TIRED
Die Zukunft von WIRED, Zentralorgan
der US-Hightech-Elite, ist zweifelhaft. Gründer Louis Rossetto feuert
Personal - und gibt auch selbst ein paar Jobs auf
1997
von Tom Schimmeck
Die Eingangsfront ist neonpink, die große
Fabriketage dahinter atmet die Botschaft: Wir sind hip, wir sind die Avantgarde.
"Wir sind für die Leute, die wir als Führer ansehen", sagt der
Chefredakteur, "wir zielen auf die Elite".
Welcome to "Wired", seit fünf Jahren die publizistische Speerspitze
einer selbst proklamierten Hightech-Revolution. Das Monatsblatt, made in
San Francisco, hat von Anfang an Wind gemacht. Die kreischende, zuweilen
psychedelisch anmutende Grafik ließ der Zunft die Augen flimmern.
Die Texte, mal genial, mal banal, verheißen mit viel Aplomb ein neues
Zeitalter, eine bessere, weil digitale Zukunft.
Der "Rolling Stone der Computerzeitalters" (Newsweek), im Januar 1993
abseits der großen Medienkonzerne von Louis Rossetto und Jane Metcalfe
gegründet, hat viel vor. "Warum Wired?", fragte Rossetto damals und
antwortete: "Weil die digitale Revolution durch unser Leben peitscht wie
ein bengalischer Taifun." Er hatte die "digitale Generation" im Visier,
die "mächtigsten Menschen auf unserem Planeten heute". Nicht ohne
Erfolg: Das Magazin verkauft inzwischen etwa 350 000 Exemplare, ist obendrein
ein Darling der Werbeagenturen, mit Anzeigenstrecken, die jeden Verleger
entzücken würden Ð 174 Seiten allein in der letzten Ausgabe.
Wired aber soll mehr sein als ein hübscher Haufen aufwendig bedruckten
Papiers. Die Mutterfirma Wired Ventures, die das Magazin, einen Buchverlag
(Hardwired) und allerlei digitale Experimente (Hotwired, Wired News, Suck
und die Suchmaschinen Hotbot und Newbot) umfaßt, begreift sich als
"globales, diversifiziertes Medienunternehmen des 21. Jahrhunderts".
Im Juli 1996 wollte Rossetto seinen Mini-Multi gar an der Börse
plazieren. Doch die Behauptung, Wired Ventures sei 450 Millionen Dollar
wert, löste nur Gelächter aus. Auch ein zweiter Versuch im Oktober
96 Ð der Wert hatte sich jäh auf 272 Millionen reduziert Ð
scheiterte. Börsenexperten fühlten sich bei der Lektüre
des offiziellen Angebots "an eine Ausgabe von MAD erinnert".
Bei Wired gibt man dafür heute den Investmentbankern die Schuld:
"Wir hatten keinen sofortigen Profit versprochen, wir haben unsere Versprechen
sogar gehalten Ð wenn sie investiert hätten, würden sie heute
vor Freude auf und ab springen."
Private Investoren halfen Rossetto&Co vorerst aus der Bedrängnis.
Gewinne aber sind auch weiterhin nicht in Sicht. Der kleine Buchverlag
mußte just sechs Leute entlassen. Der digitale Ableger, von Rossetto
1994 vollmundig als "das Echtzeit-Nervensysem des Planeten" angekündigt,
ist im Internet zwar populär, verdient aber (wie derzeit fast alle
Online-Organe) kein Geld. Letzte Woche feuerte Wired Digital 33 Mitarbeiter,
ein Fünftel des Personals, schon Anfang des Jahres wurden 30 gegangen.
Daß die enormen Verluste in diesem Quartal auf zwei Millionen Dollar
schrumpften, ist da fast schon eine Freudennachricht.
Peinlich für die Propheten des digitalen Zeitalters: Nennenswerte
Einnahmen kommen bislang nur aus dem antiken Printbereich. Und selbst hier
hat des Weltunternehmen Wired Probleme. Die hochfliegenden internationalen
Pläne sind Ð bis auf eine Japan-Ausgabe Ð Makulatur. Die lange
geplante deutsche Version kam nie auf die Füsse. Wired UK mußte
mangels Akzeptanz eingestellt werden, wurde noch posthum verhöhnt.
Eine Persiflage namens "Tired" rief zum "Kreuzzug gegen albernen, sonnengetrockneten,
apolitischen Mumbo-Jumbo" auf, gekrönt mit dem Schlachtruf "Seid verdammt,
ihr kalifornischen Nichtswisser".
Das paßt ins Weltbild der Wired-Macher, die den Europäer
ihrerseits als eine Art verspäteten Neandertaler ansehen. Chefredakteur
Kelly hat für den alten Kontinent nur ein mildes Lächeln übrig:
"Das sind hauptsächlich Leute", sagt er, "die denken, Optimismus sei
eine Krankheit wie Aids."
Die Welt der Wired-Macher ist betont individualistisch, anti-staatlich
und technikgläubig: Sie vermählt Kinder der Protestgeneration
mit Zöglingen Ronald Reagans. Wired-Autor John Katz etwa feiert den
hauseigenen Denkmix als Mischung der "besten Werte alter Dogmen": "Der
Humanismus des Liberalismus, die ökonomische Gelegenheit des Konservatismus,
dazu ein starker Sinn für persönliche Verantwortung und Beigeisterung
für Freiheit". Andere möchten den Menschen am liebsten computer-
und gentechnisch neu erschaffen.
Wireds Pose ist revolutionär, das Wort selbst wird inflationär
gebraucht Ð obwohl 84 Prozent der Leser Manager mit üppigem
Einkommen sind: Weiße, wohlhabende, oft leicht infantile Spätdreißger.
Wired stilisiert sie zu mutigen Pionieren, gibt ihnen das Gefühl,
den Joystick für das 21. Jahrhundert in Händen zu halten. Es
strickt ihnen schöne Mythen, hat schon so manchen als Helden der neuen
Zeit aufs Pferd gehoben.
Die Heilsbotschaft, sehr populär in der Hightech-Branche, hat längst
ihr Etikett: "Die kalifornische Ideologie". Sie verschmelze, so die Forscher
Richard Barbrook und Andy Cameron von der britischen University of Westminster,
die Boheme San Franciscos mit der neuenElite des benachbarten Silicon
Valley, verknüpfe "den frei schwebenden Geist der Hippies mit dem
unternehmerischen Antrieb der Yuppies".
Auch in den USA ziehen die Hightech-Anbeter zunehmend Kritik auf sich.
Paulina Borsook etwa, selbst zeitweilig Wired-Autorin, beschreibt die "technolibertäre
Nouveau riche" als eine Truppe verwöhnter, isolierter Typen, die nichts
von der Gesellschaft und den Menschen weiß, nichts von Geschichte,
Politik oder ...konomie versteht: "Sie sahnt nur ab. Sie hat weder die
Weisheit, noch das Benehmen, noch die Haltung, der Gesellschaft etwas anderes
als Elektronik zurückzugeben". Der Text (Titel: "Cyberselfish") trat
bei der Silikon-Elite beträchtlichen Zorn los.
Für Louis Rossetto, den wohl aggressivsten Verfechter der kalifornischen
Ideologie , sind solche Anwürfe "total lächerlich". Der "Anarcho-Kapitalist",
so der US-Autor Paul Keegan, "lebt in einer gemütlichen, futuristischen
Blase". Rossetto will Steuern und die Regierung abschaffen. Er träumt
von externen Gehirnen und der Neuverdrahtung des Nervensystems. Nach überlangen
Lehr- und Wanderjahren hat der Wired-Gründer einen kräftigen
Haß auf die "Mainstream-Medien" und ihre Bosse kultiviert. Er will
das Medium neu erfinden, den Menschen und die ganze Welt dazu. Kritiker
zeiht der Macho gern der Lüge, der Dummheit und des Rassismus.
Die Nase hoch, die Reihen fest geschlossen. Doch Rossetto (48), einst
Star der Branche, hat seine Siegeraura eingebüßt. Im Sommer
kündigte er seinen Rückzug als Chief Executive Officer von Wired
Ventures an Ð nach einem Nachfolger wird bis heute gesucht. Medienguru
Nicholas Negroponte, Investor und Starkolumnist bei Wired, beruhigte die
Anhänger mit dem Hinweis, Kumpel Rossetto werde dafür "ambitionierter
denn je" als Wired-Herausgeber wirken. Letzte Woche aber gab er auch diesen
Job auf. Stattdessen ist er jetzt nur noch ein ominöser "editorial
director". Sein karger Kommentar: "Ich habe mich befördert."
In den Anfängen der digitalen Revolution, meint Cyberpunk-Autor
Bruce Sterling, "mußte jeder Wired lesen, weil keiner wußte,
was los war". Doch nun sei die Phase der provisorischen Regierung angebrochen
- und Wired kein Muß mehr.
Und die Konkurrenz wird schärfer: Zeitschriften wie "Fast Company",
"Yahoo Internet Life", "Times Digital" und "Forbes ASAP" wildern im Wired-Revier.
Ohne Zweifel ist es schwer, die Welt allmonatlich neu zu erfinden Ð
und dabei stets das Flair des totalenDurchblicks zu wahren. Das Zentralorgan
der virtuellen Elite scheint an Puste zu verlieren, die Beiträge wirken
zunehmend erratisch. Wired habe "die nerds" Ð die Computercracks Ð
"cool gemacht", meint Chefredakteur Kelly. Jetzt sei für das Blatt
eine "postcoole Periode" angebrochen.
©
Schimmeck |