TOM SCHIMMECKs ARCHIV
September 2001

Aufstand des Missmuts

Ein rabiater Richter stürzt Hamburgs rot-grüne Regierung
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is Sonntag abend galt die Freie und Hansestadt Hamburg als liberale Hafenmetropole weltoffener Kaufleute. Doch dann wurde die Wahlergebnisse im norddeutschen Stadtstaat bekannt: 165118 Hanseaten hatten für den Amtsrichter Ronald Barnabas Schill und seine “Partei Rechtsstaatlicher Offensive” gestimmt. Das waren 19,4 Prozent. Ein Erdrutsch.

Noch nie konnte eine neue Partei in der Bundesrepublik aus dem Stand ein solches Ergebnis erzielen. Nun will der Sieger das Innen- und Justizressort der Stadt übernehmen. Der schrille Schill hatte im Wahlkampf versprochen, die Kriminalität in der Stadt nach seinem Sieg binnen hundert Tagen zu halbieren. Delinquente Jugendliche sollen wieder in geschlossene Heime verfrachtet, straffällig gewordene Ausländer ruckzuck ausgewiesen werden. “Ganze Stadteile”, tönte er, “werden von marodierenden Jugendbanden terrorisiert”. Nun sei Schluss mit den “Träumereien vom milden, liberalen Strafrecht”.

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Nicht nur die SPD, seit 44 Jahren an der Macht, ist schockiert. Zwar konnten die Sozialdemokraten mit 36,5 Prozent sogar einen leichten Zugewinn verbuchen. Doch von alten Traumergebnissen – bis zu 59 Prozent – sind sie weit entfernt. Ihr grüner Koalitionspartner ist weggebrochen, auf 8,5 Prozent gefallen (1997: 13,9%). Für Rotgrün – die Mischung, die das Land regiert – reicht es in Hamburg nicht mehr.

Auch die CDU, mit lausigen 26,2 Prozent ins Ziel gegangen, sieht den Schill-Schock mit gemischten Gefühlen. Nun bietet sich ihr die heiß ersehnte Chance, einen Bürgermeister zu installieren – wenn Schill und die FDP mitmachen. Kandidat Ole von Beust will einen “stabilen Wechsel” orchestrieren. Doch der Sprengkörper Schill gilt auch vielen Christdemokraten als unberechenbar. Die CDU hat wenig Interesse daran, noch immer von der Parteispendenaffäre um Altkanzler Helmut Kohl gebeutelt, sich vor den Bundestagswahlen im kommenden Jahr durch ein Hamburger Abenteuer weiter zu desavouieren.

Der Neupolitiker Schill, 42, gelangte als Strafrichter mit drakonischen Urteilen zu lokaler Berühmtheit. Die hanseatische Boulevardpresse nannte ihn, nicht ohne Begeisterung, “Richter Gnadenlos”. Manchmal lockte er Reporter selbst zu seinen Sitzungen – mit dem Versprechen, es werde etwas zu schreiben geben. 1996 etwa verurteilte er eine psychisch kranke Frau, die zehn Autos zerkratzt hatte, zu zweieinhalb Jahren Haft.

Sein Lärm fand ein Echo, er fand Spaß an flotten Sprüchen. Abseits der Richterbank fing er an, in Presse und TV gegen die liberale Justiz zu wettern, besonders gegen Jugendrichter, die “ideologisch verblendet” stets Milde walten ließen. Hamburg, schimpfte Schill, “hat ein Herz für Verbrecher."

Der braungebrannte Segler kam an, wurde zum gern zitierten Stichwortgeber, profilierte sich als eine Art Pocket-Haider. Bald luden ihn CDU-Ortsvereine zu Vorträgen ein. Bis der CDU-Landeschef flehentlich bat, der “konkurrierenden politischen Kraft” doch bitte keine Plattform mehr zu bieten.

Die Kollegen hielten ihn anfangs für ein psychiatrisches Problem. Der Streit eskalierte, im Mai 1999 kam es zum Eklat. Strafrichter Schill hatte im Gericht zwei Zuhörern aus dem anarchisch geprägten Umfeld eines Stadtteilzentrums namens “Rote Flora” wegen “ungebührlichenVerhaltens” drei Tage Ordnungshaft aufgebrummt – sie hatten bei der Urteilsverkündung nicht aufrecht gestanden. Über die sofort eingelegte Beschwerde soll er erst nach 52 Stunden entschieden haben – 20 Stunden vor Ablauf der Haftzeit also. Wegen Rechtsbeugung wurde er zu 12000 Mark Geldstrafe verurteilt, doch kurz vor der Wahl hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies es zur Neuverhandlung zurück. Schill, gegen seinen Willen zur Ziviljustiz versetzt, triumphierte.

Viel Fanpost hatte den frechen Richter inspiriert, eine Partei zu gründen, eine “CSU der Nordens”. Es gab Pannen. Der Magnet Schill zog peinliche Typen an. Doch Querulanten wurden schnell kaltgestellt. Die Kaufleute, Kneipiers, Polizisten und Hausfrauen, die er jetzt um sich schart, sind ihm derart treu ergeben, dass Schill auch eine nationale Karriere nicht mehr ausschließt. Vorsorglich hat er sich bereits zum Bundesvorsitzenden seiner bislang nur in Hamburg aktiven Truppe ausrufen lassen.

Die SPD gab sich defensiv, die CDU eher soft. Schill, kein Philosoph, dafür dynamischer Demagoge, hatte Instinkt genug, die Nische zu wittern. Er führte einen Angst-Wahlkampf zum Solothema Innere Sicherheit, wetterte so lange gegen “dealende Schwarzafrikaner” und “marodierende Jugendbanden”, bis sich die behüteten Hamburger fast wie in der Bronx fühlten. Er wolle “energisch zugreifen” und die Haftanstalten füllen, dröhnte der Richter. Seine Provokationen polarisierten die Stadt. Dumpfer Mißmut griff um sich.

Vor allem Ältere, zeigen die Wahlanalysen, wählten Schill en masse – 28,7 Prozent der über 60-jährigen Männer. Er mobilisierte den gesamten rechten Rand, viele Nichtwähler, nahm auch CDU und SPD Stimmen weg. Er fand in der Unterschicht Zuspruch, bei adretten Kleinbürgern und, eher aus taktischen Gründen, auch beim feineren Geldadel. Schill war der Motor einer Wechselstimmung, gegen die der biedere SPD-Bürgermeister Ortwin Runde nicht anzukämpfen wußte.

Schon in zwei Wochen will die CDU den “Bürgerblock” mit FDP und Schill beisammen haben, am Dienstag nahm man bereits Tuchfühlung auf. Die Bundespartei hat grünes Licht gegeben. Wenn auch die FDP, die in Berlin eher auf SPD-Kanzler Gerhard Schröder schielt, mittut, ist das heikle Hamburger Bündnis perfekt. Dann, frohlockt Schill, könne er den “Worten endlich Taten folgen lassen”.

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