TOM SCHIMMECKs ARCHIV
1992

Geister, Gräber und Geschäfte

Zu Besuch bei südafrikanischen Sangomas

....Selbst der Techniker, der nach Stunden aus Durban angebraust kam, wußte nicht recht, wie ihm geschah. Ächzend hing er unter der Motorhaube und fluchte: "Es ist wie verhext"...

Z
u dumm, daß wir den Sangoma von 25 auf 15 Rand heruntergehandelt hatten. Er hatte den kleinen Lohn für seine Führerdienste sogar akzeptiert, schließlich sind 15 südafrikanische Rand für Zululand ein recht ordentliches Honorar. Der junge Mann schenkte uns ein eigentümlich sanftes Lächeln, stieg aus, schlug die Wagentür zu und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Fünf Minuten später ging nichts mehr. Wir hatten uns in einem ländlichen Einkaufszentrum ein kaltes Getränk genehmigt und wollten weiterfahren, aber das Auto streikte. Alle Blinklichter zuckten wie verrückt; die Alarmanlage stieß ein so wütendes Geheul aus, daß die shoppenden Zulus schon sehr mißtrauisch guckten. Die Zündung tat keinen Mucks. Alle Geheimknöpfchen nutzen nichts. Selbst der Techniker der Leihwagenfirma, der nach Stunden aus Durban angebraust kam, wußte nicht recht, wie ihm geschah. Ächzend hing er unter der Motorhaube und fluchte: "Es ist wie verhext."

Am Morgen hatten wir Inkhose Shane, den jungen Sangoma, zufällig an einer Weggabelung erspäht. Er saß etwas abseits unter einem Baum, kaute an einem Halm und harrte der ungewissen Ankunft eines Busses. Die einfache Kette aus bunten Perlen, quer über der Brust getragen, signalisierte, daß es sich um einen Lehrling handelte. In seine Haare waren, wie es Brauch ist, Perlen eingeflochten. Ansonsten trug er Jeans und ein ein T-Shirt, über das er ein buntes Tuch geworfen hatte.

Der junge Lehrling der spirituellen Heilkunst war gerne bereit, uns den Weg zu seinem Meister zu weisen. Gemeinsam kurvten wir ein paar Kilometer auf der staubigen Sandstraße durch die stillen grünen Täler. Dann ließ er uns anhalten und führte uns einen Abhang herunter zu einer kleinen Ansammlung runder Lehmhütten. Die Kinder dort schienen etwas verwirrt über Inkhoses weiße Begleiter, aber der Sangoma, sein Lehrmeister, strahlte uns an. Ein Lachen voller Zähne, so breit und entspannt, das es jedem Rastafari-Star zur Ehre gereichte.

Durch die Öffnung einer Hütte waren auf dem hartgestampften, sauber gefegten Boden einige Behälter mit Kräutern zu erkennen. Fünf junge Schülerinnen standen scheu und schweigend etwas abseits zwischen den Hütten. Die Novizinnen, gehüllt in orange Tücher, die schwarzen Gesichter mit Lehm geweißt, mußten sich stets ein wenig gebeugt halten und Richtung Erde schauen. Sie trugen noch keine Perlen im Haar, stattdessen ein Häubchen aus Hühnerfedern. Gideon Madhonsa, der Meister, hatte wie jeder vollausgebildete Sangoma zwei Perlenschnüre gekreuzt über dem Oberkörper. Der kräftige Mann machte nicht viele Worte, amüsierte sich nur und ließ uns neugierige Dummköpfe ein wenig spionieren, bevor wir uns verabschiedeten und unseren Führer zu seinem Ziel brachten, jenem Einkaufszentrum, in dem wir, Strafe des Geizes, strandeten.

Der Sangoma ist eine Art spiritueller Diagnostiker, zuständig für alle Pannen und Probleme des Lebens. Ob die Großmutter fiebert oder der Mais nicht wächst, ob die Kuh nicht frißt oder einen böse Träume plagen - der Sangoma muß herausfinden, was die Ursache ist. Daneben gibt es Inyangas, Experten in der Heilkraft der Kräuter, und allerlei Spezialisten: Regenmmacher, Kriegsdoktoren, selbst "Fachärzte" für Herz, Nieren, Atemwege und andere Problemzonen.

Etliche tausend solcher Heiler praktizieren in Südafrika, nicht nur im abgelegenen Zululand, sondern auch in den riesigen schwarzen Townships am Rand der großen Städte. Selbst in die Innenstädte sind sie vorgedrungen, haben ihre kleinen Geschäfte, in denen alle Arten von "Muthi", Medizin, verkauft wird. Über 80 Prozent der schwarzen Bevölkerung, darunter Akdemiker, Fußballspieler und Popstars, vertrauen, oft parallel zum westlichen Gesundheitswesen, auf die eine oder andere Variante traditioneller Medizin. Auch einige Inder und Weiße bevorzugen Sangomas. Die haben damit kein Problem: "Die Ahnen", sagen sie, "sind keine Rassisten."

Auch bei "Mthethwa", dem berühmtesten Sangoma im Zululand, waren schon weiße Minister zu Besuch. Premierminister General Jan Smuts kam am Ende des zweiten Weltkrieges, 1950 schaute sogar der spätere Premier Hendrik F. Verwoerd vorbei, der Erfinder der Apartheid-Politik, damals noch "Minister für Bantu-Angelegenheiten". Wie haben sich die aufgeführt? "Ich mochte sie", antwortet der alte Herr und macht eine Kunstpause. "Aber sie müssen wissen", fügt weise lächelnd hinzu: "Ich mag jeden." Schon sein Ururgroßvater war ein Heiler. Mthethwa begann 1935, "da war ich ein kleiner Junge". Im Zentrum der Anlage liegt das Grab des Zulu-König Cetshwayo, eine historische Größe aus dem Stamm der Mthethwas.

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Im Kraal herrscht schon morgens um sechs emsiges Treiben. Die ersten Patienten harren in der frühen Sonne ihrer Audienz. Assistenten laufen geschäftig hin und her, sie tragen als Kopfschmuck eine mit Luft geblähte Ziegenblase, ihre Gesichter sind mit hellem Lehm geweißt. Einige stampfen in einem offenen Raum die Mixturen zusammen, in großen Metalltrögen, aus denen ein intensiver Duft aufsteigt. Ein blühendes Unternehmen: Es gibt einen Laden und eine Apotheke. Auch Mthethwas sieben Frauen und etliche Kinder arbeiten mit. Der Hausherr hat eine Vorliebe für Schilder. Sein Praxisschild zeigt Speer und Schild, daneben zwei Schlangen. "Weck deine Füsse und komm", heißt es auf einem anderen. Der Auforderung wird viel gefolgt: Die Patienten kommen aus Malawi, Mosambik, von überall her herangeschafft mit Mthethwas eigenen Bussen und Sammeltaxis. "Zonkesizwe" nennen sie ihn respektvoll, Helfer aller Nationen.

Die Behandlung selbst ist strikte Privatsache zwischen Therapeut und Patient. Aber Mthethwa ist bereit, uns bei einer Schlangenmeditation zuschauen zu lassen, schreitet, nur mit Fellen bekleidet, über sein Anwesen und läßt sich schließlich seufzend an einem schattigen Plätzchen nieder. Er hält eine Schlange in der Hand, eine Puffotter. "Die benutze ich für Medizin", erläutert der Sangoma, schiebt ihr ein Stöckchen ins Maul und läßt mit einem starken Grashalm die glibberigen, fast weißen Giftzähne hervortreten. "Die Schlange hat viel Macht", sagt Mthethwa, ihr Gift wird gekocht und dann verabreicht. Aber Schlangen sind auch metaphysische Wesen, wer mit ihnen auskommt, hat große Macht, einen direkten Draht ins Jenseits. Oder, wie Mthethwa es ausdrückt: "Sie sind den Amadlozi nah."

Amadlozi - das Zulu-Wort für die Geister der verstorbenen Ahnen. Der Begriff variiert bei den verschiedenen Völkern, das Konzept bleibt bis hoch in den Norden Afrikas das gleiche: Der sprituelle Kontakt zu ihrem Gott findet über die Geister der Verstorbenen statt. Der Glaube kennt hier keine Monumente, keine Tempel oder Kirchen. Entscheidend ist das Wechselspiel zwischen Ahnen und lebenden Nachkommen, zwischen Diesseits und Jenseits. Die Amadlozi haben einige Autorität, sie sind die Botschafter der Familie oder des Stammes in der Welt der Geister, die Mittler zwischen Mensch und Gott. Ihnen werden Opfergaben gebracht, meist Kühe oder Ziegen - nach dem Tod und zu besonderen Gelegenheiten, etwa, wenn die zu verheiratende Tochter zur Familie des künftigen Gatten gebracht wird. Auch in Not, bei Seuchen, Dürre oder wenn die Heuschrecken einfallen, wird für die Ahnen geschlachtet. Ziel ist stets, die Geister freundlich zu stimmen oder sie zu besänftigen, wenn einer ihrer lebenden Verwandten einen Fehler begangen hat.

Da sitzt der Senior, in seine Felle gehüllt, betrachtet gemächlich den Kopf der Schlange, scheint mit ihr zu plaudern und steckt sie sich schließlich in den Mund. Es sieht gespenstisch aus und vielleicht auch ein wenig albern. Das faltige, greise Gesicht, und zwischen den Lippen quillt der zappelnde Schlangenleib hervor. So verharrt er einige Minuten, beruhigt das nervöse Geschöpf und fördert den zischenlden Kopf schließlich befriedigt wieder zutage. Es ist wohl wie in Europa: Der Patient braucht zur Genesung auch eine gute Show.

Sangoma wird man nicht durch schlichte Ausbildung, Sangoma sein ist das Resultat eines Selbstreinigungsprozesses, zu dem man durch unruhige Geister der Ahnen gezwungen wurde. Bei Frauen soll das Gefühl zunächst ähnlich wie bei einer Schwangerschaft sein: schnell wechselnde Stimmungen und Vorlieben und Geschmacksveränderungen. Andere Quellen berichten von Brust- und Kopfschmerzen, auch von besonders wirren Träumen, in denen oft lang verstorbene Vorfahren auftauchen, oder Schlangen und Fledermäuse. Später folgt Rastlosigkeit, gepaart mit Depression. Nachts brechen die Befallenen zuweilen in merkwürdige Tänze aus, springen singend auf und ab.

Haben alle Heilungsversuche versagt, ist es hohe Zeit, einen erfahrenen Sangoma zu konsultieren, um zu klären, was vor sich geht. Nur er hat die Kompetenz, solche Erscheinungen zu beurteilen, zu entscheiden, ob der Patient von Geistern der Vorfahren in Besitz genommen wurde. Es gibt verschiedene Riten, in Erfahrung zu bringen, ob ein Ahnengeist im Spiel ist und, wenn ja, welcher. Sind alle Versuche der Reinigung erfolglos geblieben, nimmt der Sangoma den Patienten als Lehrling bei sich auf. Novizen müssen allmorgendlich einen Trank einnehmen und sich sodann erbrechen. Sie verbringen eine Menge Zeit mit dem Studium der Natur, wandern scheinbar ziellos herum. Sie lernen spezielle Tänze und machen eine Reihe meditativer Übungen, die viel Disziplin erfordern.

Ist die Ausbildung abgeschlossen, wird ein Festakt organisiert, um die Ahnen zu bitten, ihr neues Kommunikationsmedium anzunehmen und zu lenken. Der neue Sangoma muß eine Ziege schlachten und von deren Blut trinken. Der Tutor bespritzt seinen Lehrling hernach mit Ziegengalle. Das Fell des Opfertieres trägt der neue Sangoma später als Zeichen seines Amtes in zwei Streifen über den Schultern. Nun wird auch das Haar geflochten und mit Perlen und der leeren, aufgeblasenen Gallenblase verziert. Die Heimkehr des Sangoma feiert die Familie mit einem eigenen Akt, zu dem auch die künftigen Kollegen aus der Umgebung kommen. Bier wird gebraut, ein Ochse geschlachtet und die ganze Nacht getanzt, wobei die Feiernden röhren und fauchen wie Bestien im Busch.

Zweifel aber sind erlaubt. "Ich glaube irgendwie daran, aber ich mag es nicht. Sobald man daran glaubt. leidet man mehr. Und ich habe ein bißchen Angst davor", sagt Thoko, ein junges Mädchen. Sie arbeitet in Kwabhekithunga, ein Dorf, in dem traditionelles Leben kommerziell nachspielt wird - eine Touristenattraktion, wo sich Japaner, Amerikaner und Deutsche auf Schnappschußentfernung an die Schwarzen herantrauen. Doch heute ist ein flauer Tag. Wir sitzen in einer der großen, geflochtenen Hütten, umringt von pickenden Hühnern, und können in Ruhe sprechen.

Thoko ist, wie die meisten Angestellten hier. hellwach und recht gebildet. Und wie die meisten betrachtet sie die Traditionen mit sehr gemischten Gefühlen. Einerseits bevorzugt sie Doktoren in weißen Kitteln, anderseits fürchtet sie sich vor dunklen Kräften, vor Hexen und den Abathakathi - den Hexenmeistern. Die wissen um alle gefährlichen Gifte und können von Deinen Feinden gemietet werden, um Dirzu schaden oder Dich umzubringen. Sie machen sich Schlangen und Affen, Wölfe und Vögel zum Komplizen, verstecken sich im Blitz, und können manch schrecklichen Fluch über ihre Opfer bringen. Wirklich traditionelle Zulus legen sogar großen Wert darauf, den Ort geheimzuhalten, an dem sie ihre Notdurft verrichten. Denn die Hexenmeister können auch mit den menschlichen Extrementen böses Unheil anrichten. Ein Grund für den energischen Widerstand gegen Toiletten in manchen Gegenden.

Etliche von Thokos Kollegen gehen zum Sangoma, einige streuen auch Muthi um ihren Wohnort, um böse Geister abzuhalten. Doch benutzen sie dafür, Tribut an die Moderne, keine alten Mixturen, sondern "Jeyes Fluid", ein Putzmittel so brutal wie Domestos. Eine Freundin von ihr war einmal Sangoma-Lehrling, erzählt Thoko: "Die durfte kein Nachthemd tragen und nach dem Waschen durfte sie kein Parfum nehmen, nur Vaseline." Auch keine Kirchenlieder singen. "Es ist sehr streng. Und wenn ihre Mutter sie besuchte, durften sie nicht miteinander reden, nur über eine Mittelsperson." Als die Freundin fast fertig war, ist sie weggerannt. "Die haben sie gejagt und ihr mit schlimmen Dingen gedroht." Aber sie wurde gesund, eine ganz normale Person. Bis sie letztes Jahr zu einer Beerdigung nach Stanger fuhr, mitten in der Zeremonie zu Boden fiel und wie in Trance Dinge redete, die keiner verstand. Sie ist dann zu einer christlichen Sekte gegangen, um die bösen Geister in den Griff zu bekommen.

Auch Thokos Mutter ist neuerdings Sangoma. Lange war sie aktive Christin - bis sie krank wurde und zu einem traditionellen Heiler ging. Jeden morgen um vier, vor Sonnenaufgang, mußte sie Muthi trinken, um sich zu übergeben und so zu reinigen. Und ihr Gesicht verhüllte sie mit rotem Lehm. Heute trägt ihre Mutter eine Ziegenblase, Hahnenfedern und weiße und rote Perlen im Haar. Sie ist einsam. Selbst wenn jemand in der Nachbarschaft gestorben ist, bleibt die Mutter zuhause. Denn die Nachbarn müßten sie mit der Schlachtung einer Ziege reinigen. "Bevor die extra eine Ziege kaufen, geht sie lieber nicht hin." 

Ihre Mutter gilt Thoko als abschreckendstes Beispiel. "Ich finde es nicht gut, daß sie das tut. Ich glaube nicht daran." Thoko war selbst einmal ziemlich krank, ging, nachdem ihr ein Arzt nicht helfen konnte, zu "einer Frau, die betet" - eine andere Form traditioneller Heilkunst aus der afrikanischen Abspaltung der christlichen Kirchen. Die Heilerin nahm eine Flasche reinen Wassers, schaute hinein und riet ihr, nach Hause zu gehen und etwas für ihren verstorbenen Vater zu tun. Sie tat es nicht: "Ich dachte, wenn ich das tue, muß ich mehr und mehr Dinge machen und werde irgendwann selber Sangoma."

Das ist so ziemlich das unattraktivste, was sie sich als Zulu-Teenager vorstellen kann: "Die Sangomas haben nie Schuhe an, sie bedecken ihre Gesichter immer mit diesem weißen oder roten Zeug und tragen irgendwelche Häute. Du bist nie schick wie eine Lady als Sangoma. Und du lebst immer in einer Hütte mit lauter Medizin. Und nichts ist einfach."

Diese Zerissenheit zwischen rationaler Ablehnung und instinktivem Glauben macht die traditionelle Heilkunst so faszinierend. Und die Neuzeit ist auch auf Seiten der Heiler nicht unbemerkt geblieben. Manch Sangoma arbeitet mit weißen Fachärzten oder Krankenhäusern reibungslos zusammen. Einige sind überzeugte Christen oder Moslems. Ein Inyanga in Natal, Sosobala Esau Mbatha, ist so reich, daß er Hausbesuche bei wichtigen Patienten mit dem eigenen, sechssitzigen Flugzeug abstatten kann. Selbst bei den politischen Feden zwischen Inkatha und dem ANC werden Sangomas eingesetzt. Sie müssen die Kämpfer mutig und kugelsicher machen.

In Zululands abgelegenem Tal der tausend Hügel sollen fortgebildete Sangomas und Inyangas Träger der medizinischen Grundversorgung werden. Angestrebt ist eine produktive Koexistenz zwischen westlicher, "weißer" Medizin und der traditionellen. Experten sind längst davon überzeugt, daß dies zum Nutzen der Patienten ist, solange keine Scharlatane ihr Handwerk treiben - auf beiden Seiten. Auch weiße Psychiater rufen inzwischen Sangomas zu Hilfe, weil sie ihre schwarzen Patienten nicht wirklich verstehen.

Für Thema Mhlongo etwa, ein Inyanga in Eshowe, ist es immer schon selbstverständlich gewesen, einen Patienten zum weißen Arzt zu schicken, wenn er selbst nicht weiter weiß. Sein Kräuterladen liegt zusammen mit anderen in einer kleinen Gasse, einer Ladenzeile an der Hauptstraße. Dort stapeln sich Kisten voller Kräuter und Blätter, Säcke mit Rinden, frische Wurzeln hängen gebündelt von der Decke und die Regale stehen voll mit anderen Ingredienzien - Pudern und Fetten. Krokodilfett zum Beispiel hilft bei bestimmten Brusterkrankungen. Sammler wandern bis nach Swaziland und Mozambik, um begehrte Kräuter zu beschaffen. Am häufigsten, sagt Mhlongo, kämen die Leute mit Rücken- und Kopfschmerzen zu ihm.

"Es war für mich das logistische zu lernen", ein Job wie andere, findet der würdevolle, zarte Mann. In der Lehrzeit gab es 120 Rand die Woche, was seiner völlig mittellosen Familie daheim in Ixopo sehr zupaß kam. Der Beruf ist nicht auf Schwarze beschränkt, auch viele Inder, selbst einige Weiße sind als Inyanga tätig. Auch die Inyangas streben eine "Reinigung" des Körpers an - Patienten müssen Seewasser trinken oder Einläufe über sich ergehen lassen, die einst mit dem Horn eines Oxen vorangetrieben wurden. Muthi wird auch durch Einritzen der Haut und anschließendes Einreiben des Mittels appliziert. Es gibt bestimmte Punkte, ähnlich wie bei der Akupunktur.

Kaum hat der westliche Betrachter endlich beschlossen, daß er es hier mit einer bunten Variante der Hömöopathe zu tun hat, wird er mit Gruselgeschichten von rituellen Morden konfrontiert. Aus den südafrikanischen "Homelands" Transkei und Venda, aber auch aus Lesotho, Botswana, Zambia und Zaire hört wird immer wieder von Menschenopfern berichtet. Besonders berüchtigt ist das kleine Königreich Swaziland, wo einst sogar eine spezielle Polizeieinheit für das Phänomen existierte. Anfang 1992 ereignete sich dort eine besonders brutale Mordserie: Unter den Opfern ein sieben Monate altes Baby, ein Busfahrer und eine 68jährige Frau. Die Leichen wurden verstümmelt aufgefunden, die Mörder hatten einzelne Körperteile für ihr Muthi mitgenommen.

Tragisch war auch der Fall des David Tshetla aus Lebowa im Nordosten Südafrikas, der seiner zweijährigen Stieftocher im November 1989 die Kehle durchschnitt. Er habe es sich nicht leisten können, ein Opfertier zu erwerben, um sich von einer Krankheit zu befreien. "Ich habe gehofft, den Körper des Kindes als Muthi verwenden zu können", sagte er vor Gericht. Solche Täter wurden in Südafrika schon zum Tode verurteilt.

Die traditionellen Strafen sind nicht milder. Wer in Verdacht stand, Hexenmeister zu sein, mußte früher Tests mit glühendem Eisen bestehen, Gift schlucken, oder wurde mit kochendem Wasser verbrüht. Die Zulus warfen jene, die der schwarzen Magie überführt wurden, gefessselt den Krokodilen vor. Noch heute werden Hexen erschossen oder gesteinigt, was modernen Afrikanern nicht weniger unheimlich ist als den ahnungslosen Europäern. (Die christliche Kirche Europas, daran darf an dieser Stelle erinnert werden, bevorzugte die Verbrennung von Hexen bei lebendigem Leibe.)

Fataler noch für den Ruf der traditionellen Medizin sind die modernen Scharlatane, die das schnelle Geschäft mit Elend und Aberglauben machen. Kleine Angestellte in Krankenhäusern etwa, die Schwerbehinderten eine wunderbare Heilung gegen erkleckliches Honorar versprechen. Die Zeitungen sind voll mit Anzeigen, die über Telefon für hohe Gebühren Rat und Hilfe versprechen: "Hör mich die Knochen werfen und Deine Zukunft vorausagen!", "Call Muthi-line!", "Call a Sangoma!".

Echte Sangomas sind entsetzt von solcger Beutelschneiderei. "Am Telefon kann man doch nichts sagen", empört sich Khululiwe Mhkize, eine 27jährige, die auf dem Johannesburger Mai-Mai-Market arbeitet. Das ist ein Markt vor allem für schwarze Wanderarbeiter, unter der Zufahrt zur Stadtautobahn M2 gelegen; eine afrikanische Oase im Dickicht der Großstadt. Der schwere süßliche Duft des Bantu-Biers weht von der Trinkhalle herüber. In engen Ladenzeilen residieren Friseure und Möbeltischler, Schmuckhändler und - das mit Abstand das größte Gewerbe - die Heiler. Vor dem Shop Nummer 1 hängen Wurzeln und Kräuter an langen Drähten, Rinderhufe, ein getrockneter Affe, allerlei Schlangen- und Eidechsenhäute, eine Kinder-Schaufensterpuppe, umwickelt mit einigen Perlenketten, ein Tierschädel. Nebenan werden die Böden alter Cola-Dosen zu Fußketten verarbeitet, die beim Tanzen ein intensiv rasselndes Geräusch machen.

"Ich werfe die Knochen und verordne dann Medizin gegen die Schmerzen, oder etwas zum Reinigen, zum Erbrechen", sagt Puleng, eine Sangoma-Frau, die den Laden zusammen mit ihrem Mann und einem Neffen betreibt. Auf der winzigen Ladentheke steht eine schwere alte Rigistrierkasse. An der Wand dahinter hängt ein Zertifikat, die staatliche Anerkenung des Gewerbes, fast versteckt zwischen den vielen Dosen und Gläsern, gefüllt mit Muthi-Ingredienzien: Baumrinde, Kräutern, Federn, Pulvern. Wie entsteht daraus Medizin?. Es wird gemixt, gekocht und in der Sonne getrocknet. Aber wir findet sich die richtige Mischung? "Die Amadlozi erzählen uns, was zu tun ist," versichert Puleng, "Wenn du schläfst, sagen sie dir, was für wen die richtige Behandlung ist."

Die ersten Patienten kommen morgens um sieben, andere tauchen mitten in der Nacht auf. Die meisten Kunden kommen nicht mehr wegen körperlicher Schmerzen, sondern weil sie Unglück abwenden, ihre Pechsträne beenden wollen. Die Stadt-Sangomas behandeln heute Arbeitslosigkeit, Neid und Streit in der Ehe, mit der Familie oder den Nachbarn - ein Spiegel der wirtschaftlichen und sozialen Krise im Land.

Es ist nicht leicht, die Traditionen in den dichtgedrängten Township der Städte zu bewahren. Doch viele Sangomas wohnen zmindest zeitweise hier, weil die Kundschaft hier ist. Das Ehepaar Dlamini etwa, das in einem Hinterzimmer mit Wellblech-Dach im Township Kathlehong praktiziert. Es ist eine sehr bescheidenen Unterkunft, gerade genug Raum für zwei grob gezimmerte Holzbänke, ein Bett, einen klapprigen Tisch. Auf dem Steinboden stehen ein Paraffin-Kocher, Putzmittel und Essen neben ein paar Muthi-Mixturen. In der Ecke, eingerollt in eine Bastmatte, die diagnostische Grundaustattung: Knochen, große Muscheln und ein inzimba-Fell.

Frau Dlamini hat rote und weiße Perlen im Haar. Ihrem Gatten dagegen ist seine Profession kaum anzusehen, allenfalls durch die kleinen Kettchen um Hand- und Fußgelenke zu erahnen. Er sieht sehr durchschnittlich aus, trägt ein weißes Hemd und eine graue Hose, raucht "Gold Dollar". "Manchmal braucht man einen guten Arzt, manchmal einen Sangoma," meint Herr Dlamini, der mit dem örtlichen Krankenhaus zusammenarbeitet. Was ist der Unterschied? "Wir erhalten meist Erfolgshonorar", erklärt der Sangoma. "Weiße Doktoren bekommen ihr Geld gerne vorher".


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