TOM SCHIMMECKs ARCHIV
6. Juli 2009

Das Fleisch gewordene Weiter-So

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier kämpft eine aussichtslos scheinende Schlacht.

von Tom Schimmeck

Routiniert ruht der Kandidat am Rednerpult, untermalt nüchterne Worte mit sparsamer Gestik: "Blick nach vorn richten", "realistisch bleiben", "kommunale Infrastruktur". Auch ein Frank-Walter Steinmeier kann nicht mehr zählen, wie er oft er so dagestanden hat, als Außenminister, als Vizechef der deutschen SPD. Nun als Kanzlerkandidat. Wiewohl er ein relativer Neuling ist, vor vier Jahren aus den Hinterzimmern der Macht nach vorn geschubst. Es war der letzte Hackentrick des scheidenden Kanzlers und Machtspielers Gerhard Schröder. Er nannte seinen fleißigen Manager gern „mein Mach-mal“.

Ortstermin Potsdam, eine bürgerlich-preußische Oase südwestlich Berlins. In S-Bahn-Nähe, doch hübsch entrückt von den Härten der Großstadt. Eigentlich Osten, aber höfisch. Boote auf viel Wasser, Parks, schmucke Villen haben Berlins Reiche und Mächtige angelockt – Talkmaster, Modemacher, Verlegerinnen. Steinmeier betritt den Saal der Industrie- und Handelskammer mit einem freundlich-knappen "Hallo". Fast ein Heimspiel. Der Genosse gilt als Wirtschaftsfreund. "Wir werden die Mitte nicht preisgeben", verspricht Steinmeier. Die versammelte Wirtschaft scheint zufrieden.

Der Ex-Bürokrat hat Brandenburg zum Polit-Sprungbrett erkoren, seinen Zweitwohnsitz im Wahlkreis 60, Kirchmöser/Plaue, aufgeschlagen, in erträglicher Entfernung zum Erstsitz im feiner Berlin-Zehlendorf. Das 19. Mitglied des SPD-Ortsvereins Kirchmöser wird bei der Wahl im September 2009 sein erstes Mandat als Bundestagsabgeordneter erobern. Eine sichere Sache: Zum einen, weil die SPD hier beim letzten Mal 15 Prozentpunkte vor der Konkurrenz lag. Zum anderen, weil der Ostwestfale Steinmeier im Mai zum Brandenburger Spitzenkandidaten gewählt wurde, mit 98 Prozent. "Minutenlanger Applaus und stehende Ovationen", meldet der "Rote Adler", das Parteiorgan, „zeugten von einer großartigen Stimmung im ganz in rot gehaltenen Saal des Potsdamer Hans-Otto-Theaters."

Mit dem Titel "Neustart der Sozialen Marktwirtschaft" ist die Rede heute recht großspurig angekündigt. Der Redner und dessen Schreiber haben die Überschrift wohl nie erfahren. Steinmeier lässt ein paar charmante Floskeln über die Attraktionen Brandenburgs fallen, plaudert visionsfrei aus dem politischen Arbeitsalltag, spult eine Art Zwischenbericht ab. Er streift die Abwrackprämie, den Fall Opel, die Kurzarbeit, die Bankenkrise natürlich; bekennt in einer kurzen Beinahe-Aufwallung, wie "unendlich wütend" es ihn mache, wenn sich die Geldhäuser jetzt Kapital mit einem politisch subventionierten Zins von einem Prozent bei der Europäischen Zentralbank EZB abholten, nur um es zu weit besseren Konditionen in Ungarn zu parken. Anstatt der klammen Wirtschaft zu helfen. "Das kann einen wirklich rasend machen", sagt Steinmeier, immer noch völlig ruhig. Die Unternehmer nicken heftig. Auch sie haben kleine Gefühle. Doch kein "Neustart" nirgends.

Ja, er ist ein guter Sozialdemokrat. Die Emotionen fest im Griff. Vernünftig, berechenbar, bodenständig, ein Mann des Machbaren. Jovial klopft er Schultern, schüttelt Hände, hört auch nach einem 16-Stunden-Tag noch zu und lacht mit. Ein netter Kerl. Ein fleißiger Handwerker aus der Reparaturkolonne des Kapitalismus. Wie ein Stützpfeiler steht der beleibte Mann da, viereckig, der Kastenkopf bedeckt von glattem, weißem Haar. Kein Beau, aber Vertrauen erweckend, freundlich. Sein anatomisches Kunststück: Er kann mit herabgezogenen Mundwinkeln lächeln. Das Fleisch gewordene Weiter-So.

Sein größter Makel: Dass er durch und durch ein Geschöpf des letzten SPD-Kanzlers ist, der "Mann hinter Schröder", wie es früher hieß. Schon die Herkunft so ähnlich: Der Knabe Schröder, aus armem Hause, kickte beim TuS Talle, "Acker" nannten sie ihn. Steinmeier alias "Prickel", Spross eines Tischlers und einer Hausfrau, spielte, nur wenige Kilometer entfernt, beim TuS 08 Brakelsiek. Ein Dorf im Lipper Land, nahe Detmold, mit einer Tankstelle, einer Ampel. Der kleine Unterschied: Schröder trat als Mittelstürmer an, Steinmeier im defensiven Mittelfeld. Er war „immer ehrgeizig, äußerst zuverlässig, sehr beliebt, wollte immer gewinnen und nie im Mittelpunkt stehen“, verriet sein Jugendtrainer angereisten Reportern.

Schröder röhrte, Steinmeier rackerte. Anno 1991 holte Jurist Schröder den Jura-Doktor Steinmeier von der Universität Gießen in seine niedersächsische Staatskanzlei. Bald war Steinmeier Leiter des Apparats. In Berlin entpuppte sich der "Chef BK", der Kopf des deutschen Kanzleramtes, als Deutschlands wichtigster Politmanager, schnell, still und effizient. Nebenbei war er qua Amt auch Oberaufseher der Geheimdienste. Was ihm noch immer zu schaffen macht. Mehrfach musste Steinmeier einem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen, der zu ergründen suchte, warum die damals rot-grüne Regierung so aufreizend wenig für die Freilassung von Bürgern unternahm, die unschuldig in die Fänge des US-amerikanischen Anti-Terror-Krieges geraten waren und in Guantanamo und Afghanistan festsaßen.

Er galt als wichtigste Säule Schröderscher Macht, als Mit-Erfinder des SPD-Kehrtschwenks mit dem Label "Agenda 2010", der den Aufstieg der Konkurrenz von der "Linkspartei" enorm beförderte, die Glaubwürdigkeit der SPD ruinierte und ihr soziales Restgewissen bis heute plagt. Warum trotzdem Steinmeier? So furchtbar viele Alternativen drängten sich nicht auf. Sein Haupt-Rivale, der biedere Pfälzer Ministerpräsident Kurt Beck, stürzte im vergangenen Sommer. Auch Steinmeiers Freund Matthias Platzeck, Landesfürst in Brandenburg, hatte sich als Parteichef versucht, 2006 dann erschöpft das Handtuch geworfen. Der eloquente Finanzminister Peer Steinbrück wiederum, noch ein Bruder im Geiste – Genossen nennen das Duo liebevoll „die Stones" – gilt selbst hartgesottenen Sozis als zu schroff und rechts. Obendrein verlor er 2005 Nordrhein-Westfalen, die wichtigste rote Machtbastion, an die CDU. Kein Ruhmesblatt.

Versunken im Restmüll der wigenen Rhetorik, eingebunden in die große Koalition unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel, sahen die Parteistrategen in Steinmeier den Retter: Als Außenminister bei den Deutschen hochpopulär wie alle seine Amtsvorgänger. Beim Wahlparteitag Mitte Juni suchte er sein blasses Verwalter-Image abzustreifen, den Aktenstaub fortzublasen. Er brüllte sogar ein bisschen, reckte die Fäuste empor. „Das Ding ist offen“, rief er den verzagten Genossen Mut zu. Sie jubelten dankbar. Und doch wirkte er wie his master‘s voice, ein Schröder-Imitat – mit viel, viel weniger Testosteron.

Seine persönliche Popularität setzt sich nicht in politische Zugkraft um. So quadratisch-praktisch-gut sich Steinmeier auch geriert, den fehlenden ideellen Kern kann er nicht ersetzen. Die Crux der SPD ist seit zehn Jahren unverändert. Im Juni 1999 kam, eine Art Putsch von oben, das Schröder-Blair-Papier auf einen leer gefegten Ideen-Markt. Es reduzierte den roten Gleichheitsgedanken auf ein vages Versprechen von Chancengleichheit, schlug neoliberale Töne an, ohne ein eigenes Ideal zu formulieren. Die Botschaft fehlt bis heute. Die Anhänger laufen davon. "Sie haben sich selbst deartikuliert", meint der Politologe Franz Walter. "Eine eigene sozialdemokratische Sprache und Vorstellung existiert nicht mehr."

Der Schock für die Strategen kam bei der Europawahl Anfang Juni. Eingelullt von der eigenen Propaganda hatten Spitzensozis und ihre Spin-Doktoren fest auf einen relativen Erfolg gesetzt. Hatten sich ihre Minister nicht tapfer gezeigt? Sie hofften auf eine psychologische Wende, wollten die Wiederaufstiegs-Story von den tollen Krisenmanagern erzählen. "Alles, was dieses Land in der Krise zusammengehalten hat, kam von uns", bilanzierte Steinmeier.

Frank-Walter Steinmeier

1956 Geburt in Detmold
1976 SPD-Eintritt
1976-1982 Jura- und Politikstudium in Gießen
1986-1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter Uni Gießen
1991-1998 Niedersächsische Staatskanzlei, ab 1996 deren Leiter
1998-1999 Staatssekretär im Bundeskanzleramt
1999-2005 Chef des Bundeskanzleramts
Seit 2005 Außenminister

Tatsächlich errang die SPD lausige 20,8 Prozent – ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl seit 1949. Noch grausamer die absoluten Zahlen: Von 62,2 Millionen wahlberechtigten Deutschen konnten sich nur mehr 5,47 Millionen aufraffen, der SPD ihr Kreuz zu schenken. „Im Parteivorstand waren die meisten ernstlich überrascht“, berichtet fassungslos ein Mitglied des Gremiums. "Dann schlafe ich halt noch etwas weniger", brummte Steinmeier intern trotzig. Nach außen rief er: „Wir halten fest an unserer politischen Linie.“ Welche Linie?

Immer trister geraten die Umfragewerte. Im TV wird Steinmeier jetzt hart rangenommen. Schon verhöhnt „Bild“ ihn als „eingeschlafene Schildkröte“. Da müsse man den "Rücken durchdrücken", kontert der Kandidat. Und lächelt. Lächelt. Lächelt!


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