TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Oktober 2008
 

„Die Modernisierung Bayerns
frisst ihre Väter"

Der Politologe Franz Walter über die Erosion der CSU

Von Tom Schimmeck

Herr Walter, die Bayern stehen Kopf. Sie stellen immer noch den Papst, sammeln sich aber nicht mehr einhellig hinter der CSU. Was ist geschehen?

Franz Walter: Die Erosion hat schon früher begonnen. Man hat es nur kaum bemerkt. Schon vor zehn Jahren lag die CSU bei den Bundestagswahlen bei 47,7 Prozent und damit erstmals seit den 50ern unter der 50-Prozent-Marke. Selbst 2003, als Edmund Stoiber eine Zweidrittel-Mehrheit im Bayerischen Parlament errang, ging die CSU in absoluten Zahlen um 200 000 Stimmen zurück. Ihr Glück: Von den Anhängern der Gegner waren noch erheblich mehr zuhause geblieben.

Die Volkspartei CSU verstand es stets, sich konservativ, industriefreundlich, zugleich aber auch sozial zu geben, schuf den Slogan von „Laptop und Lederhose“. Funktioniert das nicht mehr?

Walter: Man könnte banal und doch treffend sagen: Sie wird Opfer ihres Erfolges. Die Modernisierung Bayerns frisst ihre Väter und Mütter auf. Die CSU hat das Land modernisiert, prosperierende Regionen geschaffen und gute Schulen und Universitäten aufgebaut. Es sind aus dem Norden, Westen und Osten Deutschland viele Arbeitnehmer zugezogen. Die sind nicht in diese altbayerische Vereinskultur integriert, stehen abseits. Ein katholisches Kirchweih-Fest hat für einen Ingenieur aus Friesland nicht diesen Zauber. Und: In den Dörfern wächst eine neue Generation heran, die Abitur hat und studiert. Mit der Modernisierung wächst die Vielfalt an Optionen.

Worin unterscheidet sich die CSU noch von der großen Schwester CDU?

Walter: Sie ist noch immer stärker. Die CDU kommt in den restlichen Ländern im Schnitt nur mehr auf etwa 28 Prozent. Uns im Norden erschien die CSU als rechtskonservativ. In Bayern aber hat sie stets auch das Soziale betont, sich nie einfach als bürgerliche Partei gesehen. Die CSU dachte in Balancen, versuchte, möglichst weit zu integrieren. Schon CSU-Chef Franz Josef Strauß erklärte gern: Man dürfe nicht immer nur in den Etagen verkehren, wo die Cocktails geschlürft werden, sondern müssen auch dort sein, wo der Leberkäse gegessen wird.

Franz-Josef Strauß starb vor 20 Jahren. Ein Vulkan, ein Volkstribun, ein Freund der Diktatoren. Plötzlich scheinen viele Christsoziale Sehnsucht nach ihm zu haben.

Walter: Ich empfinde das überhaupt nicht so. Das ist der Kult der runden Gedenktage. Die CSU liegt total im Clinch. Ich sehe da wenig Wehmut. Eigentlich ist es eher überraschend, wie rasant diese Strauß-Nostalgie zu Ende ging. Die Tochter ist jetzt nicht einmal mehr in den Landtag gekommen. Und der Sohn spricht in einem Magazin offen über seine Depressionen.

Strauß einstiger Aktentaschenträger Edmund Stoiber war eher ein Technokrat, konnte die Allmacht der CSU aber gleichwohl bewahren. Hängt der Erfolg am Chef? Oder doch eher der Verhältnissen?

Walter: Selbst der tollste Akteur kann in widrigen Verhältnissen wenig tun. Zudem war unter Stoiber längst nicht mehr alles in Ordnung. Der CSU-Höhepunkt 2003 war vor allem der Frustration über Gerhard Schröders „Agenda 2010“ geschuldet.

Sehen sie Stoiber als Anfang vom Ende?

Walter: Stoiber hat ähnlich kraftmeierisch wie einst Strauß den Anspruch vertreten, die deutsche Politik sanieren zu können. Als er dann 2005 nach Berlin sollte, zog er unter fadenscheinigsten Ausreden geradezu den Schwanz ein. Das ist gerade in der gehätschelten bayerische Mannsbild-Kultur kaum wieder gut zu machen. Stoiber stand für strebsamen Überehrgeiz. Er war der Kleinbürger, der seine Ängstlichkeit kompensieren wollte, indem er als der entscheidende Reformer in die Annalen der Republik eingeht.

In Bayern immerhin ließ er sich als Reformer feiern.

Walter: Die Wahl 2003 hat er maßlos uminterpretiert in ein Plebiszit für sich, den großen Edmund aus den kleinen Verhältnissen. Plötzlich gab es in Bayern eine Vielzahl nie zu Ende gedachter, vollkommen unausgegorener Reformen. Eine fast schon bonapartistische Politik. Im Kontrast zum klassischen Stil der CSU, der eher osmotisch ist und immer auch darauf achtet, was unten gedacht wird.

Und das geht auch Bayern irgendwann zu weit?

Walter: Eine Partei, die seit mehr als einem halben Jahrhundert dominant regiert, wird natürlich arrogant und selbstherrlich. Wenn ich vor der Franz-Seidel-Stiftung der CSU in München über die Zukunft der Partei sprach, habe ich oft in spöttisch grinsende, überhebliche Gesichter geblickt. Diese Leute waren sicher, dass sie auf alles geachtet hatten und es die nächsten 50 Jahre ähnlich weitergehen würde. Irgendwann ist man es leid.

Auch die CSU-Vorstöße in Berlin wirkten jetzt eher kurios.

Walter: In den letzten Monaten hatte man oft den Eindruck, dass es nur Inszenierungen sind, Taschenspielertricks. Man spielte sich auf der Berliner Bühne als sozial auf. Nichts geht den Bürgern mehr auf den Keks.

Zuletzt hat das Duo Beckstein-Huber die CSU gelenkt. Braucht die dampfende Bierseele der Partei eher einen starken Mann?

Walter: Das ist kein bayerisches Spezifikum. Dieses Duo wirkte auch auf einem Westfalen wie mich abschreckend, blass, bieder und uneloquent. Auch Bayern wünschen sich ein bisschen Glanz.

Was bedeutet das bayerische Schwächeln für Kanzlerin Angela Merkel, die im kommenden Jahr wiedergewählt werden möchte?

Walter: Ganz einfach: Die CDU liegt in allen anderen  Ländern seit 1998 unter 30 Prozent. Will sie überhaupt noch über 35, gar über 40 Prozent kommen, wie es eigentlich ihr Anspruch als Volkspartei ist, braucht sie die Riesenergebnisse der CSU. Hat sie die nicht, ist sie den Sozialdemokraten bald auf den Fersen.

In den Keller?

Walter: Ja. Da ist ja das eigentlich Bemerkenswerte: Seit zwölf Monaten chaotisiert, kränkelt und kriselt die Sozialdemokratie nahezu Woche für Woche. Aber die CDU profitiert nicht davon.

Und nun versagt der bayerische Rettungsring?

Walter: Früher war man bei der CDU froh, wenn diese CSU eine kleine Delle hatte. Weil die Bayern immer davon lebten, dass sie ein bisschen eigen sind und stören. Frau Merkel konnte in den letzten zwei Jahren ganz souverän regieren, weil die CSU still war. Will sie jedoch weiterregieren, muss sie eigentlich daran interessiert sein, dass die CSU wieder nervt.

Der Politologe Prof. Dr. Franz Walter ist einer der führender Parteienforscher Deutschlands. Er lehrt an der Universität Göttingen. Sein neuestes Buch "Baustelle Deutschland - Politik ohne Lagerbindung“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen.


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