TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Oktober 2001
 

Stalin und die Softies

Seit einen guten Jahrzehnt experimentiert Deutschlands PDS, die Erbin der Sozialistischen Einheitspartei, mit einem Comeback in neuen, demokratischen Gewändern. Mit dem Erfolg wächst die Spannung in der Partei: Die Führung strebt zur Teilhabe an der Macht. Viele Gefolgsleute aber wollen vor allem sozialistisch sauber bleiben.

A
m Sonntagmorgen um 11 ist die Welt im “Sportcasino Eiche” fast in Ordnung. Gewiss, der Berliner Himmel ist grau, die Luft nicht gerade warm. Aber hier, an der Allendestraße in Berlin-Köpenick, gibt Bratwurst und Bier für die Tapferen der PDS. Auf dem Rasen wird Fußball gespielt, auf dem Wasser hinter den Bäumen knattern ein paar Motorboote vorbei. An einem kleinen Stand wird Erbauungsliteratur verkauft – Ost-Witze, “Trabi”-Kalender, auch “Gespräche mit Margot Honecker”. Und jetzt kommt Gregor Gysi.

Gysi, das ist Hoffnung und Zweifel zugleich. Zehn Jahre war der freche Anwalt das Gesicht der Partei. Das Symbol für den Versuch, aus der SED, der grauen, gruseligen, geistig bankrotten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ein viel kleineres und feineres Häuflein linker Demokraten zu machen. Ihr Gysi, der fröhliche, eloquente Genussmensch, wurde zum Liebling der Talkshows, zum überall gern gesehen Salonsozialisten. Zum Brückenkopf der PDS in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Jetzt will er Bürgermeister der Hauptstadt Berlin werden. Sein Slogan: “Take it Gysi.”

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Er ist ein Artist. Gysi darf sagen, was die Skeptiker denken, und wirkt am Ende doch immer loyal. Er ist der Libero, der die Partei wie an einem langen Gummiband umkreist, der feindliches Terrain erkundet – aber stets zurückkehrt. Er sieht sich selbst als Avantgarde, als einer, der dieser Partei “ein paar Schritte vorauseilt” und “ein bisschen die Zukunft der PDS widerspiegelt”. Das macht seinen Charme aus. Nicht nur PDSler mögen seine Schärfe, seinen koketten Spott, seine Witze. Vielen strammen Genossen ist dies zugleich sehr unheimlich. Sie wittern Verrat.

Jetzt nimmt der kleine Gysi Platz auf einem Plastikstuhl, fürsorglich mit einer Wolldecke gepolstert. Er steckt sich eine Marlboro ins Gesicht, blickt in die Gesichter von rund 200 Getreuen: Senioren überwiegend, brave Kleinbürger Ost, auch ein paar Jugendliche. Die beiden Bodyguards stehen entspannt am Rand. Ihr Objekt spult sein Programm ab, redet vom Anschlag auf das World Trade Center, der , oh ja, die “Stimmung verändert hat”. Auch in Berlin redet man derzeit sehr viel über Sicherheit, weniger über all die Sklerosen und Skandale des alten West-Establishments, die jetzt endlich zu Neuwahlen geführt haben. Auch wir, sagt der wendige Gysi, “wollen mehr Polizei auf den Straßen”.

Sein Entsetzen ist ehrlich. Er will da nichts relativieren, keine Abstriche machen, kein Platz für Schadenfreude lassen. Sogleich aber spürt man seinen Zweifel, ob das alle Genossen auch so sehen. Ob sie seine Nachdenklichkeit teilen – oder lieber schnell in alte Reflexe gegen den Hauptfeind USA zurückfallen. “Gregor, glaubst du, dass die USA Beweise gegen bin Laden haben?”, fragt ein sichtlich irritierter älterer Herr, der es wohl gewohnt ist, die weite Welt als Verschwörung der CIA zu sehen. Das weiß Gysi nicht, hat da auch Zweifel. Aber “der bin Laden”, sagt er brüsk, sei fraglos “ein schlimmer Finger” .

Es ist so leicht, dem Klischee zu erliegen. Man kennt sie ja, die deutschen Altkommunisten – graue Herren in grauen Freizeitjacken, die durch dickrandige Brillen in diese neue fremde Welt blicken. Wenn sie den Mund aufmachen, hört man, wie gut sie gelernt haben, nur nichts Falsches zu sagen, Fallen aufzuspüren, ideologische Fettnäpfchen zu umschleichen, stets auf der sicheren Seite zu sein. Ihre Sprache ist oft weitschweifig, überkorrekt und öde. Selten stellen sie wirklich offene Fragen. Meist dienen die Worte nur als Beweise ihrer ewig korrekten Weltsicht.

Die PDS ist alt. Die Senioren sind in der Überzahl, im Bundesland Brandenburg etwa sind 54 Prozent der PDS-Mitglieder über 56 Jahre alt (aber nur 10 Prozent der SPD-Mitglieder). Die Leserschaft der Parteipostille “Neues Deutschland”, einst das Hauptorgan der DDR, ist im Durchschnitt 61. In der Zeitung inserieren auffällig viele Bestattungsunternehmer.

Von den einst 2,3 Millionen SED-Mitgliedern im Arbeiter- und Bauernstaat sind gerade noch drei Prozent übriggeblieben. Darunter viele, die ein Stück verlorenes Leben retten, das Andenken an 40 Jahre DDR pflegen wollen. Die können zugleich kleinlaut und großspurig. Gewiss, wir sind gescheitert, sagen sie, aber es war nicht alles nur schlecht. Sie wollen keine Bilanz ziehen, bei der unterm Strich eine Null steht. Sie klammern sich an Traditionen, die PDS ist ihre linke Trachtengruppe.

Solch ein gebrochenes Ego ist in den fünf Bundesländern der ehemaligen DDR, im Westen gern spöttisch “Neufünfland” genannt, weit verbreitet, auch außerhalb der PDS. Die Entwurzelung, das Gefühl, überrannt worden zu sein, ist überall sichtbar. Anfangs wählten die “Ossis”, angelockt von der D-Mark, neuen Autos und den vielen anderen Verheißungen der bunten Warenwelt, den CDU-Kanzler Helmut Kohl. Dann setzen Ernüchterung und Enttäuschung ein. Der versprochene “Aufschwung Ost”, Kohls “blühende Landschaften” zeigten sich wenig farbenfroh: Die alten Industrien brachen weg, die Arbeitslosigkeit stieg und stieg. Sie ist noch heute gut doppelt so hoch wie im Westen der Bundesrepublik.

Kaum einer wünscht die alte DDR zurück. Und doch glauben heute viele, einen schlechten Tausch gemacht zu haben und Deutsche zweiter Klasse zu sein. Studien haben festgestellt, dass im deutschen Osten gut zwei Drittel aller Bürger unzufrieden (streichen: mit dem System) sind. Viele zweifeln nicht nur an der politischen Praxis, sondern am ganzen System. PDS-Wähler, sagt die Forschung, seien vor allem die “Wendeopfer” der Ost-Oberschicht, die einen enormen Prestigeverlust erlitten hat – die abgeräumte Elite. Die wurde, anders als in anderen Ländern Osteuropas, gar nicht mehr gebraucht. Weil die politischen, kulturellen und ökonomischen Eliten des Westens blitzschnell alle Schaltstellen besetzt hatten.

Der Aufstieg der PDS ging mit der Frustration Hand in Hand. Bei den ersten Bundestagswahlen 1990 kam sie nur auf 2,4 Prozent der Stimmen. Acht Jahre später, als Gerhard Schröder Kanzler wurde, hatte sich ihr Anteil mehr als verdoppelt. Nur rund 20000 Mitglieder konnte die Partei neu gewinnen. Die Ausdehnung gen Westen war ein Reinfall, dort blieb sie Sammelbecken für allerlei Sektierer und Verlierer, mit miserablen Ergebnissen. Im Osten aber kletterte sie unaufhörlich nach oben, auf 20 und mehr Prozent der Stimmen. Die PDS konnte sich zum Sprachrohr ostdeutscher Interessen und Sichtweisen aufbauen. Längst hat sich in allen fünf Ost-Bundesländern ein Drei-Parteiensystem aus CDU, SPD und PDS etabliert. In Thüringen und Sachsen ist die PDS stärker als die SPD. Die Grünen dagegen, die sich hier ganz auf jene kleine Schar von Bürgerrechtlern gestützt hatten, die den Anstoß zur “Wende” 1989 gaben, sind von der östlichen Landkarte fast völlig verschwunden.

Am Anfang war die Westpolitik wütend über die PDS. Vor allem die Christdemokraten fuhren eine aggressiven Konfrontationskurs, inszenierten einen kleinen kalten Krieg. Im Wahlkampf 1994 schimpften sie, als der Kanzler Kohl zu verlieren drohte, auf die “Folterknechte des alten Systems” und klebten große Plakate gegen die “roten Socken”. Das mobilisierte im Westen den alten Antikommunismus, aber auch die Trotzreaktion im Osten. Die PDS legte zu.

Auch die SPD sperrte sich anfangs gegen jede Zusammenarbeit mit der Nachfolgepartei der SED, mit der die Sozialdemokraten der DDR einst zwangsvereinigt worden waren. Doch bald mussten die Sozialdemokraten erkennen, dass ihr die PDS im Osten als einzige Option blieb, wenn sie nicht mit der CDU koalieren wollten. Zunächst ließ sich in Sachsen-Anhalt eine rot-grüne Koalition von der PDS tolerieren. Dann wurde in Mecklenburg-Vorpommern 1998 die erste SPD-PDS-Regierung eines deutschen Bundeslandes gebildet, mit drei PDS-Ministern. In Brandenburg wiederum entschloss sich SPD ein Jahr später, doch lieber mit der CDU zusammen zu gehen. Man hatte Angst vor zu vielen Experimenten.

Doch nun kommt Berlin und hier ist alles anders. Berlin ist Deutschlands einzige Schnittstelle der politischen Kulturen Ost und West. Die geteilte Stadt war zugleich Vorposten des Westens im kommunistischen Block und Kapitale der DDR. Nun ist sie eins. Aber doch nicht wirklich.

Wer mit der S-Bahn über die alte Grenze gleitet, tut sich schwer, noch Spuren der Mauer zu entdecken, sieht nur Unkraut und viel frischen Beton: Die wuchtigen Bauten des neuen Hauptstadtquartiers. Die lokale Politik aber ist noch immer scharf getrennt: Westberlin spiegelt westdeutsche Verhältnisse, das übliche CDU-SPD-Mix mit einer guten Portion grün-alternativ, die PDS steht hier bei für Westverhältnisse schon üppigen 4,2 Prozent. Ost-Berlin dagegen spielt DDR extrem: Bei den letzten Wahlen 1999 kam die PDS auf fast 40 Prozent der Stimmen, ist mit weiten Abstand stärkste Partei. Seither fühlen sich PDS-Strategen schon “auf dem Weg zur linken Volkspartei”.

Bislang haben die Westparteien die neue alte Hauptstadt Berlin durch eine große CDU-SPD-Koalition kontrollieren können. Doch das provinzielle Politpersonal hat die Metropole in die Krise schlittern lassen, hat Schulden von über 80 Milliarden Mark aufgetürmt. Die Große Koalition ist zerbrochen. Die SPD verjagte, mit Hilfe der Grünen und der PDS, das alte CDU-Stadtoberhaupt; am 21. Oktober stehen Neuwahlen an. SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit hält sich alle Optionen offen. Auch ein Bündnis mit den Postkommunisten. Er sagt: “Wir bauen kein Tabu mehr auf.”

Schon die bloße Möglichkeit einer solchen Konstellation aktiviert alte Reflexe. Die CDU wettert heftig gegen ein “Kamikazebündnis mit den Kommunisten”. Ex-Kanzler Kohl, der sonst eher versteckt gehalten wird, stilisierte die Berliner Abstimmung zur “Schicksalswahl” hoch. “Wir wollen nicht”, rief Kohl unlängst auf einer CDU-Kundgebung, “dass die Täter jener Zeit, auch nicht ihre ideologischen Nachkommen, wieder eine Chance in Deutschland bekommen.”

Aber auch die PDS selbst leidet kurioserweise an ihrem Erfolg. Speziell in Berlin, wo sich das ganze Panoptikum des Vereins zeigt. Neben der großen Schar der ergrauten, oft spießigen Altkommunisten und Besserwisser finden sich in der Berliner PDS auch enttäuschte Grüne, gezähmte Punker und Hausbesetzer. Und eine ganze Reihe jüngerer Macher wie die Berliner PDS-Chefin Petra Pau, Roland Claus, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, oder Helmut Holter, PDS-Vizeministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Das sind die letzten Kader der SED, die beim Zusammenbruch der SED vor elf Jahren noch in Wartestellung waren. Sie geben heute den pragmatischen Ton an – schon weil, wie ein Kenner sagt, “sich die Alten nicht mehr trauen”.

Es ist gewaltige Gratwanderung. Die PDS-Pragmatiker wollen die Partei regierungsfähig machen, die Altlasten ihrer Geschichte abräumen. Petra Pau und die neue Parteichefin Chefin Gabi Zimmer etwa verfassten unlängst eine Erklärung, in der sie sich für die von der SED vor 55 Jahren rabiat betriebenen Zwangsvereinigung von KPD und SPD entschuldigten. Zum 40. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August ließ die Partei sogar Kränze niederlegen. “Seit dem Frühjahr 2001”, analysiert der Politologe Gero Neugebauer, “versucht die neue Führung weitere Voraussetzungen für die Politikfähigkeit der PDS zu erreichen. Historische Belastungen sollen abgebaut und durch eine neue Programminitiative orthodoxe Positionen der Gesellschafts- und Politikanalyse delegitimiert und bestenfalls nur als für die praktische Politik irrelevante Erinnerungsposten erhalten bleiben.”

Vielen schmeckt das nicht. Das große Misstrauen gegen die Führung vereint die orthodoxen Senioren mit der jungen Linken. In den Leserbriefspalten des “Neuen Deutschland” grummelt es, auf Parteitagen kommt es schon seit Jahren regelmäßig zum Showdown zwischen Reformern und Rechtgläubigen. Als Gregor Gysi und der Parteichef Lothar Bisky – das geschickte Duo, das die PDS durch die 90er Jahre lenkte – im letzten Jahr abtraten, war viel Verbitterung im Spiel. Die Herren ließen durchblicken, dass sie die ewigen Grabenkämpfe satt hatten.

Andere sagten es ganz offen, der Parteireformer Dietmar Keller etwa, der den parteiinternen Scharfmachern vorhielt, “die Perestroika bis heute verschlafen” zu haben. “Die Masse der Mitglieder”, meint Keller, “hat nicht darüber nachgedacht, was ihre persönliche Verantwortung war.” Sollte die PDS eines Tages untergehen, so glaubt manch ernüchterter Reformer, werde vor allem ein Verdienst in den Geschichtsbüchern vermerkt werden: Dass es die Partei geschafft hat, den Militär-, Polizei und Spitzelapparat der DDR ohne Blutvergießen in die Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Vielleicht sieht man die PDS dann als Blauhelm-Truppe, die half, den deutschen Osten zu entwaffnen. Das wären, sagt ein Mitstreiter, “sonst lauter heimatlose Harakiris gewesen”.

Derzeit aber ist die Partei springlebendig, auch wenn sie sich das Leben gern zu Hölle macht. Viel Energie geht in die Entlarvung des jeweils anderen Lagers. Die Aufklärer klagen: Die DDR-Veteranen wollten einfach nur dabeibleiben, sich am Ofen der Partei wärmen und mit Nostalgie auf die Vergangenheit zurückblicken. Genauso wie den jungen Revoluzzern aus dem Westen ginge es ihnen vor allem um lupenreine Ideologie. Je blasser die Erinnerung an die DDR werde, desto mehr breche altes Denken wieder durch. Die Partei müsse sich entscheiden, sagt der PDS-Geschäftsführer Dietmar Bartsch: “Will sie in dieser Gesellschaft wirken oder nicht?”

Die Altstalinisten und ihre jungen revolutionären Freunde aber wittern überall Verrat. Es stößt ihnen sauer auf, wenn politische Softies wie Gysi freche Sprüche über die DDR-Vergangenheit machen: “Das schlechtere Auto fahren und dann auch noch die Schnauze halten müssen – das war als Mischung einfach zu viel verlangt.” Die SPD-PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern ist den Vertretern der “Systemopposition” ein Dorn im Auge, weil dort im politischen Nahkampf mit der Alltagsrealität sozialistische Prinzipien en gros verraten werden. Für eine mögliche Koalition mit der SPD im bankrotten Berlin schwant ihnen noch schlimmeres. Jede künftige Berliner Regierung wird tausend hässliche Kompromisse machen und die öffentlichen Mittel überall brutal streichen müssen.

Auch die aktuelle Debatte um eine deutsche Beteiligung am US-“Krieg” gegen den Terrorismus schmerzt die PDS. Sie ist streng gegen jeden militärischen Einsatz, hat auch gegen eine deutsche Soldaten beim Nato-Entwaffnungseinsatz in Mazedonien gestimmt. Einige PDS-Politiker waren sogar gegen die Rettungsmaßnahmen der Bundeswehr bei der letzten Oder-Flut.

Berlin-Marzahn ist die wohl berühmteste Betonsiedlung der DDR, hier wählen bald 50 Prozent PDS. Im “Restaurant Refugium”, Teil des Seniorenzentrums, hat die Partei mitten im Wahlkampf zur kritischen Selbstanalyse geladen. Das Publikum an den mit Plastikblümchen geschmückten Tischen starrt auf den Ehrengast des Abends, die chice Sahra Wagenknecht, Sprecherin der “Kommunistischen Plattform” in der PDS. Die junge Frau trägt ein elegant tailliertes graues Kostüm, ihr schwarzes Haar ist im Rosa-Luxemburg-Look hinten aufgetürmt.

Frau Wagenknecht, Mitglied des Parteivorstands, hat sich als rhetorische Kalaschnikow der parteiinternen Opposition einen Namen gemacht. Sie gilt als fesche Galionsfigur der grauen Gesinnungskommissare, findet, dass die DDR “nicht undemokratischer war als die Bundesrepublik”. Wenn sich die PDS kritisch mit ihrer Geschichte beschäftigt, beschimpft sie dies als “Teil einer Anpassungsstrategie”. In der Debatte um ein neues Parteiprogramm geißelte sie “grundlegende Veränderungen der Kapitalismuseinschätzung” , warnte sorgenvoll vor “politisch veränderten Bewertungen sowohl der DDR als auch der Oktoberrevolution”.

Die Stimmung ist muffelig. Dass der wieselige Gysi nun für die PDS in Berlin antritt, erfüllt viele in der Runde mit Skepsis. “Wir machen dann da einfach mit und verlieren Zustimmung beim Bürger”, grault sich ein bärtiger Herr. Ein Senior, der sich im Internet alles genau durchgelesen hat, mahnt die Genossen, doch mit der “Nachmacherei von bürgerlichem Parlamentarismus” Schluss zu machen, wieder “mehr dialektisch zu denken” und “das Profitstreben” als Wurzel alles Übels zu benennen. Sahra Wagenknecht nickt. Als Opposition, sagt sie, “kann man möglicherweise viel, viel mehr verändern”.

Hier spürt man einen tiefsitzenden Widerwillen, sich auf das System einzulassen. Die Angst, die politische Reinheit zu verlieren, ist mit Händen greifbar. Eine PDS, die mitregiert, das ahnen hier alle, müsste ihre großen Sprüche wegstecken, könnte an ihren inneren Widersprüchen schnell zerbrechen. Eine PDS an der Macht wird entzaubert werden. Das wollen sie verhindern.

Doch da erhebt eine ältere Dame, ganz in der Ecke, die Stimme. Sie sei nur als Gast hier, sagt sie, wolle aber doch mal anmerken, dass das Vertrauen in die Partei sowieso schwinde. Die PDS müsse wieder auf die Menschen zugehen, sie informieren und begeistern. “Denn auch Nostalgie”, schließt sie mahnend, “hat mal ein Ende.”

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