TOM SCHIMMECKs ARCHIV
November 2008
 

Im Idealfall Freigeister

15. November 2008, Tatort Berlin. Einige hundert von den Verhältnissen frustrierte Journalisten gründen den Berufsverband „Freischreiber“. Ich soll eine Rede halten. Oje. Aber ich tu's:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freie!

Freischreiber! Das klingt doch eigentlich himmlisch. Das müssen wohl Leute sein, die nach Lust und Laune schreiben, frei von Zwängen, frei von Deadlines, Pseudoaktualitäten, von Platzmangel, Befehlsketten und diesem ewigen, elenden Druck, schnöden Mammon zu verdienen.

Einigen von uns geht es manchmal wirklich fast so.

Die Organisatoren haben mich gebeten, hier ein paar fröhliche Worte abzusondern, einen „Vortrag“, wie sie es nennen – mit dem scheußlichen Titel „Mut zum Eigensinn: Freie Journalisten im Medieneinerlei“. Nun ja.

Freie Journalisten. Mit dem Wort „frei“ wird ja ziemlich viel Schindluder getrieben. „Frei“ im Kontext mit Journalisten bedeutet nicht selten „vogelfrei“. Oder „freigesetzt“, wie das im dummen Wirtschaftsdeutsch heißt.

Unsere Sprache kennt Unmengen von Wörtern mit „frei“. Wohlgefühlige wie: Freiheit, Freiraum, Freibier, Freistoß. Und eher düstere wie: Freibank, Freiwild, Freitod. Und Freidemokraten.

Lahmärsche oder Freigeister?

Was sind „freie Journalisten“? Sind das nicht diese Latte-schnorrenden Lahmärsche, die immer zu spät liefern? Diese freilaufenden Freigeister, die sich in ihrer üppigen Freizeit im Freibad freihändig frei erfundene Storys aus den Fingern saugen, die dann irgendwo nahezu honorarfrei gedruckt werden?

Vielleicht auch. Im Idealfall aber sind es Freigeister, die unabhängig und unbehindert arbeiten wollen. Fröhliche Freidenker, die einfach ihren Kram machen wollen. Die zum Beispiel wenig Lust haben auf Hierarchiespielchen, Dienstpläne, ermüdende Konferenzen.

Die sich Zeit nehmen. Ihren Kopf lieber auf das konzentrieren, was Ihnen wirklich am Herzen liegt. Viele verzichten dafür gerne auf feste Bezahlung, geregelten Urlaub, auf Kündigungs-, Mutter-, Väter- und sonstwelchen Schutz.

Klingt gut, oder? Nur dass die Bedingungen, unter denen dieses freie Schaffen stattfindet, immer verrückter werden. Der Leidensdruck wächst. Deswegen sind wir hier. Die Lage ist ziemlich ernst.

Weil es, erstens, immer weniger Orte für guten Journalismus gibt. Genauer: Für beruflich, also in auch mit einer Erwerbsabsicht ausgeübten, guten Journalismus. Natürlich kann jeder heute hundert Blogs betreiben und die Welt mit allerlei Ergüssen beglücken. Das Internet ist da wirklich schrankenlos. Ein ganzer Romantext ist mit einem Fingerschnippen übertragen. Nur: Broterwerb ist hier vorerst nicht zu erwarten. Journalismus, der mit einer akzeptablen Bezahlung einhergeht, bekommt allmählich Seltenheitswert.

Die Suppe wird immer dünner

Die sogenannte „Qualitätspresse“, also jenes Eckchen im großen Zeitungsregal, wo gelegentlich noch die Fackel der Aufklärung glimmt, hat schwere Zeiten hinter sich. Und vor sich. Die Zeitungen befinden sich seit den 90ern im langsamen Sinkflug. Anzeigen sind weggebrochen. Gerade schien sich die Lage ein wenig zu stabilisieren. Doch schon ist wieder Krise angesagt. Die New York Times meldete Ende Oktober, bislang seien die Print-Auflagen in den USA um jährlich etwa zwei Prozent gefallen. Seit Sommer sind es eher vier Prozent.

Unter anderem auch, weil hier immer heftiger gespart wird. Weil Zeitungen immer kleiner, knapper und schlechter werden. Die Suppe wird immer dünner. Die „Qualitätspresse“ missachtet ihre Qualität. Es gibt keine Verleger mehr. Nur noch Erbsenzähler. Publizistik besteht heute darin, dass Gruner und Jahr die Zeitschrift „dogs“ herausgibt. Und die WAZ-Gruppe mit dem neuen Titel „Dogs today“ kontert.

Die Roland Bergers und McKinseys sind in den letzten Jahren durch ziemlich alle Redaktionsflure dieser Republik gestolpert. Dabei sind eine Menge „Freie“ entstanden, die freiwillig gar nicht hätten „frei“ werden wollten. Die Redaktionen sind längst völlig überfordert – weil dort immer weniger Leute immer mehr leisten müssen. Man kann das in fast allen Zeitungen täglich nachlesen. Man hört es im Radio. Im Fernsehen sieht man’s sowieso.

Ja, es gibt noch Inseln im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber die scheinen immer winziger zu werden. Manchmal fühle ich mich an diese Bilder von Eisbären auf schmelzenden Schollen erinnert.

Ja, es geht – auch – ums Geld.

Das zweite Kernproblem: das Geld. Gewiss: Autoren wurden in der Geschichte selten bis nie anständig bezahlt. Schon Friedrich Schiller hat auf Pump gelebt, das Geld versoffen, seine Freundinnen und Freunde gemolken. Und jeder kennt das Klischee-Bild vom armen Poeten, der unterm Regenschirm in der Dachkammer liegt.

Heute aber sparen sich die Verlage – und die Anstalten – regelrecht zu Tode. Sie schreddern den Ast, auf dem sie – und wir alle – sitzen. Sie brauchen immer mehr und mehr und mehr „Freie“, damit der Laden überhaupt noch läuft. Zugleich ruinieren sie durch immer neue Spartricks deren Existenz. Frei-giebig sind sie nun wirklich nicht. Und von Anstand ist auch zu selten die Rede.

Warum überhaupt noch Journalisten? Warum lassen sich die Verlage ihre Texte nicht gleich von Kindern in Asien knüpfen? Weil es da noch ein Sprachproblem gibt.

Die Gürtel werden gerade auch bei erfolgreichen Qualitätsprodukten derart eng geschnallt, dass uns kaum noch Luft bleibt. Den „Freien“ geht es in aller Regel zuerst an den Kragen. Weniger Honorar, noch weniger Spesen, noch mehr Rechte für den Verlag. Sie alle, liebe Freie, kennen diese ellenlangen Verträge, mit denen sich deutsche Verlagshäuser immer mehr Rechte an ihren Schöpfungen sichern wollen. Offline und online, verfilmt und gesungen. Für mindestens hundert Jahre. Und natürlich weltweit. Das ist, mit Verlaub, einfach widerlich. Selbsterkenntnis: Da sind wir verdammt spät dran. Unseren Fotografenkollegen zum Beispiel mindestens zehn Jahre hinterher. Schön blöd.

Das grenzt an Körperverletzung

Vorgestern kamen die neuen Tabellen vom Deutschen Journalistenverband: Ein Volontär im zweiten Ausbildungsjahr bekommt 2034 Euro. Ein erfahrener Redakteur an Tageszeitungen verdient immerhin um die 5000 Euro im Monat. Auf mediafon.net habe ich mir sodann die Zeilenhonorare deutscher Zeitungen angeschaut:
• Mannheimer Morgen: 46 Cent
• Münchner Merkur: 41 Cent
• Augsburger Allgemeine: 20 Cent
• Deister-Leine-Zeitung: 15 Cent
• Westfälische Rundschau: 15 Cent
• Offenbacher Post: 12 Cent
• Norddeutsche Rundschau: 11 Cent
• Marburger Neue Zeitung: 10 Cent

Ja, da lacht der Freie: Da braucht er nur jeden Monat einen Text von ungefähr der Länge der Bibel zu verfassen, um auf einen anständigen Lebensunterhalt zu kommen.

Im Ernst: Das grenzt doch an Körperverletzung.

Die neusten Nachrichten von hier, aus Arm-aber-sexy- Berlin, wo ich (zum Glück) nicht wohne, sind auch nicht besser: Radio Multikulti wird eingestellt, Polylux auch, die Netzzeitung ausgedünnt, die Berliner Zeitung auch. SAT1 geht nach München. OK, das ist journalistisch wohl nicht der GAU. Aber es sind Jobs. Bei der Berliner Zeitung fährt übrigens gerade der Turbokapitalismus an die Wand. Der Inhaber, die britische Mecom Gruppe, hat mittlerweile 587 Millionen Pfund Schulden. In der gegenwärtigen Lage wohl ziemlich tödlich. Die Aktie ist um 97,43 Prozent gefallen. Derzeitiger Stand in London: 1,86 Pence. Und es wird weiter gespart und gefeuert.

Die gute Nachricht: Von einer 11-Zeilen-Meldung in der Marburger Neuen Zeitung können sie sich jetzt fünf Mecom- Aktien kaufen.

Sicher: Andere Berufe sind auch hart. Der des Bankers zum Beispiel. Die müssen in den USA selbst nach dem Absturz noch das große Rad drehen, las ich neulich. Weil ihre Anwälte 700 Dollar kosten. Und ihre Psychiater mindestens 250 Dollar. Pro Stunde, versteht sich. Soviel zum auf www.freischreiber.de diskutierten Mindest- Tagessatz.

Ja, das Geld. Arno Schmidt, einer meiner Lieblingsschriftsteller, machte Ende der 50er Jahre eine Notiz über seine „persönlichen, ganz=speziellen Schwierigkeiten“: „Eine davon heißt eben, so schockierend es kunstsinnigen Langohren auch klingen mag: GELD! Die Einnahmen aus meinen bis jetzt zehn Büchern sind so gering, daß ich davon allein durchschnittlich einen, höchstens zwei Monate im Jahr existieren könnte; folglich muß ich – da ich weder ‚Gottsucher’ zu werden, noch vom ‚Primat des Arbeiter- und Bauernstandes’ zu schwärmen gedenke – in größtem Stil Brotarbeiten annehmen.“

Journalismus und PR

Womit wir direkt beim Thema PR wären: Das ist eine seit Jahren tobende Debatte, die auch auf unserer Website intensiv geführt wird. Wie es überhaupt sehr interessant ist, diese Debatten zu verfolgen. Weil man studieren kann, wie bunt sie sind, diese „Freien“. So viele Egos, Erfahrungen, Wünsche, Haltungen. Ist ja auch logisch. Wir stammen aus diversen Generationen. Unsere Lebenslagen sind mannigfach. Die einen schreiben über Kosmetik, die anderen über den Kongo. Das ist in Ordnung. Die Auftrag heute lautet: Herauszufinden, was wir gemeinsam haben. Welche Probleme? Welche Mindest-Standards? Was wir zusammen ändern können.

Zum Thema PR etwa schrieb neulich jemand auf freischreiber.de: „Eine klare Trennung gibt es doch nicht einmal mehr innerhalb der Redaktionen. Wenn man sich ansieht, wie viele Redakteure auf Firmenveranstaltungen moderieren, welche gemeinsamen Veranstaltungen es zwischen Zeitschriften und Lobbyisten gibt und wie es klare Absprachen zwischen manchen Redaktionen und ihren Anzeigenkunden gibt, im redaktionellen Teil das unterzubringen, wofür man hierzulande nicht werben darf, dann wird einem schwindelig. Und ich frage mich: Warum sollten wir als Freie da eigentlich päpstlicher sein als der Papst?“

Ja, warum eigentlich? Ich gebe zu: Ich hab’s auch nicht so mit dem Papst. Und auch von mir sind schon Texte in Firmenzeitungen erschienen. Die zahlen deutlich anständiger. Und sie zahlen sogar die Reisekosten.

Wirtschaftsjournalismus als Rotlicht-Bezirk unseres Metiers

PR und Journalismus vermischen sich immer mehr. Wobei es sich eher um eine Unterwerfung der Presse handelt. Wir können nur billig, sagen die Verlage. ARD und ZDF sagen es auch immer öfter. Schon ökonomisch liegen derzeit alle Trümpfe bei der PR. Viele finden das wunderbar. Und wechseln lustig hin und her. Dieser Tage las ich zum Beispiel wieder von Michael Inacker. Der war einst beim Verteidigungsministerium. Danach beim Rheinischen Merkur. Er wurde Meinungschef der Welt am Sonntag. Danach Leiter des Planungsstabs von DaimlerChrysler-Chef Schrempp. Dann ging er zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und zurück zu Chrysler. Dann war er stellvertretender Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Und bald übernimmt er die Leitung des Bereichs Corporate Communications & Public Affairs bei Metro in Düsseldorf. Sein Ex-Wirtschaftswoche-Chefredakteur Stefan Baron wurde übrigens 2007 Kommunikationschef der Deutschen Bank.

Das ist doch ganz herrlich. Und immer stimmt die Kasse. Diese Jungs haben ein vollkommen anderes Verständnis von Journalismus. Die vermengen sich mit dem Gegenstand ihrer Betrachtung, der Wirtschaft. Überhaupt scheint mir der Wirtschaftsjournalismus derzeit so etwas wie der Rotlicht-Bezirk unseres Metiers zu sein.

Sie ahnen schon: Ich finde das fürchterlich. Ich will so schnell wie möglich zu einem Zustand zurück, da ein freier Journalist keinerlei PR braucht, um eine bescheide, aber würdevolle Existenz fristen zu können. Hier, finde ich, sollten die „Freischreiber“ als Freibeuter agieren. Als Freischärler.

Kämpfen statt Betteln

Denn: Mehr Anstand im Umgang mit Freien wird nicht durch Betteln zu erreichen sein. Vielleicht muss man es den Verlagsmanagern einmal ganz deutlich sagen: Wer andere auf den Strich schickt, ist per Definition ein Zuhälter.

Gerade in Zeiten, da Verlage nur in Rendite-Kategorien denken, müssen wir Freisinn zeigen. Unseren Stolz mobilisieren. Ein Berufs-Ethos formulieren. Auch wenn das schwierig ist.

Im Freitag fand ich dazu eine kluge Passage: „Heute ist das Berufsethos des Journalisten vor allem sein Bewerbungsprofil auf dem Arbeitsmarkt: Ich kann etwas, das nicht jeder kann, aber dafür muss ich unabhängig sein. Dieses Berufsethos ist in gewisser Weise auch der nachvollziehbare Widerstand gegen die Sinnentleerung – Marxisten würden sagen: bloße Tauschwertorientierung – der Arbeit. Man will Qualität abliefern, also einen hohen Gebrauchswert sicherstellen. Da gibt es eine gewisse Ähnlichkeit der Arbeit des Journalisten mit der des Kochs, der sich Mühe gibt, selbst aus den billigsten Zutaten und unter den miserabelsten Umständen noch ein gutes Gericht zu zaubern. Nicht unsympathisch, wie gesagt. Dieses Selbstverständnis hat aber den Nachteil, dass es die Möglichkeit vermindert, seine Rechte durchzusetzen. Was andernorts eine probate Arbeitskampfform ist, der Dienst nach Vorschrift, passt dem Journalisten nicht in den Kram: Schlechte Artikel, unter denen der eigene Name steht, will keiner durchgehen lassen. Außerdem gefällt sich der Journalist, zumal der Feuilletonist und der Kommentator, in der Vorstellung, sein geschriebenes Wort könne den Weltenlauf verändern.“

Gut beobachtet. Und wir sollten es im Kopf behalten bei der Diskussion darüber, was wir wollen und was erreichbar ist. Zumal, wenn uns Solisten mal wieder unser schräger Individualismus in die Quere kommt.

Wir sind schon ziemlich viele

Die beste Nachricht: Wir sind schon ziemlich viele. Als ich diese Woche nachschaute, hatte sich gerade Nummer 900 registriert. Wobei anzumerken ist, dass die User-ID-Nummer 1 ist nicht vergeben ist – aus Bescheidenheit vermutlich. Die Nummern 3 bis 6 übrigens auch nicht. Die sind wohl für künftige Ehrenpräsidenten reserviert.

Aber egal. Wir haben das Zeug, ein anständiger deutscher Verein zu werden. Wir verfügen derzeit über 4 Bernhards, 5 Mal Klaus, Jens und Alexander, 6 Holgers, Günters und Floriane, 7 Mathiasse, 8 Christophs, 9 Peters, 10 Stefans – von denen sich 20 Prozent mit ph schreiben –, 11 Martins, 14 Michaels und 17 Thomasse. Sowie über 4 Alexandras, je sieben Martinas und Anjas, 8 Barbaras und Annettes, 9 Beates, 10 Mal Katrin und Julia, 12 Sabines, 12 Andreas. Und genauso viele Andreasse.

Sogar der sagenhafte Hajo Schumacher ist dabei. Neulich las ich, dass er hier in Berliner Hotels Seminare für PR- Führungskräfte gibt: „Effizient kommunizieren. Der Umgang mit der Presse“. Für die Deutsche Presseakademie. Ein Outfit im emsigen Umfeld der Firma Helios. Da kann der PR-Mensch an einem Tag lernen, wie man mit Journalisten fertig wird. Für 1070 Euro pro Nase. So weit meine zweite Anregung zum Thema Tagessatz.

Zum Schluss eine Strophe aus einem schönen, kitschigen, leicht betagten Song von Xavier Naidoo. Mit dem Titel „Frei sein“:

Glaubst du, dass der Wind weht,
Weil irgendjemand sagt: „Wind weh’ jetzt!“?
Glaubst du, dass die Sterne, die am Himmel stehen,
leuchten,
Weil irgendwer sie anknipst?
Glaubst du, dass die Elemente tun was die sollen
Und nicht was sie wollen?
Wenn du das glaubst,
Dann wirst du nie sehen und verstehen
Was ich mein’, wenn ich sag’:
Ich will frei sein - nur frei sein.



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