TOM SCHIMMECKs ARCHIV
2014

Kolumne

Die Mär der Ringe

Sport an sich ist gar nicht übel. Als Mega-Showevent aber mutiert er schnell zur Deko für Reiche, Mächtige und überflüssige Blaublüter.

Vor Jahren kam ich in per Ikarus, einem Bus ungarischer Bauart, nach Sotschi. Mit fies metallischem, irgendwie prämortalem Kreischen hatte das Ding sich über die Hügel jenes lächerlichen Restes Schwarzmeerküste gequält, der den Russen geblieben ist, seit sie keine Sowjetunion mehr haben: rund 400 Kilometer zwischen Anapa und Adler. Danach schlief ich selig in einem dieser abgerockten Kurhotels.

Früher hätten viele Fähren hier abgelegt, sprach tags darauf am Hafen ein alter Angler namens Boris: "Heute gibt es nur noch Yachten. Normale Leute nehmen den Bus." In den Schaufenstern von Boutiquen hingen überteuerte Fummel. Abends cruisten hochglanzpolierte Karossen im zuckenden Discolicht der Strandpromenade, mit voll aufgedrehtem Bass. Die wummernde Botschaft der Minderheit, die zu Geld gekommen waren. Oder zumindest so tat.

Olympia war damals nur ein Plan. Aber die Orte für jedermann, die Parks und Plätze am Meer, verschwanden schon – zugunsten neuer Top-Immobilien für die Reichen. "Der Boom frisst die Natur", sagte Boris.

Muss das immer so sein: Eine Handvoll Gewinner in allerbester Lage, und jede Menge Verlierer drumrum? Ober-Olympioniken zitieren hier gern Baron de Coubertin, der die Spiele anno 1896 reanimierte und gern ganz aristokratisch von Fairness, Frieden und "dem erzieherischen Wert des guten Beispiels" salbaderte. Sportfunktionäre imitieren solches Gerede bis heute. Sport ist nicht politisch, tönen sie im Chor. Der verarmte Baron liess sich übrigens später von Hitler einwickeln, nahm von ihm eine "Ehrengabe" an.

Es lebe der Sport? Gar nichts spricht dagegen, das faule Fleisch gelegentlich zu ertüchtigen. Als Megaevent aber sediert Sport spätestens seit Kaiser Trajan ("Brot und Spiele") verlässlich die Massen. Die Sportshow wird zur Deko, setzt Mächtige nebst ihren Werbepartnern und Sponsoren in Szene. Nicht überall, nicht zwangsläufig, aber doch immer wieder. Und die Absurdität wächst exponentiell. Nach Putins 51-Milliarden-Dollar-Party wird die Wüsten-WM 2022 in Qatar neue Ufer des Größenwahns ansteuern. Mit vielen toten Bauarbeitern.

Was auch erhalten blieb, ist jenes fundamentale Prinzip, dass die Fettschicht stets oben schwimmt. Die Mitgliederliste des Internationalen Olympischen Komitees liest sich, als habe das Goldene Blatt die Auswahl getroffen: Da tummeln sich Prinzen, Prinzessinnen und Scheichs von Dänemark bis Malaysia. Da hocken Schutzheilige der Steueroptimierer wie Prinzessin Nora von Liechtenstein, Prince Albert II von Monaco und – schon seit 1946, der Adel ist zäh! – Großherzog Jean von Luxemburg und sein amtierender Sohn Großherzog Henri, ein Milliardär. An Bord des IOC sind zudem die spanische "Infantin" und Konstantin II, der sich für den König der Griechen hält, obschon er das seit 1967 nicht mehr ist. Und natürlich die Princess Royal Anne, die vor bald 40 Jahren, sapperlot, eine Silbermedaille gewonnen hat. Der Blaublüter frönt ja gern dem Sport. So fühlt er sich gleich weniger nutzlos.

Können wir über diesen Irrsinn frei sprechen? Nicht überall. Als ich Boris damals in Sotschi dumm fragte, wer hier die neuen Könige seien, grinste er nur seine Angelschnur an: "Ich weiß es, aber ich sage es nicht. Ich will leben. Ich habe Kinder."


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