Weiße Westen, schwarzes Gold

Wie schuldig ist Shell am Tod von Ken Saro-Wiwa?

1996 
von Tom Schimmeck 

Moral ist nicht sein Geschäft. Der Mann denkt in Daten, in Barrel und Dollar. Sobald das Gespräch auf Menschen, auf Politik und Ökologie kommt, wird er merkwürdig verschwommen. „Das ist schwer zu beurteilen“, sagt er immer wieder: „Ich gebe Ihnen nur die Fakten.“ 

Die sprechen natürlich für Shell. Shell ist gut, Shell ist sozial, Shell kann zählen: 1995 hat Shell Nigeria 53 Klassenzimmer, 46 Lehrer, 36 Trinkwasserversorgungen, acht Straßen und sieben Gesundheitszentren gestiftet, dazu Landwirtschaftsprogramme und Stipendien. Shell hat auch 1300 „Gemeindebesuche“ absolviert. Shell redet mit den Menschen. Wie hieß noch die angelsächsische Werbung? „Go well, go Shell“. 

Im Grunde ist das alles ein bißchen peinlich und trist. Brian Anderson, Vorstandsvorsitzender von Shell Nigeria, wird nach Hamburg eingeflogen, um bei ein paar Häppchen gegen den Imageverlust anzureden, verursacht durch die Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa. Also tut er es, zeigt die heute obligatorischen 10 Prozent Zerknirschung, dazu 40 Prozent Selbstvertrauen und 50 Prozent gute Kinderstube. 

Anderson ist ein Brite, in Nigeria geboren und aufgewachsen, ein erfolgreicher Erdölfachmann, der die Welt gesehen hat. Seit 1994 ist er Shell-Chef in Nigeria. Das ist eine echte Machtposition. Denn Öl ist der Reichtum, das Schmiermittel der nigerianischen Politik. Und die ist hart, simpel und sehr ungerecht. 

Politik wird hier von Militärs gemacht, als eine Art Dauermanöver zur Bereicherung einer Fettschicht von Generälen und deren Günstlingen. Die Despoten an der Spitze haben sich von den Öleinnahmen pompöse Häuser und große Straßen für ihre schicken Autos gebaut – eine ganze, neue Hauptstadt ist so entstanden (an der deutsche Firmen gewaltig verdient haben). Was übrigbleibt, wird auf prallen Auslandskonten verwahrt. 

Herr Anderson weiß das wohl. Aber es nützt ihm nichts, es auszusprechen. Er wird die Regierung nicht laut attackieren – schließlich hat Shell Verträge mit diesen Leuten und will neben all dem barmherzigen Treiben auch noch ein bißchen Geld verdienen. Der aktuelle Militärherrscher Nummer acht, Sani Abacha, gilt als eine Art Negativrekord in der finsteren Ahnenreihe. Doch Anderson lobt sein Regime für dessen „Konsistenz“ – etwa in der Wirtschaftspolitik. Frühere Militärherrscher, er sagt es wirklich, „haben immerhin Autobahnen gebaut“. 

Die Regierung, lobt Shell, habe den Anteil der Regionen an den Öleinnahmen von 3 auf 13 Prozent hochgesetzt. Leider, muß er auf Nachfrage erklären, sei ihm unbekannt, wann diese Zahlungen tatsächlich erfolgen sollen. 

Es ist kein Geheimnis, daß in der nigerianischen Kleptokratie unten nichts ankommt. Während sich die Militärs und ein paar findige Geschäftsleute enorm bereichern, sinkt laut Weltbank die Hälfte des 100-Millionen-Volks unter die Armutsgrenze. Die Geldkanäle sind noch weit löchriger als die Ölpipelines: Am Zielort sind sie leer. 

Andererseits darf er seine Zuneigung nicht übertreiben. Das Regime des Generals Abacha hat ein noch weit schlechteres Image als der Shell-Konzern. Es wäre unschön, wenn die Militärs den Ruf der Firma massakrierten. Shell will Geld machen und geliebt werden. 

Was schert Shell sein Image? Selbst im Jahr 1995 – einem „harten Jahr“, wie der Londoner Shell-Boß John Jennings bilanzierte – wuchs der Nettogewinn des Gesamtkonzerns auf stolze 10 Milliarden Mark – trotz Brent Spar und Nigeria. Der Firma geht es wirklich blendend, die Aktie wird empfohlen. Nur der traditionelle Neujahrsempfang in Den Haag wurde dieses Jahr aus Angst vor Protesten abgesagt. Und doch läuft Shell Gefahr, durch Operationen wie Nigeria langfristig Schaden zu nehmen. Nelson Mandela hat zum Ölboykott gegen Nigeria aufgerufen. In den USA – neben Großbritannien und Spanien Hauptabnehmer nigerianischen Öls – wird solch ein Ölembargo rege diskutiert. Diese Woche findet in Washington ein Hearing über ein „Nigeria Demokratie-Gesetz“ statt, das amerikanische Investitionen blockieren und die Auslandskonten der Militärs einfrieren soll. Die Welt, findet die „New York Times“, „sollte die brutale Politik der nigerianischen Diktatur nicht billigen“. 

Shell fördert etwa die Hälfte der nigerianischen Ölproduktion. Just hat der Konzern vor der Küste neue Vorkommen entdeckt. Ein Ölembargo, sagt Anderson, würde dem Land nur schaden: „Shell schafft Reichtum in Nigeria.“ 

Ein Rückzug kommt da nicht in Frage. Im Gegenteil. Die Firma beteiligt sich an einem gewaltigen Erdgasprojekt in Nigeria, gut 4 Milliarden Dollar schwer. Etwa ein Fünftel der bislang abgefackelten Gase soll aufgefangen und nach Spanien, Frankreich, Italien und in die Türkei verkauft werden. Die Verträge sind unterschrieben. Ökologisch ist das gar nicht schlecht. Das Problem ist ein politisches: Die Öl-Konzerne verbandeln sich so noch enger mit dem Regime – und machen die Militärs noch reicher. 

Natürlich hat Brian Anderson auch ein paar Bedenken. Er will nicht kalt erscheinen. „Es geht nicht nur um Geld, um Profit“, sagt der Shell-Mann, da seien, was das Schicksal Nigerias angeht, durchaus „persönliche Gefühle“ im Spiel. Schließlich habe er dort bis 1967, bis zum Biafrakrieg, gelebt, in einer schlichten Lehmhütte ohne Stromanschluß: „Ich und mein Vater haben Nigeria gedient.“ 

Sein Beleg: Als sich 1994 die politische Situation zuspitzte und die Ölarbeiter für die Einlösung des Demokratie-Versprechens streikten, habe er die Hälfte der Produktion geschlossen, um Konflikte zu vermeiden, „sechs Wochen lang“, fügt er fast entsetzt hinzu. 

Nein, Shell ist nicht rechthaberisch, Shell ist einsichtig. Shell druckt Prospekte, zeigt Schautafeln, lädt zum Dialog. „Wir haben Fehler gemacht“, konzediert Anderson, „aber wir haben das Nigerdelta nicht verwüstet.“ Die kaputten Pipelines würden repariert. „Shell bedauert die Vorgänge im Ogoni-Gebiet zutiefst“, heißt es auch in einer neuen Handreichung der Deutschen Shell. Die Exekutionen Saro-Wiwas und seinen acht Weggefährten am 10. November 1995 seier „eine menschliche Tragödie“. Man müsse wohl „befürchten, daß hierdurch der Prozeß der Verständigung im Ogoni-Gebiet weiter behindert wird“. 

Eine bezaubernde Formulierung. Hier wird der wunde Punkt elegant umschifft. Die Ogonis bleiben das Problem von Shell, weil sie laut und empört sind und vor allem bekannt. Der Aufschrei über die Hinrichtung eines engagierten Dichters war heftig, die Tat ist unvergessen. 

Wie schuldig ist Shell? Mindestens zwei Zeugen der Anklage gegen Saro-Wiwa, sagt sein Bruder Owens Wiwa, seien von Shell bedroht und bestochen worden. Vor der Hinrichtung hat er Brian Anderson aufgesucht. Der habe ihm erklärt, sein Bruder Ken müsse nicht sterben, wenn er unterschreibe, daß die Umweltschäden im Delta nicht von Shell stammen. Anderson bestreitet dies: „Es war ganz anders.“ 

Doch selbst wenn Shell nichts mit dem Mord zu tun hat, ist der Konzern der natürliche Partner der Militärs: Das Öl ist der Reichtum des Regimes. Und deshalb setzt es alles daran, dessen Förderung so reibungslos wie möglich zu gestalten. Da schreckt es auch vor Terror, Vergewaltigungen, Folter und Mord nicht zurück. Die nächsten 19 angeklagten Ogonis warten schon auf ihr Todesurteil. Im Nachbarland Benin mehrt sich seit Wochen die Zahl nigerianischer Flüchtlinge. 

Die Vertreter der Ogonis verlangen lautstark den totalen Ölboykott. Und Entschädigungen von Shell in Milliardenhöhe. Darauf sagt Anderson nur: „Ridiculous.“ 

Was kann Shell tun? Warum benutzt der Konzern nicht seine Macht, droht den Militärs nicht zumindest damit, den Geldhahn zuzudrehen, seine 94 produzierenden Ölfelder und 6200 Kilometer Pipelines einfach stillzulegen? „Alles was wir tun können, ist bitten“, meint der Shell-Group-Management-Vorsitzende Herkströter. „Stille Diplomatie“ empfiehlt Anderson. Genau, fällt ein deutscher Shell-Mann fröhlich ein, man nehme nur „das Beispiel Amnesty International“. 

Haben Sie Macht, Herr Anderson? Er antwortet very british: „Wir haben manchmal einen gewissen Zugang zu wichtigen Leuten.“ 
 

HINTERGRUND 

SHELL begann 1938 mit Ölbohrungen in NIGERIA. Heute ist der Konzern der größte ausländische Ölförderer im Land. Shell Nigeria, an der die Nationale Ölgesellschaft (NNPC) mit 55 Prozent beteiligt ist (Shell 30 Prozent, Elf 10 Prozent, Agip 5 Prozent), fördert derzeit 930 000 BARREL TÄGLICH. Am meisten profitiert davon das MILITÄRREGIME. Beim aktuellen Ölpreis (etwa 22 Dollar) fließen – abzüglich Kosten – 70 Cent an Shell, 30 Cent an Elf und Agip und, durch Steuern, Lizenzen und ihre Beteiligung, rund 16,50 Dollar an die Regierung – macht 15 Millionen pro Tag. Die EXPORTEINNAHMEN des Landes werden zu 80 Prozent durch Öleinnahmen gedeckt.

 

© Schimmeck