica. Dort habe ich fünf Jahre lang gekämpft,
also Kasernen angegriffen, Hinterhalte gelegt, Leute von ihren Farmen entführt."
Kinder können gute Killer werden, denn sie sind noch willenlos
und leicht formbar. Die Renamo greift sie bei der Feldarbeit, macht ihnen
klar, daß es kein Entrinnen gibt, trainiert sie kurz und hart, und
setzt sie auf Hungerration. Wer essen will, muß schießen. Wer
sich drückt, wird erschossen. Bei diesen Exekutionen haben, so erzählt
Xadreque, ein rundlicher Bursche mit tiefer Stimme, alle zusehen müssen.
"Und niemand durfte unglücklich aussehen. Das war immer so, wer sein
Gesicht verzog, wer nicht lachte, den hat der Kommandant sofort angesprochen.JDer
wurde bestraft."
Kampf dem Kommunismus, Freiheit dem Volk? Über so etwas haben sich
die Jungen keine Gedanken gemacht. Vor dem Angriff brüllten sie 'Viva
Renamo' oder auch 'Viva Afonso Dhlakama' und 'Nieder mit der Frelimo'.
Dann sind sie losgestürmt. "Der Medizinmann sorgte dafür,
daß wir nicht verwundet werden", sagt Francisco in breitem, kauenden
Portugiesisch. "Er hat uns Wasser mit Kräutern gegeben, in dem wir
uns das Gesicht wuschen. Das machte unsere Körper kugelsicher. Wenn
du auf mich schießt, geht die Kugel daneben." Hat es wirklich geholfen
? Francisco nickt zögernd. "Ja, ich glaube schon. Die anderen hatten
immer mehr Tote."
Die Anführer der drei jungen, netten Mörder kämpfen noch
immer irgendwo im Busch unter der Fahne des Anti-Kommunismus. Doch in der
Hochburg des Bösen, in der Hauptstadt Maputo, verblassen längst
die marxistisch-leninistischen Einheitsparolen an den Wänden. Straßennamen
sind das letzte Linientreue. Die grüne Allee mit den hohen, spätkolonialen
Wohnbocks heißt noch immer Avenida Mao Tse Tung, und was unten im
Hafen bei Eduardo Silvas Damen- und Herrenmode beginnt, hügelan durch
die Innenstadt zu einem Friedhof führt und sich dann wieder bergab
zwischen Autowracks und Hausmüll in die Vorstadt windet, das ist die
Avenida Karl Marx. Auch Engels und Nordkoreas Kim Il Sung haben ihre Straßen.
Eduardo Chivambo Mondlane, der Gründer der Frelimo, ruht in einem
Mausoleum aus weißem Marmor, um den der Kreisverkehr dröhnt.
Standhaft ertragen die Wachsoldaten die Abgaswolken knatternder Transporter
und schrottreifer Lastwagen.
Maputo ist eine freundliche Stadt, friedlich selbst in den Slums der
Vororte, in denen ununterbrochen neue Hütten zusammengenagelt werden.
Doch es ist die Ruhe der Resignation, des lähmenden Wartens auf Nahrung
und verschwundene Verwandte, auf ein Ende des Krieges, auf irgendeine andere
Zukunft. Das Leben kriecht nur durch Maputo. Morgens im Hafen hocken Arbeiter
neben einer Ladung Mais, gespendet von den USA, und rösten sich zum
Frühstück die Körner, die aus undichten Säcken fallen.
Auf der Fähre über den Estuario erzählt mir ein Eisenbahner
vom gerade beendeten Streik: "Wir mußten um die Lohnerhöhung
kämpfen, die uns schon 1987 offiziell zugestanden wurde." Inzwischen
sind es die Lehrer und das Krankenhauspersonal, die ihre Arbeit niedergelegt
haben.
Wer in Maputo streikt, muß ein Optimist sein. Was gibt es hier
schon noch zu verteilen? Seit Jahren sind die Weltmarktpreise für
Baumwolle im Keller, und die Cashewnuß- und Teeplantagen verrotten,
weil die Bauern aus Angst vor der Renamo zu Hause bleiben. Die Wirtschaft
ist ruiniert - und das nicht nur durch den Bürgerkrieg. Der Ehrgeiz
der Frelimo, hier Afrikas sozialistisches Musterland aufzubauen, hat Mocambique
geschadet. Gewaltige Staatsfarmen, Industriekombinate und Gemeinschaftsdörfer
wurden entworfen, und allein die DDR sandte 1000 "Kooperanten", Entwicklungshelfer
des Staatssozialismus. "Diese Projekte sind sämtlich eingegangen",
vertraut mir leutselig in Maputo der Handelsexperte Lange an, einer der
wenigen verbliebenen Kooperanten. "Die Regierung kann mitunter auch froh
sein, die Banditen als Entschuldigung des eigenen Versagens zu haben."
Präsident Joaquim Chissano soll eine Rede halten. Maputo hat deshalb
einen freien Tag bekommen. Das fällt nicht weiter auf, weil viele
entweder arbeitslos sind oder streiken. Unter den Eukalyptusbäumen
im Park an der Avenida 25 de Setembro sammeln sich seit dem frühen
Vormittag die Frelimo-Anhänger. Musik ertönt, Transparente lassen
den Präsidenten und seine müden Streitkräfte hochleben,
und von zwei Wagen der staatlichen Molkerei herab wird Eis verkauft. Fünf
Stunden lang spricht der Präsident. Ohne agitatorische Beschwörungen,
ganz akademisch breitet er seinen Vorschlag für eine neue Verfassung
aus. Ein feinsinniger Politiker, selbst die westlichen Diplomaten sind
des Lobes voll. "Fast wie das Grundgesetz", murmelt, sichtlich angetan
vom Inhalt der Rede, ein deutscher Beobachter neben mir.
Behutsam präpariert Chissano seine Zuhörer für die Anforderungen
der neuen Zeit, und auf der Tribüne lauschen die Hardliner vom Politbüro
mit versteinerten Mienen. Dieser neue Präsident hat in den vier Jahren
seiner Herrschaft so ziemlich alle Tabus gebrochen. Er hat den Sozialismus
verabschiedet und den Internationalen Währungsfond begrüßt,
hat ein Mehrparteien-System angekündigt und sogar mit der Renamo zu
verhandeln begonnen. Das ist ein neuer, unerhörter Geist. Den Soldaten
am Rande des Parks ist er noch nicht durch die Helme gedrungen: Sie stoppen
jeden, der nach mehreren Stunden aus Durst, Hunger oder schlichter Langeweile
aufbrechen will. Bevor der Präsident fertig ist, darf niemand gehen.
Maputo ist eine nette, kleine Lüge. Im Cafe Continental bedienen
Kellner mit weißen Hüten die ausländischen Gäste,
mit südafrikanischem Bier und der schwarzen Weltbrause. Die Edeldiscothek
am Strand ist voll, auch wenn der Einlaß einen halben Durchschnittslohn
kostet. Dem Krieg begegnet der Besucher nicht in Maputo. Vielleicht werden
ihm die zahlreichen Krüppel auffallen oder die Straßenkinder,
die ihre Eltern bei Überfällen oder auf der Flucht verloren haben.
Es sind sympathische Jungen dabei, wie Scott und Toto, mit denen zu plaudern
sich lohnt. Besonders morgens, wenn sie noch keinen Leim geschnüffelt
haben.
Es mag sein, daß Herr Chissano und Herr Dhlakama eines Tages sich
feierlich die Hände schütteln und einen Friedensvertrag unterzeichnen.
Es mag sogar sein, daß die Renamo zur ersten Wahl im unabhängigen
Mocambique als Partei antreten darf. Doch draußen im Busch werden
die marodierenden Banden, diese plündernden Landsknechte ohne Herren,
sich kaum davon beeindrucken lassen. Niemand rechnet damit, daß bald
der Frieden kommt. Francisco, der kleine Renamo-Deserteur in Chimoio, hat
uns zum Abschied den Traum erzählt, der immer wieder seine Nächte
füllt: Er befindet sich irgendwo im Busch, er schießt und tötet,
dann wird er über eine endlose Landstraße gehetzt, bis er fällt
und weint und aufwacht und immer noch weint. Das ist für lange Zeit
noch ein ziemlich normaler Traum in Mocambique.
©
Schimmeck |