TOM SCHIMMECKs ARCHIV
(2013)

Der kultivierte Killer

Seit 33 Jahren klammert sich Robert Mugabe, 89, an die Macht in Simbabwe. Sein Rezept: Kleine Belohnungen, rohe Gewalt, dazu stets die stramme Heldenpose. Zwei ehemalige Getreuen erzählen.

„Ich mag ihn sehr, den Robert, sagt der Alte. „Ein erstklassiger Intellektueller, ein guter Debattierer, sehr eloquent, sehr eindrucksvoll.“ Der Alte hat auch schon anders geredet. Hat dem lieben Robert Betrug und Verrat nachgesagt, ihn etlicher politischer Morde bezichtigt. Würde Roberts Partei morgen in freien Wahlen antreten, sagt er jetzt, „würde sie verschwinden. Sie führt nicht mehr, zehrt allein von ihrer Geschichte. Sie ist nur noch Robert Mugabe.“

Er redet mal so, mal so. Ein Fall von politischer Schizophrenie. Zu eng verwoben ist das Leben des Enos Nkala, 81, mit dem des noch älteren Robert Mugabe, 88. Von Anfang an: „Ich habe ihn damals geholt“, sagt Nkala. „Robert war ja Lehrer in Ghana. Ein Niemand. Ich habe ihn eingeladen, zu uns zu kommen.“ Sein Körper wirkt gebrechlich. Der Geist aber funkelt frech und fliegt ein halbes Jahrhundert zurück: Zum Beginn des langen Befreiungskampfes. Guerillakommandeur Nkala saß später zehn Jahre im rhodesischen Knast. Mit Robert. „Wir haben diskutiert und Fußball gespielt.“

In seiner hübschen Villa in Woodville, am Stadtrand von Bulawayo, schwelgt Nkala in Erinnerungen. An der Wand hängt ein gerahmtes Foto: Simbabwes erstes Kabinett Mugabe nach der Unabhängigkeit, 1980. Der Alte fährt mit dem Zeigefinger über die Gesichter, Namen murmelnd. Er stoppt in der ersten Reihe rechts. „Hier bin ich!“

Welch ein Fossil. Enos Nkala war 30 Jahre Schatzmeister der Partei. Er hat Mugabe als Finanz-, Innen-, Verteidigungsminister gedient. Sein ehemaliges Haus in Harare soll bald Museum werden, ein Ausflugsziel für Touristen. Weil dort, in seinem Wohnzimmer, vor 50 Jahren die Regierungspartei ZANU gegründet wurde, Mugabes ewige Machtbasis. „Wir waren eine Splittergruppe. Und ich war der Anführer“, sagt er strahlend. „Wir wollten eine Militärmaschinerie. Wir waren die jungen Radikalen.“

So vielversprechend begann das freie Simbabwe. Robert Gabriel Mugabe, Jesuitenzögling und Jurist, stets elegant und wortgewandt, imponierte als Befreier seines Volkes, als Stimme des neuen Afrikas und der blockfreien Welt. Drei Jahrzehnte und ein paar Blutbäder später bleibt ein Greis, der sich, mal raffiniert, mal schlicht brutal, an die Macht klammert. Mugabe weiß: Nur der Machterhalt schützt vor der Anklagebank. Nur als Präsident kann er sein Volk und die Welt weiter erpressen.

„Wir respektieren einander. Wir haben niemals gestritten“, beteuert der Alte, zerrissen zwischen Loyalität und Ekel. „Wir machen Witze über Dinge, über die man eigentlich keine Witze macht.“ Er kann auch anders: „Wir haben eine Kreatur geschaffen, die dieses Land zerstört hat“, klagte Nkala vor ein paar Jahren. Nur um sich hernach wieder mit Mugabe zu zeigen. Aber das ist womöglich typisch Simbabwe. Alle spielen hier ihr Spiel. Wer geschickt vorgeht, überlebt.

Geldkonfetti

Weniger Staatsdiener, weniger Spitzel, mehr Opposition, mehr Nachdenklichkeit. Bulawayo, Simbabwes zweitgrößte Stadt im Südwesten, wirkt entspannter als die Hauptstadt Harare. In der City, Ende des 19. Jahrhunderts am Reißbrett entstanden, von den Kolonialisten gern „Dear old Bullies“ genannt, weht noch ein Resthauch Britannia. Obwohl längst niemand mehr die am Straßenrand rostenden Parkuhren füttert.

Der Bulawayo Club, Ecke 8th Avenue und Fort Street, wäre, mit seinen Leuchtern, Ledersesseln, Geweihen und Reiterbildern, die perfekte koloniale Filmkulisse. Einst trafen sich in den dunkel getäfelten Sälen die 2000 herrschenden Herren der Stadt. Pokale schimmern in Vitrinen. Von den Wänden starren knorrige Farmer und schneidige Militärs, Lords, Dukes, Captains, Majors und mannigfach die Queen. Heute nehmen hier nur noch ein paar Übriggebliebene ihren Gin-Tonic. Auf den leeren Postfächern liegt ein 15 Jahre alter „Economist“. Man ist nicht unbedingt auf dem neusten Stand.

Walter, weiß, alt und bitter, sitzt einsam beim Lunch. Früher betrieb er nebenan eine kleine Investmentfirma. Bis zu jenem Tag, da die Hyperinflation ihren Höhepunkt erreichte. Auf dem größten Geldschein stand: 100 Billionen. Da schleppte Walter seine Simbabwe-Dollar in dicken Bündeln aus dem Büro auf die Straße. „Trillionen! Und nichts mehr wert. Nur noch Papier.“ Er warf sie in die Luft. Geldkonfetti. „Das war's.“ Seither hat Simbabwe keine eigene Währung mehr. Man zahlt mit US-Dollar. Wahlweise mit südafrikanischen Rand.

Das war 2008, im Jahr des Schreckens. Die Wirtschaft kollabierte, eine Cholera-Epidemie tötete Tausende. Die politische Terror von oben trieb in diesem Wahljahr einem blutigen Höhepunkt entgegen. Ruchlos bedrohten Mugabe, seine Günstlinge und Generäle die Opposition, hetzten Polizisten, Soldaten und Schlägertrupps auf alles, was nach Widerspruch roch. Hunderte starben, Tausende wurden verprügelt. Trotzdem siegte bei der Parlamentswahl die MDC, die Bewegung für demokratischen Wandel. Präsidentschaftsanwärter und MDC-Führer Morgan Tsvangirai verfehlte nur knapp die absolute Mehrheit. Die Stichwahl sagte er ab. Es hatte zu viele Tote gegeben.

Die Hyperinflation ist Geschichte. Die Geschäfte sind wieder mit Waren gefüllt. Die Angst vor Spitzeln und staatlicher Brutalität aber ist geblieben. Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 80 und 90 Prozent. Die einstige Kornkammer Afrikas meldet regelmäßig Hunger. Hunderttausende Flüchtlinge suchen im Nachbarland Südafrika mehr Glück. Die Wohnsituation ist katastrophal. Überall fehlt es an Trinkwasser, ständig fällt der Strom aus. 82 Prozent der Schüler sind dieses Jahr am Basis-Schulabschluss, dem „Ordinary Level“, gescheitert.

Der schwarze Russe

„Wir haben es geschafft, ein Unterdrückerregime zu bekämpfen und es loszuwerden. Aber haben wir unser Volk wirklich befreit?“ Natürlich ist Dumiso Dabengwas Frage rein rhetorisch. Er gibt auch gleich die Antwort: „Nein, haben wir nicht!“

Der kahlköpige Dabengwa, 73, empfängt in einem kleinen Büro in Bulawayo. Er wurde in Moskau ausgebildet, sie nennen ihn noch immer den „Schwarzen Russen“ Noch einer, der zu viel gesehen hat. Dabengwa war Geheimdienstchef der ZIPRA, der Guerilla der ZAPU, hier im Matabeleland zuhause. Die Konkurrenz von Mugabes ZANU. ZANU und ZAPU  aus der Rivalität wuchs Feinschaft. Bis Mugabe die ZAPU mit allen Mitteln zur Unterwerfung zwang, beide Parteien zur ZANU-PF verschmolz, unter seiner Kontrolle.

Im befreiten Simbabwe wurde Dabengwa wegen Verrats eingesperrt, wieder entlassen, wieder verhaftet, vier Jahre lang. Später saß im Politbüro der ZANU-PF, stieg 1992 zum Innenminister auf. Die Polizei war in einem erbärmlichen Zustand, erinnert er sich: „Sie gehorchte den politischen Führern, auch in der Provinz. Jeder konnte ihr Befehle geben: Verhafte den und den, schließ ihn einfach weg. Da wurden keine Fragen gestellt. Sie machten es für Geld.“

Auch er ist schwer zu greifen. Als Innenminister habe er damals sofort mit der Korruption „aufgeräumt“, behauptet Dabengwa. Sogar Ministerkollegen hätten sich beschwert, weil sie plötzlich Strafmandate bekamen. Erst 2000, nach seinem Abgang, sei die Polizei „wieder zu jenem verrotteten Zustand zurückgekehrt, in dem sie vorher war. Das ist sehr traurig zu sehen. Sie ist wieder eine politische Waffe.“

Auch seiner Wahrheit muss man nicht glauben. Als Kandidat der Regierungspartei wurde er zweimal – 2000 und 2005 – von der Opposition besiegt. Dann ließ er seine alte ZAPU wiederauferstehen, brachte sich als dritte Kraft ins Spiel. Und teilte aus: Mugabe und Tsvangirai seien beide „Teufel“, sagt er. Doch seine ZAPU ist bankrott. Letztes Jahr flog sie wegen ausstehender Mieten aus ihrem Hauptquartier in Bulawayo. Manche glauben, auch diese Partei sei nur ein Trick Mugabes, die Opposition zu spalten und in Schach zu halten.

Was Dabengwa energisch bestreitet. Wie clever ist Mugabe? Ein Lachen wie auf Sandpapier. „Er kann rechnen. Er ist schlau und gerissen. Er heckt immer etwas aus. Er versteht das alte koloniale Prinzip: Teile und herrsche.“ Der wusste stets den Sicherheitsapparat hinter sich, sagt Dabengwa. „Und hatte per Verfassung die Macht, die richtigen Leuten zu ernennen.“ Er flüstert jetzt fast. Im Politbüro der ZANU-PF, erzählt er, waren sie 22 Leute. Bis Mugabe die Diskussionen dort nervten. „Plötzlich hatte jeder einen Stellvertreter. Und alle waren handverlesen – von ihm.“

Soldaten schreiben Geschichte

Nach dem Wahlterror 2008 stimmten der ewige Präsident und seine ZANU-PF auf Druck der Nachbarstaaten einer „Machtteilung“ mit der Opposition zu. Seither gibt MDC-Chef Morgan Tsvangirai den Premier. Seine Minister dürfen schrumpfende Hoffnungen und leere Staatskassen verwalten. In den Jahren als Juniorpartner der Macht hat die MDC ihren Nimbus als Kraft der Erneuerung verloren, ihre eigenen Fehltritte und Skandale produziert. Sie haftet mit.

Eine neue Verfassung, das ist die wichtigste Aufgabe der Zwangskoalition aus ZANU-PF und der inzwischen gespaltenen MDC. Nach millionenteuren Versammlungen im Lande, häufig durch redeselige Kader oder Faustgewalt sabotiert, gibt es jetzt eine „Einigung“. Schon Mitte März soll das Volk abstimmen. Der Entwurf wirkt wie ein fauler Kompromiss der Koalitionäre. Der Präsident behält viel von seiner Allgewalt. Die herrschende Partei kann im Falle seines Todes einfach einen Nachfolger einsetzen. „Das ist Nonsens“, sagt Professor Lovemore Madhuku, der Vorsitzende der Nationalen Verfassungsversammlung, der im Jahr 2000 Mugabes ersten Versuch, eine neue Verfassung durchzudrücken, erfolgreich abwehrte. „Der einzige Unterschied heute ist, dass einige, die auf unserer Seite waren, jetzt bei der ZANU-PF mitsingen.“

Was bleibt, ist das Klima der Angst. Es gibt keine neutralen Institutionen in Simbabwe. Mugabe kontrolliert weiterhin das Fernsehen und Teile der Presse, das Militär, die Polizei, den Geheimdienst, die Gefängnisse, die Justiz und ihre Vollstrecker, mitsamt des frisch bestallten Henkers. Pensionierte Militärs kontrollieren die Eisenbahn, die Wahlkommission, selbst den Fußball. Sie haben groß investiert. Kein Uniformierter im südlichen Afrika, sagt Gwinyai Dzinesa vom Institute für Security Studies in Pretoria, „besitzt, was sich Simbabwes Generäle über die Jahre angeeignet haben“.


Was bleibt, ist die Gewissheit im Volk: Wenn wir aufbegehren, schlagen sie zurück. Wenn wir falsch abstimmen, droht Rache. Wenn wir nicht mehr an ihre Heldengeschichten glauben, werden sie uns ihre Wahrheit einbläuen. Weshalb jetzt sogar Soldaten an der Erinnerungsfront kämpfen. Anfang November startete Verteidigungsminister Emmerson Mnangagwa ein „militärhistorisches Forschungsprojekt“ um die Geschichte der Befreiung „akkurat aufzuzeichnen und in den Annalen des nationalen Gedächtnisses zu speichern“. Zehntausende Militärs und „Forscher“ haben Order, in alle Provinzen ausschwärmen, um, so Mnangagwa, „wichtige historische Informationen“ zu erfassen. Tatsächlich, meinen unabhängige Experten, gehe es wohl darum, im Vorfeld der nächsten Wahlen landesweit Angst zu schüren und das Volk daran zu erinnern, wer seine Befreier und Wohltäter sind.

„Sie projizieren sich selbst. Sie werden keine wahre Geschichte schreiben“, sagt der Ex-Minister Dabengwa. „Sie haben ihre ganz eigenen Gründe.“ Und der Hauptgrund ist Einschüchterung? „Genau.“

Der frühe Regen

Ein Rauschen hängt in der Luft. Nach Wochen der Dürre duscht ein satter Regen den Garten. „Du musst innehalten, zurückschauen und bilanzieren, was Du getan hast. Wofür Du stehst“, sagt Enos Nkala. Er hat sich an seinen Schreibtisch zurückgezogen. Nebenan plaudern die Gattin, die Tanten, die Kinder. Die Enkel machen in der Küche Hausaufgaben. Hat er je versucht, auf Mugabe einzuwirken? Nkala guckt, als sei schon der Gedanke absurd. Was ist schon wahr? In Simbabwe sind Wahrheiten leicht verderbliche Ware: erlebte, besprochene, konstruierte Wahrheiten. Weniger haltbar als all die Gerüchte und Geschichten, die kursieren. Der Alte war Teil dieses Regimes. Was bedauert er? „Viel“, sagt er sofort. „Ich bin durch eine Hölle gegangen. Ich weiß nicht, welche andere mich erwartet.“

Er stammt hier aus dem Südwesten. Ein Ndebele wie Joshua Nkomo, der Vater des Widerstands gegen Rhodesien, vor 50 Jahren Gründer der ZAPU. Ihm schloss Mugabe sich an, bevor er sein schärfster Rivale wurde. Mugabe ist Shona, aus dem Norden. Die Abrechnung kam nach der Unabhängigkeit. Zunächst regierte man gemeinsam. Dann flog der Ndebele Nkomo aus dem Kabinett.

Ab 1983 galt im Matabeleland der Ausnahmezustand. Die 5. Brigade der neuen Armee, in Nordkorea trainiert, rückte ein, um die ZAPU zu „befrieden“. „Gukurahundi“ hieß die Aktion, was in Shona so viel bedeutet wie: der frühe Regen. Es gab mindesten 20 000 Tote. Das erste Massaker des Befreiungshelden Mugabe. Das Denkmal für Joshua Nkomo im Zentrum von Bulawayo ist noch immer nicht vollendet. Da steht nur ein leerer Sockel. Sonst nichts. Er habe ein Buch fertig, sagt Nkala, „im Entwurf“. Nach seinem Tod soll es erscheinen. Seine Version. Warum nicht früher? Er sitzt reglos da. Wirkt plötzlich tief zerrissen. Da blitzt ein Schmerz auf, den er sonst hinter Witzen versteckt. Ob er ein guter Mensch sei oder nicht, hat er einmal in einem hitzigen Radiointerview erklärt, sei ihm „völlig egal“.

Was auch nicht stimmt. Sonst ginge es ihm wohl besser. Das Schlimmste, sagt er, waren „diese Massaker“: „ZANU hat viele Fehler gemacht, besonders hier im Matabeleland. Menschen wurden massakriert. Das hat man nicht vergessen.“ Der Ex-Mugabe-Mann hat stets jede Mitverantwortung bestritten. Und spricht doch verdächtig oft von seiner „ewigen Hölle“. Manchem hier gilt Nkala als „Maulwurf“, als „Verräter“. Als einer, der schon vor über 50 Jahren gegen Nkomo intrigierte. Nein, sagt er. Als Täter könne er doch niemals hier in Bulawayo leben. Er habe seinen Einfluss genutzt, um die Gewalt zu stoppen. Habe Nkomo sogar vor Mord-Plänen gewarnt.

Ein Mann voller Widersprüche. Der gerne abstreitet, was er eben noch gesagt hat. „Alles Lüge!" ruft. Als Amnesty International 1985 Folter in Simbabwe anprangerte, dementierte der Minister Nkala vehement. Später erklärte Mugabe die Menschenrechts-Organisation zum „Feind der Nation". Jahre zuvor, als beide selbst Häftlinge waren, hatte sich Amnesty für sie eingesetzt.

Fest steht, dass der Ndebele Nkala schon 1980 die ersten Brandreden gegen die Ndebele der ZAPU hielt, diese „Dissidenten mit tödlichen Waffen“. Dass er Joshua Nkomo, diesem „selbsternannten Ndebele-König" und dessen Leuten offen drohte: „Sie sollten aufhören, bevor wir sie liquidieren."

Der Journalist Christopher Muzavazi, der in den 80er Jahren in Bulawayo lebte, hat, als Nkala sich verbal aus dem Staub zu machen trachtete, zu Protokoll gegeben: „Ich stelle hiermit fest, dass er die Hauptfigur der Regierungs- und Sicherheitspolitik in Matabeleland war. In diversen Funktionen, vor allem als Innen- und Verteidigungsminister."

Noch einmal: Quält ihn ein Gewissen? War er, Chef der Polizei, dann der Armee, nicht ein Vollstrecker der Unterdrückung? Nkala weicht aus. „Soldaten sind furchterregend“, sagt er, „Polizisten sind viel folgsamer.“

Diamonds are for soldiers

Den 89. Geburtstag des Robert Mugabe dürfen 60 000 Gäste in einem Stadium feiern. Die Party soll 600 000 Dollar kosten. Dabei ist das Land pleite. Finanzminister Tendai Biti, ein Mann des MDC, durfte Ende Januar verkünden, dass sich auf den Konten der Regierung noch genau 217 Dollar befänden. Der Staat sei „paralysiert“.

Der Finanzminister hat eine Erklärung dafür. Es gebe eine „Parallelregierung“, die sich unter anderem an Simbabwes größtem Schatz bediene: den Diamantenminen von Marange, an der Grenze zu Mosambik. Laut Geologen eines der größten Vorkommen der Welt. 2008 hatte das Militär auf Betreiben führender ZANU-PF-Funktionäre, darunter die Vizepräsidentin, ihr Gatte, der Verteidigungsminister und etliche führende Polizisten und Militärs, die Diamantenfelder mit der „Operation Keine Rückkehr" gewaltsam besetzt. Dabei, sagen Menschenrechtsorganisationen, wurden mehr als 4000 Familien vertrieben und über 250 Menschen ermordet, die dort zuvor, von der Regierung ermutigt, auf eigene Faust geschürft hatten.

Marange gehört jetzt der Zimbabwe Mining Development Corporation. Sie betreibt Joint Ventures mit anderen Firmen – der Diamond Mining Corporation, Mbada Diamonds und Anjin Investments. An Anjin ist neben Zimbabwe Defence Industries – ein Unternehmen des Militärs – eine chinesische Baufirma beteiligt. Tatsächlich, sagt die Organisation „Partnership Africa Canada“, sei Anjin „eine Kooperation militärischer Eliten aus China und Simbabwe“. Augenzeugen berichten, vor dem Anjin-Quartier flatterten die Fahnen der Zimbabwe Defence Force und der Chinesischen Volksbefreiungsarmee einträchtig nebeneinander.

Der Wert der Marange-Jahresproduktion, schätzt Eddie Cross, Ökonom und Abgeordneter der MDC-T, sei derzeit größer ist als der nationale Haushalt, etwa vier Milliarden Dollar. Der Staat, sagen Experten, habe durch illegalen wie legalen Export „hunderte Millionen“ verloren. Seit 2008 seien Diamanten im Werte von fast zwei Milliarden Dollar gestohlen worden. Von der Firma Anjin etwa, dem größten Produzenten, erklärte Finanzminister Biti letztes Jahr, erhalte er null – „nichts kommt zum Fiskus“. Munyaradzi Machacha, Anjin-Direktor und Chefpropagandist der ZANU-PF, erklärte daraufhin, Biti sei „entweder unredlich, inkompetent oder ein Analphabet“. Das ist der übliche Ton der Koalition.

Insider berichten von weltweiten Finanztransaktionen und Scheinfirmen in Steuerparadiesen, von einem neuen Run führender ZANU-PF-Leute auf pompöse Immobilien und Privatjets. Selbst der ewig konziliante südafrikanische Vermittler und Ex-Präsident Thabo Mbeki äußert die Sorge, Simbabwes Diamantenindustrie sei in die Hände einer „räuberischen Elite" gefallen. Auch das Geschäft mit Gold, Platin und der Landwirtschaft ist durchsetzt mit Militärs, Polizeiführern, Parteioberen und Mugabes Anverwandten. Allein der Mugabe-Clan soll Dutzende Farmen besitzen. Seit der Westen dem Präsidenten Sanktionen auferlegt, verfolgt der Präsident eine „Look-East"-Politik. China ist zum wichtigsten Investor aufgestiegen. 2011 flossen etwa 460 Millionen Dollar aus China nach Simbabwe.

Der Staat mag Pleite sein. Die Mugabe-Partei verteilt Geld, Nahrungshilfen, Saat und Dünger, selbst Stipendien ohnehin lieber direkt  an alle, die sich loyal zeigen. Im Dezember versprach Generalkommandeur Constantine Chiwenga den Kriegsveteranen für 2013 eine Monatsrente von 2000 Dollar. Wahlen stehen an. Und die EU ist just dabei, die Sanktionen zu lockern.

Stinkreich

„Mugabe hatte immer diverse Quellen“, sagt sein Ex-Minister Dabengwa. „Damals waren sie eher legal oder doch halblegal. Inzwischen kommt das Geld aus krummen Geschäften.“ Von wem lebt er dieser Tage? „Zum Beispiel von den Chinesen. Die haben ihm das Militär-College gebaut.“ Das Zimbabwe National Defence College, im September 2012 eröffnet, ein fast 100 Millionen Dollar teurer Komplex mit Hörsälen, Büros, Appartements, Villen und einem Stadion. Gebaut mit einem Kredit der China Export and Import Bank. Abgezahlt, raunen Eingeweihte, mit Diamanten. Dabengwa lacht darüber wie über einen ziemlich guten Witz. Er hat immer noch gute Kontakte. Als die Chinesen mehr Diamanten wollten, erzählt er, seien sie zur Regierung gerannt. Doch die Minister waren alle dagegen. „Dann hat der Chef des Unternehmens entschieden, sie zu übergehen und ist direkt zu Mugabe gegangen.“ Nach ein paar Tagen bekamen die Minister Order, neue Konzessionen zu erteilen. „Mugabe wollte 20 Millionen Dollar“, sagt der Ex-Minister, „für die Studenten, die er sponsert.“ Studenten, die an der südafrikanischen Universität Fort Hare studieren. „Das läuft direkt, nicht über das Finanzministerium.“

Wie wird man reich als Minister? „Wenn Du korrupt bist ist es ganz einfach." Wie reich? „Stinkreich“. Dabengwa strahlt, fasziniert von so viel Abgebrühtheit.  „Unser Freund, der Bergbauminister, der ist steinreich." Der habe schon während der Landenteignung eigene Jugendgangs gehabt, „die herumzogen und weiße Farmer jagten. Und danach haben die all das Vieh, tausende Tiere, weggetrieben und versteckt. Nun macht er in Bergbau. Und für jede Konzession muss unter dem Tisch etwas passieren."

Die Veteranen, die Jugendlichen, sie alle fungieren als Werkzeuge. Bejubeln Mugabe und verfolgen seine Gegner.„Sie sind dazu gemacht worden", sagt Dabengwa. „Er benutzt sie."

Wobei die Idee, Kriegsveteranen auf die Farmen der Weißen zu schicken, ursprünglich seine war, erzählt der Ex-Minister. „Ich habe mir diese Invasionen ausgedacht, sie autorisiert“, sagt Dabengwa. „Das war als Demonstration gedacht.“ Um die Umverteilung des immer noch überwiegend in weißer Hand befindlichen Landes anzustoßen. Als die Aktion im März 2000 außer Kontrolle zu geraten drohte, versuchte er sie abzubrechen, sprach mit den Veteranen-Führern, sprach mit Mugabe, gab dann per Pressekonferenz Order: Bis Freitag müssen alle Besetzer runter von den Farmen. Nicht ahnend, dass Mugabe kurz zuvor ein Statement abgegeben hatte: Sie sollen bleiben, bis die Weißen sich ergeben.

Die Journalisten wussten es schon. „Mugabe hatte sofort begriffen, wie nützlich das für ihn ist. Und die Aktion gekapert.“ Dabengwa wollte zurücktreten. Er tat es nicht. Die Landnahme verlief brutal und chaotisch. Tausende Farmer und Farmarbeiter wurden verjagt. Es gab Verletzte und Tote. Viel Land ging, wie schon in den Jahren zuvor, an die Männer mit den guten Kontakten: Richter, Minister, Gouverneure, Generäle. Fatal für das Land, das über Jahre schwere Produktionseinbrüche hatte und Hunger litt. Nützlich für einen Mugabe, der alle Fäden zieht. Der blutig bestraft und fürstlich belohnt. Ein Taktiker, der das Machtspiel perfektioniert hat, mal die cleveren Diplomaten losschickt und mal die besoffenen Schläger. Der jeden beiseite fegt, der sich gegen ihn stellt. Der sich als einzige Lösung sieht und so zum Hauptproblem wurde.

Heldentode

Warum das funktioniert? Aus Angst. Gerade im Matabeleland, wo die Erinnerung an Gukurahundi, das große Massaker vor dreißig Jahren, noch wach ist. Neulich, erzählt Dabengwa, war er in einem Dorf und diskutierte mit einer Frau, aktives Mitglied Regierungspartei ZANU-PF. Schließlich sagte sie: „Jeder weiß, was geschehen ist. Aber wir fürchten, dass ein zweites Gukurahundi passiert, wenn wir widersprechen."

Selbst die Mächtigen leben manchmal gefährlich. In der politischen Elite häufen sich mysteriöse Unfälle. Auf dem „Heroes Acre“ bei Harare, reserviert für die Helden der Nation, liegen manche, deren Ableben unter dubiosen Umständen stattfand. Sein Nachfolger Moven Mahachi zum Beispiel, sagt der alte Enos Nkala, starb 2001, weil er gegen den Diamantenraubzug von Simbabwes Arme im benachbarten Kongo Stellung bezog. Offiziell war es ein Autounfall. Genau wie bei Joshua Tongogara, der 1979 als stärkster Kandidat für die Führung des gerade unabhängig werdenden Landes galt. Plötzlich verunglückte er. Zehn Jahre später starb Nkalas Freund, der Minister Maurice Nyagumbo, wie Nkala selbst in einen Skandal um profitabel weiterverkaufte Autos verwickelt. Offiziell trank er Rattengift. Auch ihn begrub man auf dem „Heroes Acre“.

Ihm aber, sagt Nkala mit einem irritierenden Lächeln, habe Mugabe die Pension erhöht. „Weil ich so viel für ihn getan habe.“

Das Gespräch artet zu einer Fachsimpelei über die Finessen des politischen Mordes aus. „Ich weiß, wie der umgebracht wurde“, sagt der Alte, als ein weiterer Name fällt. „Aber lasst uns besser nicht darüber reden. Es ist nicht angenehm.“

Dank Wikileaks ist bekannt, dass selbst der greise Mugabe den vorzeitigen Tod fürchtet. Am 30. März 2007 kabelte der US-Botschafter in Harare nach einem Gespräch mit Ex-Informationsminister und Mugabe-Intimus Jonathan Moyo nach Washington:

„Moyo wies darauf hin, dass Mugabe tatsächlich fürchtet, aufgehängt zu werden, wenn er sein Amt aufgibt.“


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